Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Der Stiefel steckt im Schlamm

Es begann im Jahr 1950: Die damalige italienische Regierung gründete eine sogenannte Cassa del Mezzogiorno. Das Schicksal dieses Süditalien-Fonds ist eine gute, freilich ernüchternde Lehre für die jetzigen Versuche, die südeuropäische Schuldenkrise zu beenden. Denn diese erinnern intensiv an das, was im Süden des italienischen Stiefels schon seit 62 Jahren ohne Erfolg läuft.

Die Propagandisten der nun auch schon drei Jahre laufenden europäischen Rettungsaktionen verteidigen diese mit ganz ähnlichen Argumenten: Der Süden Europas brauche eine kurzfristige Hilfe, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, um an den Norden anschließen zu können, um das nötige Wachstum zu erzielen, um mit dessen Hilfe dann die Schulden rückzahlen zu können – oder zumindest um die noch immer anhaltende Schuldenvermehrung einzubremsen. Und außerdem sei man das den Südländern auch aus paneuropäischer Solidarität schuldig.

Diese Argumente werden seit dem Vorfeld des Mai 2010 regelmäßig wiederholt, als die deutsche Regierung erstmals unter französischem Druck nachgegeben und der ersten „Rettungsaktion“ für Griechenland zugestimmt hat. Dieses Land pocht auch in diesen Wochen so wie damals wieder heftig mit dem Bettelhut in der Hand an die Türen Europas. Es will so wie schon oft in diesen drei Jahren weiteres Geld holen. Man brauche eben noch ein wenig mehr Zeit, bis die Sanierung geschafft sei.

Inzwischen haben auch viele andere Staaten direkt oder indirekt die europäische Solidarität eingefordert und genutzt. Mehrere Schuldenfonds von der EFSF bis zum ESM wurden gegründet; Griechenland wurde bilateral, von der EU und vom Währungsfonds geholfen; und vor allem die EZB hat zugunsten der Schuldenländer die Gelddruckmaschinen angekurbelt: der Geldmarkt wurde mit Krediten zu Billigstkonditionen weit unter der Inflationsrate geflutet; die EZB kaufte mehrmals schon Anleihen von nicht mehr kreditwürdigen Ländern auf; und sie will das nun sogar unlimitiert tun.

Die große Frage ist: Gibt es wenigstens irgendein Anzeichen, dass diese Gelder eines Tages das Versprochene bewirken? Oder werden sie nur in einem Fass ohne Boden versenkt, während Europas Politik mit wenigen Ausnahmen diese längst in die Billionendimension angewachsenen Hilfsaktionen noch immer als alternativlos verteidigt?

Sechs Jahrzehnte kontraproduktiver Rettungs- und Hilfsaktionen

Die Cassa del Mezzogiorno ist ein dramatischer Beweis dafür, dass solche Aktionen schiefgehen müssen. Weil sie psychologisch wie ökonomisch einfach nicht durchdacht, sondern nur politisch motiviert sind.

Tatsache ist: Italiens Süden hat auch 62 Jahre nach der Gründung dieser Kassa nicht den Anschluss geschafft. Ganz im Gegenteil: Die inneritalienische Kluft zwischen Nord und Süd ist sogar noch größer geworden. Obwohl inzwischen nicht mehr Rom, sondern die EU einen Gutteil der Milliardentransfers Richtung Süditalien finanziert, insbesondere über Struktur- und Kohäsionsfonds; obwohl inneritalienisch die Cassa inzwischen durch eine Reihe neuer Hilfsmaßnahmen ersetzt worden ist.

Im italienischen Süden sind mit diesem Geld viele Infrastruktur-Projekte finanziert worden. Es wurden Straßen, große Bewässerungsanlagen und Kraftwerke gebaut. Es gibt Steuerermäßigungen für Investoren und Kredithilfen. Industriekonzerne – etwa die Autofirmen Fiat und Alfa – wurden zum Bau von Fabriken motiviert und dabei kräftig unterstützt. Mit anderen Worten: Das ganze Lexikon möglicher Entwicklungsprojekte und -strategien wurde durchgespielt.

Aber nichts hat geholfen. Viele subventionierten Projekte wurden niemals fertig. Viel Geld verschwand in mafiösen Strukturen. Viele Investoren haben nur die Subvention kassiert, ohne im Süden dauerhafte Perspektiven zu finden. Zugleich sind seither weitere Millionen Menschen aus Süditalien abgewandert. Amerika von den USA bis Argentinien war ein besonders beliebtes Ziel. Auch Südtirol wurde in den Jahren vor Einführung der Autonomie durch den gezielten Import von Süditalienern überschwemmt.

Vier Ursachen eines Zustandes

Wie konnte das alles passieren? Und welche Lektionen kann man daraus für unglaublich ähnliche Problemfälle wie etwa Griechenland lernen?

Ein Hauptgrund ist das Grundübel jeder Förderung (auch der in bestimmten Bereichen durchaus exzessiven in Österreich): Öffentliche wie private Projekte werden oft nicht mehr deshalb ausgeführt, weil sie nach Fertigstellung einen betriebs- oder volkswirtschaftlichen Gewinn und Nutzen versprechen, sondern nur, um die üppigen Förderungen abzuholen und nicht verfallen zu lassen.

Eine weitere wichtige Ursache liegt im Bereich der kollektiven Psychologie. Den geförderten Regionen wurde durch die – von Politik und Medien immer sehr lautstark bejubelten – Hilfsprojekte die klare Botschaft vermittelt: „Nicht wir, sondern jemand anderer (in Rom, in Brüssel, in Berlin) ist verantwortlich dafür, dass es aufwärts geht. Nicht wir, sondern die sind schuld daran, dass es uns schlecht geht.“

Das ist nicht nur falsch, sondern auch in katastrophaler Weise lähmend für die eigentlich notwendig Aktivierung eigener Energien und Verantwortlichkeit. Diese Eigenschaften werden in Süditalien durch den Umstand verstärkt, dass sich die Süditaliener seit eineinhalb Jahrtausenden fast ununterbrochen von ungeliebten fremden Herrschern regiert sehen. Ein grässlicher Höhepunkt war etwa rund um die erste Jahrtausendwende die schutzlose Preisgabe Süditaliens an arabische Sklavenhändler, die sich unter den dortigen Menschen nach Willkür ihre Opfer suchen konnten.

Das fehlende Gefühl von politischer Identität und Eigenverantwortung hängt wiederum eng mit einem dritten Ursachenbereich zusammen: Das ist die schlechte Qualität von Verwaltung und Justiz. Auch hier sitzen viele Menschen nur deshalb in ihren Ämtern, weil sie von irgendjemandem – aus Familie, Dorf oder Partei – mit diesem Job versorgt worden sind. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Amtsträger vor allem bedacht, selber wieder weitere Neffen zu versorgen, oder gar selbst abzukassieren. Und nur bei wenigen Beamten findet sich die in nördlicheren Regionen (in Relation noch immer) viel stärker verbreitete Selbstverständlichkeit von Pflichterfüllung, von Korrektheit, von Effizienz, von Unbestechlichkeit.

Lassen wir die ideologisch belastete Frage beiseite, ob diese Tugenden mehr kulturell oder mehr genetisch fundiert sind. Konstatieren wir einfach offen die diesbezüglichen Defizite.

Diese sind jedenfalls auch die Ursache des vierten Stichwortes. Das ist die nur zeitweise gebremste Machtfülle krimineller Organisationen wie der Mafia bis weit hinein in den Behördenapparat und die Politik. An der Macht dieser Banden ist letztlich jeder Versuch einer Besserung gescheitert.

Alle vier Punkte zusammen scheinen jedenfalls Garantie dafür, dass sich der italienische Süden noch auf Generationen hinaus nicht erholen wird. Und dass alle Hilfsmilliarden mehr schaden als nutzen.

Monti: Ein Stern verblasst

Aber ist nicht im letzten Jahr durch die Reformen der Regierung Monti alles besser geworden? Darauf deutet wenig hin, so laut die Ankündigung dieser Reformen auch bejubelt worden ist.

Typisches Beispiel, wie viel da nach hinten losgeht: Soeben hat Monti ein Dekret erlassen, mit dem illegale Ausländer legalisiert werden können. Von dieser Maßnahme dürften rund 150.000 Menschen profitieren. Diese gutmenschlich gemeinte Maßnahme stößt vor allem im Süden mit seiner großen Arbeitslosigkeit auf die Empörung der Italiener. Denn angesichts der laxen Behörden haben viele Arbeitgeber mit Begeisterung die Illegalen zu Billiglöhnen beschäftigt. Das hat naturgemäß die Arbeitslosigkeit in diesem Teil Italiens noch weiter erhöht.

Das ist nur eine der vielen Maßnahmen, die dafür verantwortlich sind, dass das Image Montis in Italien viel schlechter ist als im Ausland, wo er noch als Reformer gefeiert wird. Monti zieht es wohlweislich vor, bei den bevorstehenden Parlamentswahlen – wieder – nicht anzutreten. Er beobachtet die Dinge lieber als lebenslanges Senatsmitglied erste Reihe fußfrei. Und er wartet darauf, dass sich die verfeindeten Lager wieder einmal nicht einigen können und deshalb er als Neutraler dann noch einmal an die Macht kommt. Dieses Ziel gibt er bisweilen offen zu, bisweilen versucht er es aber auch im Dunklen zu lassen.

Wahlen inmitten einer chaotischen Parteienlandschaft

Die Wahlen dürften noch vor oder nach der Jahreswende stattfinden. Sie stehen unter einem klaren Stern: Alles bewegt sich, alles dreht sich in der Parteienlandschaft. Und nichts ist klar.

Für die bisherige Mehrheitspartei rund um den Langzeitpremier Silvio Berlusconi ist derzeit vor allem interessant, ob sie das Inkrafttreten einer Wahlrechtsreform verhindern kann. Denn das bisherige Wahlrecht bevorzugt die Liste des Mailänder Frauenfreundes und Gerichtsfeindes.

Sicher scheint aber jedenfalls, dass Berlusconi verlieren wird. Ihm wird ein Gutteil der Schuld an der italienischen Krise zugeschoben – obwohl deren Hauptursachen viel früher liegen. Ihm schaden überdies, ebenso wie seinen früheren Verbündeten von der sezessionistischen Lega Nord nicht nur Berlusconis eigene Affären, sondern auch Korruptionsskandale, die erst jetzt unter Monti recht gezielt aufgedeckt worden sind. Mit der Krise der Lega Nord sind auch die Versuche des Nordens – von der Lombardei bis Venetien –, sich vom maroden Süden loszureißen, wohl auf lange zu vergessen. Dennoch ist im Norden dieses Ziel angesichts der süditalienischen Krise nicht aufgegeben.

Aber auch der Gegenseite geht’s nicht wirklich gut. Die Demokratische Partei wird trotz etlicher Umbenennungen seit vielen Jahren nicht fertig damit, dass sie ein wildes Sammelsurium von Kommunisten, Sozialisten, Antiklerikalen,  Linkskatholiken, alten Selbstdarstellern und einigen neuen liberalen Elementen ist. Deren gemeinsamer Nenner war lediglich die Gegnerschaft zu Berlusconi, nicht ein gemeinsames Programm. Berlusconi aber ist jetzt weg. Damit verspricht auch diese Partei selbst im unwahrscheinlichen Falle eines Wahltriumphs nicht gerade eine kraftvolle Führung Italiens, geschweige denn die dringend notwendigen, aber unpopulären Reformen.

Neben diesen zuletzt dominierenden Blöcken sind die einstigen Traditionsparteien verschwunden. Dafür treten ständig neue Bewegungen auf. Dazu gehört etwa die Fünf-Sterne-Partei eines Kabarettisten. Dieser lässt sich politisch gar nicht wirklich einordnen, weil er hinter ein paar gut über die Bühne gebrachten populistischen Sagern und vielen Worten ganz bewusst nie konkret wird (das muss neuerdings ja auch manchem Österreicher vertraut vorkommen). Das hat diesem Beppe Grillo aber im letzten Jahr einige regionale Erfolge gebracht.

Und da gibt es schließlich auch noch eine neue bürgerliche Gruppierung rund um gemäßigte Überreste der Christdemokraten und den einstigen Berlusconi-Partner Fini, dessen Abgang der Beginn von Berlusconis Abstieg gewesen ist. Sie kann sich ebenso wie Grillo etliche Hoffnungen machen. Eine klare regierungsfähige Mehrheit zeichnet sich aber nirgends ab.

Halbe Mittel zu halben Zielen

Damit scheinen Chaos und Durcheinander auch für die Zukunft programmiert. Zwischen hoher Staatsverschuldung und der im Norden noch immer ganz gut funktionierenden Wirtschaft findet das Land keinen trockenen Boden in schlammiger Landschaft. Montis Reformen erweisen sich immer mehr als halbe Mittel zu halben Zielen. Und jeder kurzfristige Lichtblick – etwa zeitweise sinkende Zinssätze – führt sofort zu einem verbreiteten Aufatmen und Nachlassen der Reformanstrengungen.

Dabei ist Italien alles andere als über den Berg. Die von einstigen katholisch-sozialistischen Koalitionen verschuldeten Exzesse des Sozialstaats (üppiges Pensionssystem, hoher Staatsanteil in der Wirtschaft, Unkündbarkeit von Mitarbeitern, erdrückende Bürokratie, breite Sozialleistungen) sind nicht substanziell beseitigt worden. Daher bleibt die Stimmung im Land depressiv. Und erst recht tut sie das bei allen potentiellen Geldgebern.

Drei anschauliche Indizien sollen das düstere Bild des herbstlichen Italiens abrunden: Erstmals wurden jetzt im Autoland Italien mehr Fahrräder als Autos verkauft. Die Arbeitslosigkeit ist – trotz oder „dank“ Monti? – von 8,4 auf 10,7 Prozent gestiegen. Und drittens haben die Italiener einen neuen Sündenbock gefunden. Der ist zufällig der gleiche wie für die Griechen: nämlich Deutschland. 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung