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Was blieb eigentlich vom Jahr 2011?

Zwei bundespolitische Themen des Jahres 2011 werden in die Geschichtsbücher eingehen: der Tod der Hauptschule und der Komplex Schuldenbremse/Stabilitätskrise. Der Rest waren Affären, Personalia und – keine Wahlen. Ein Rückblick auf ein Jahr scheinbar ohne Eigenschaften.

Im Tod der Hauptschule sehen viele Schulpraktiker eine Katastrophe. Er erfolgte ohne Evaluierung der vielen Schulversuche, die Aufschluss über die an ihre Stelle tretende Gesamtschule hätten geben sollen. Eines jedoch weiß man: In den unterschiedlichen Klassenzügen der Hauptschule gab es eine viel bessere Differenzierung zwischen guten und schwachen Schülern. Der erste Zug war völlig gleichwertig mit dem Gymnasium. Was nach Angaben vieler Gymnasiallehrer bei Absolventen der Gesamtschulen nicht mehr der Fall ist. Denn dort gibt es nur eine „innere“ Differenzierung. Gute wie schwache Schüler werden gemeinsam unterrichtet. Die ÖVP stimmte aber dennoch der Abschaffung der Hauptschule zu. Sie wollte im Gegenzug das achtjährige Gymnasium retten.

Zwar schraubte die SPÖ ihre Attacken auf das Gymnasium in der Tat etwas zurück. Dafür startete der Altsozialdemokrat Hannes Androsch ein Volksbegehren, das die Unterstufe der Gymnasien durch eine zwangsweise Gesamtschule ersetzen will. Trotz großen Geldeinsatzes und der Sympathie vieler Medien landete dieses Volksbegehren aber nur an 17. Stelle der Rangliste der diversen Begehren. Auch Umfragen zeigen große Unterstützung für ein differenziertes Schulsystem.

Mindestens ebenso wichtig war 2011 die Entwicklung an der Schuldenfront. Trotz klarer EU-Vorgaben scheiterte der Versuch der Regierung, die Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Keine Oppositionspartei verhalf ihr zur nötigen Zweidrittelmehrheit, obwohl alle drei ständig die steigende Staatsverschuldung kritisieren.

Ohne Verfassungsrang hat eine Schuldenbremse jedoch wenig Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig stiegen 2011 die von Österreich zu zahlenden Kreditzinsen steil an und waren zeitweise doppelt so hoch wie jene Deutschlands. Überdies nahm eine große Ratingagentur der Alpenrepublik das begehrte AAA und gab ihr auch für die Zukunft einen negativen Ausblick. Die positive Finanznachricht kam erst im Nachhinein: Österreich hatte dank unerwartet hoher Steuereinnahmen erstmals wieder die Maastrichtgrenze für das Staatsdefizit von drei Prozent des BIP unterschritten. Die Republik hat damit ein geringeres Defizit als die meisten anderen EU-Staaten. In Sachen Arbeitslosigkeit ist sie überhaupt europäischer Vorzugsschüler.

Finanzpolitisch viel folgenträchtiger sind aber die schweren Krisen in Italien, Griechenland oder Spanien. Zu deren Bekämpfung begann die Europäischen Zentralbank in Billionendimension Geld zu drucken. Und die EU beschloss den problematischen Stabilitätsmechanismus ESM. Dieser belastet die Republik sofort mit weiteren fünf Milliarden Euro und langfristig mit überhaupt nicht absehbaren weiteren Risken. Damit wurden die noch relativ stabilen Länder wie Österreich oder Deutschland unauflöslich an die südlichen Krisenstaaten gekettet. Was mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig zur Inflation führen muss.

Was besonders bestürzend war: Es gab hierzulande zum Unterschied von Deutschland weder in Medien noch unter Ökonomen eine ernsthafte und tiefgehende Debatte über diesen ESM. Zwar versuchten FPÖ und BZÖ, heftig dagegen Stimmung zu machen. Da ihnen aber in Wirtschaftsfragen Kompetenz und Glaubwürdigkeit, aber auch Alternativen fehlen, fanden sie kein Echo.

Hinter diesen beiden Themen reduzierte sich der Rest des Jahres auf Alltag. Dazu zählte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu diversen Korruptionsfällen. Schon in der Vergangenheit hat sich aber die Parallelität von parlamentarischen und staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen zum gleichen Thema als kontraproduktiv erwiesen. Solche Ausschüsse dienen nur zu Grabenkämpfen der Parteien und nicht zu einer echten Verbesserung oder Kontrolle.

Völlig verblasst ist die monatelange Aufregung um das SPÖ-Verlangen, die Wehrpflicht abzuschaffen. Die SPÖ hat damit nicht nur ihre bisherige Politik total desavouiert, sondern auch den eigenen Bundespräsidenten. Dieser stellte sich – zum ersten Mal in seiner Karriere – gegen den Kurs seiner Partei. Noch peinlicher für SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos war der mutige Widerstand des Generalstabschefs Edmund Entacher, eines weiteren Sozialdemokraten. Dieser verteidigte unter Berufung auf die Verfassung den Präsenzdienst. Er wurde deshalb unter fadenscheinigen Vorwänden im Jänner 2011 suspendiert. Im November musste ihn dann aber der blamierte Verteidigungsminister auf Beschluss einer Berufungskommission wieder einsetzen.

Darabos blieb nur deshalb im Amt, weil der Job des Verteidigungsministers so ziemlich der unbeliebteste in seiner Partei ist. Zugleich setzte er munter das Aushungern des Bundesheers fort, das schon den Umfang einer teilweisen Abrüstung annahm. Während das Heer durch die Sparpolitik besonders getroffen wurde, rettete Darabos ausgerechnet seine zweite Kompetenz, den Sport, vor allen Sparmaßnahmen. Was ein eigentümliches Licht auf die Prioritäten der Regierung warf. Um das Berufsheer selber wurde es aber wieder still. Es hat sich trotz heftiger Unterstützung durch die Kronenzeitung nicht als so populär entpuppt wie erhofft.

Wie jedes Jahr kam es auch 2011 zu einer Reihe von Änderungen des politischen Personals. Hierzu zählt etwa der Rücktritt des Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmanns Herbert Sausgruber, eines altgedienten Verfechters des Föderalismus gegen alle Einsparungs- und Vereinheitlichungspläne des Bundes. Das wird aber auch wohl sein Nachfolger Markus Wallner sein.

Die wichtigste personelle Veränderung war der Abschied von Josef Pröll als ÖVP-Chef, Vizekanzler und Finanzminister. Ihm folgte sein niederösterreichischer Landsmann Michael Spindelegger. Finanzministerin wurde die Oberösterreicherin Maria Fekter. Prölls Rücktritt wurde durch einen Lungeninfarkt ausgelöst. Alle anderslautenden Gerüchte, die sich um den Rücktritt rankten, konnten nie verifiziert werden. Jedenfalls war Pröll einerseits an Skandalen in den eigenen Reihen, wie auch an der allgemeinen Reformunwilligkeit gescheitert: Er stieß beim eigenen Onkel in Sankt Pölten auf eine Betonmauer und beim Koalitionspartner Werner Faymann auf noch effizienteren Schaumgummi-Widerstand.

Nachfolger Spindelegger konnte den deutlichen Rückgang der Wählersympathie für die ÖVP nicht mehr rückgängig machen. Er hat zwar ein besseres Gespür für die konservativen und wirtschaftsliberalen Stammwähler als Pröll, der nach starkem Beginn viele Wähler Richtung FPÖ verloren hatte. Spindelegger liegt aber rhetorisch wie auch in Sachen Charisma deutlich hinter seinem Vorgänger zurück. Und er hat ebensowenig ein Rezept gegen die Gummitaktik Faymanns.

Auch Spindeleggers Personalrevirements waren bestenfalls ambivalent. Fekter war im Innenministerium sicher besser am Platz als nun im Finanzressort. Im Justizministerium wurde eine schwache Ministerin durch eine ebenso schwache ersetzt. Beide bekamen die von sozialdemokratischen Netzwerken durchsetzte Staatsanwaltschaft nicht in den Griff, die gegen die halbe Republik Erhebungen startete (aber fast keine zu einem Abschluss brachte), und die ständig jene Aktenteile rechtswidrig an Medien weitergab, die Politiker rechts der Mitte zu belasten schienen.

Sehr gut kamen hingegen der von Spindelegger geholte älteste Minister (Wissenschaftsminister Töchterle) und der jüngste Staatssekretär an, obwohl Sebastian Kurz anfangs von den Medien sehr untergriffig attackiert worden ist. Beide begingen keine großen Fehler, kämpften glaubwürdig für ihre Ziele und schafften im Umgang mit der Öffentlichkeit einen natürlichen Ton. Was in der politischen Landschaft schon eine halbe Sensation ist.

Im ÖAAB folgte auf Spindelegger die ebenfalls aus Niederösterreich stammende neue Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, was in der Steiermark für etlichen Ärger sorgte. Außerhalb der ÖVP löste Mikl-Leitner freilich eher mit deplatzierten Klassenkampftönen Kopfschütteln aus: Sie rief den Gutverdienenden zu: „Her mit dem Zaster“. Was bei bürgerlichen Wählern nicht gerade Begeisterung auslöste – sowohl des Tones wie des Inhalts wegen. Hat doch Spindelegger zu diesem Zeitpunkt noch vehement gegen höhere Steuern gekämpft.

Viele Schlagzeilen machte der wohl endgültige Rückzug von Wolfgang Schüssel aus der Politik. Er begründete den Abschied aus dem Nationalrat mit den Untersuchungen der Justiz zu diversen Vorwürfen aus seiner Regierungszeit. Es gibt aber keinerlei Indizien, dass Schüssel selbst in eine der Affären rund um Karl-Heinz Grasser verwickelt wäre. Aber da Grasser sechs Jahre Schüssels Finanzminister war, und da er von Schüssel selbst dann als ÖVP-Vizekanzler vorgeschlagen worden war, beschädigte die Affäre Grasser zweifellos indirekt auch Schüssels Image.

Tatsache ist, dass viele Indizien Grasser in ein sehr schiefes Licht rücken. Ein Finanzminister, der im Plastiksack größere Geldsummen über die Grenze transportiert, ist jedenfalls eine Zumutung. Einen zwingenden Beweis für eine Bereicherung Grassers wurde jedoch auch 2011 trotz intensiver Recherchen der Staatsanwälte und einer zur Grasser-Jagd vereinigten Medienszene nicht gefunden.

Neben Grasser sind auch noch viele andere Prominente ins Fadenkreuz der Strafverfolger geraten. So etwa die blau-orangen Politiker Scheibner und Gorbach. So der ehemalige schwarze Innenminister und spätere EU-Abgeordnete Ernst Strasser. Er wurde mit versteckter Kamera dabei ertappt, als er für Geldzahlungen Interventionen bei einer Gesetzesinitiative im EU-Parlament versprach. Erstaunlich schnell einen Persilschein bekam hingegen Werner Faymann in der Affäre um die Bestechung von Boulevardzeitungen.

Einer der wenigen Fälle, wo es 2011 zu einer Verurteilung kam, war der des Kärntner Freiheitlichen-Chefs Uwe Scheuch. Er hatte zugesagt, gegen Geldspenden einem russischen Investor zu einer Staatsbürgerschaft zu verhelfen. Die 18 Monate Haft – 6 davon unbedingt – wurden freilich von vielen Juristen als überhart kritisiert. Das Urteil wurde dann 2012 auch prompt aufgehoben: Scheuchs Verteidigungsrechte sind ungebührlich eingeschränkt worden.

All die vielen besonders Richtung Blau-Orange zeigenden Korruptionsindizien haben aber eines nicht verhindert: Die Freiheitlichen legten kontinuierlich in der Wählergunst zu. Bei einigen Umfragen rückten sie sogar schon an die erste Stelle. Und die Erfahrung, dass die FPÖ seit zweieinhalb Jahrzehnten am Wahltag immer deutlich besser abschneidet als bei Umfragen, lassen die Koalitionsparteien für die Zukunft das Ärgste befürchten.

(Dieser Beitrag erschien weitgehend wortident im "Steirischen Jahrbuch für Politik 2011", Verlag dr.schnider's eu, Graz)

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