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Jetzt beginnt jenes Giftkraut aus dem Boden zu kommen, dessen Samen im Mai 2010 gesät worden sind: Schon eine Reihe von internationalen Großinvestoren hat in den letzten Tagen signalisiert, kein weiteres Geld in Europa zu verleihen oder anzulegen. Und zwar geht es dabei nicht nur um die nun schon im Monatstakt länger werdende Liste Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, Italien, Zypern ff. Vielmehr werden nun langsam auch Deutschland oder Österreich für langfristige Anlagen zunehmend als fragwürdig empfunden. Und die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels machen klar, dass die Investoren guten Grund für ihre Haltung haben.
Das heißt natürlich noch keineswegs, dass Berlin & Co demnächst auf ihren Anleihen sitzen bleiben werden. Aber ich bin überzeugt, dass auch sie für langfristiges Geld am Ende dieses Jahres schon deutlich höhere Zinsen zahlen müssen als derzeit. Und vor allem wird bei ihrer Refinanzierung ein höherer Anteil als früher aus Geldern kommen, die nur dank der Europäischen Zentralbank überhaupt existieren.
Denn längst kann Europa nur noch dadurch seine Stabilität aufrechterhalten, dass die Notenbank halt wie in einer Bananenrepublik das Geld einfach druckt, wenn es der Staat braucht. Das war nach dem letzten Krieg in den sogenannten Nordländern völlig undenkbar, was deren Stabilität und Wachstum ermöglicht hat. Die Staaten mussten sich vielmehr selbst um ihre Kreditwürdigkeit bei unabhängigen Geldverleihern bemühen.
Dass das neu geschöpfte EZB-Geld pro forma nicht direkt an den Staat geht, sondern dazwischen über Banken geschleust wird, ist nur ein kleines Feigenblatt, um die Blößen der öffentlichen Finanzen in Europa noch ein wenig zu tarnen. Denn alle scheinen vergessen zu haben, dass am Ende alle Euro-Staaten für die EZB haften. Und die wäre ohne die Lizenz zum Gelddrucken längst insolvent.
Manche werden mir nun entgegnen, dass Deutschland zuletzt ja nur extrem niedrige Zinsen zahlen musste. Dafür gibt es eine logische Erklärung: Die europäischen Anleger müssen das Geld ja irgendwo anlegen – gleichzeitig befürchten sie aber mit einem Auseinanderbrechen des Euro. Im Zeitpunkt dieses Auseinanderbrechens würde jeder katastrophale Verluste machen, der sein Geld im Süden angelegt hat. Hingegen geht es dann allen zumindest relativ gut, die ihr Geld in deutschen Staatspapieren investiert haben.
Doch das Auseinanderbrechen des Euro steht nicht auf dem Programm – obwohl vieles dafür spräche. Doch alles, was dafür spricht, sind Zwangsläufigkeiten der ökonomischen Logik. Dagegen sprechen jedoch die Zwangsläufigkeiten der politischen Logik. Und die laufen halt total konträr.
Zwar kann die Politik weder die physikalischen Gesetze noch jene der ökonomischen Grundrechnungsarten außer Kraft setzen. Aber sie kann sich lange weigern, sie zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie ihr nicht passen. So wie sie es etwa einst auch in der Frage getan hat, ob die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde kreist.
Damals war der Schaden nur einer für das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts. Im 21. Jahrhundert wird das Ignorieren wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten schwere Schäden für Wohlstand, soziale und damit auch politische Stabilität bringen. So wie das schon im 20. Jahrhundert einmal der Fall war.
Eine der wichtigsten Grundregeln der Ökonomie lautet: „Es gibt nichts umsonst. Ob es nun die Kosten eines Krieges (anschauliche Beispiele waren der erste Weltkrieg in Europa und die amerikanischen Kriege in Vietnam sowie Irak) oder die Kosten einer weit über die Produktivitätszuwächse hinausgehenden Wohlstandsvermehrung sind (wie der Ausbau des europäischen Wohlfahrtssystems seit den 70er Jahren). Am Schluss zahlt jemand die Rechnung. Durch Steuern, durch Wohlstandsverlust, durch Ausbeutung. Und wenn man glaubt, die Rechnungen einfach durch Gelddrucken bezahlen zu können, dann endet das in einer Megainflation oder im Staatscrash, also dem Ausbleiben von Beamten- oder Pensionszahlungen.“
Der jüngste EU-Gipfel hat dennoch so wie schon eineinhalb Dutzend Vorläufer einen Triumph der politischen Mechanik über die wirtschaftlichen Zwänge gebracht.
Der dumme Satz vom notwendigen "Vorrang der Demokratie über die Märkte" ist eine der besten Waffen der Politik. Denn er suggeriert mehrheitsfähig, dass es um eine Auseinandersetzung zwischen den braven und fleißigen Bürgern und irgendwelchen bösen „Banken und Spekulanten“ ginge. In Wahrheit aber sind gerade die Bürger langfristig das Opfer des Erfolgs der Politik über die Märkte. Der Ruf nach dem Vorrang der Demokratie über die Märkte hat aber ungefähr die gleiche Intelligenz wie die Aussage: „Die Demokratie muss Vorrang über das Gesetz der Schwerkraft haben.“
Eine weitere Waffe der Politik, um die Ökonomie zu knebeln, ist das, was man nur noch als Hetze gegen Deutschland beschreiben kann. Für Spanien, Italien, Frankreich & Co ist es kurzfristig viel angenehmer, sich durch Drohungen weiteres Geld aus Deutschland zu erpressen, statt mit unpopulären Maßnahmen die Staaten zu sanieren. Das ist psychologisch verständlich – auch wenn theoretisch allen klar sein müsste, dass das langfristig nicht funktionieren kann.
Das eigentlich Verblüffende ist, dass Deutschland diesem Druck regelmäßig nachgibt. Vor jedem EU-Gipfel verkündet Angela Merkel noch, hart zu bleiben. Nachher aber hat die vermeintlich starke Bundeskanzlerin doch wieder nachgegeben. Warum eigentlich?
Nun, ein entscheidender Faktor liegt zweifellos darin, dass es sehr schwer ist, ganz alleine in einem Gremium von 27 Regierungschefs gegen den Rest zu stehen. Irgendwann knickt die ostdeutsche Pastorentochter dann eben doch wieder ein. Nie ganz, aber jedes Mal ein Stück mehr.
Wenn einem eine ganze Nacht lang südeuropäische Regierungschefs anschreien, dass man die Totengräberin Europas sei; wenn daheim die linke Opposition in die gleiche Richtung argumentiert; wenn selbst der außerhalb der EU stehende US-Präsident Druck auf Merkel ausübt (weil natürlich auch Amerikaner Forderungen an Spanien & Co haben); wenn als letztes Totschlagsargument gegen Deutschland die Nazi-Keule bereitliegt; wenn ein Scheitern eines EU-Gipfels kurzfristig von den Märkten garantiert als Schock empfunden würde (dessen Heilsamkeit erst später offenkundig würde): Ja, dann lässt sich auch eine Angela Merkel doch wieder auf einen faulen Kompromiss ein. Obwohl man weiß, dass es den nationalen Interessen Deutschlands schadet. Obwohl Merkel bei einem Hartbleiben die deutliche Mehrheit der deutschen Bürger hinter sich hätte.
Zumindest ein Land beugte sich beim jüngsten Gipfel jedoch nicht dem allgemeinen Druck – auch wenn das erst Tage danach klar wurde. Es sind die Finnen, die immer sehr ruhig, aber umso konsequenter agieren. Sie erklärten drei Tage nach dem Gipfel, dass sie ein Veto gegen Staatsanleihenkäufe durch den Rettungsfonds ESM einlegen werden. Dabei hat das Gipfel-Kommunique noch in Hinblick auf die nur noch schwer verkäuflichen Anleihen Italiens und Spaniens angekündigt, dass man künftig bei Anleihenkäufen „flexibler und effizienter“ sein werde.
Auch etliche andere Nationen wie die Briten, Tschechen oder Schweden haben an sich eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Sie sind aber nicht im Euro. Sie haben daher jedes Interesse, nicht in dessen Strudel hineingezogen zu werden und verhalten sich daher bei Gipfeln eher ruhig. Die ebenfalls auf Stabilität bedachten Niederländer haben wiederum eine Wahl vor sich und sind daher ebenfalls zurückhaltend.
Die größte Enttäuschung bei diesem Gipfel war das Verhalten des österreichischen Bundeskanzlers. Er hat zwar seit seinem Amtsantritt nie außenpolitisches Gewicht erlangt. Es ist deshalb unbemerkt geblieben, dass er mit seinen Äußerungen in letzter Zeit zunehmend der französischen und italienischen Schuldenpolitik nahegerückt ist. Dabei sind Österreichs Interessen zweifellos in hohem Ausmaß identisch mit den deutschen. Also müsste sich eigentlich auch Österreich mit Händen und Füßen dagegen wehren, ständig noch mehr für die Schulden fremder Länder zu haften. Das tut aber Faymann nicht. Lediglich die Finanzministerin traut sich, die österreichischen Interessen zu vertreten, während sich ihre Parteifreunde im Außen- und Wirtschaftsministerium peinlich ruhig verhalten.
Nun kann man durchaus meinen, dass auch der jüngste Gipfel an sich nicht die ganz große Katastrophe darstellt. Die wurde vielmehr schon 2010 ausgelöst, als entgegen dem EU-vertraglichen(!) Verbot Griechenland von den EU-Partnern zum ersten Mal gerettet wurde. Damals hat Merkel nach wochenlangem Zögern zum ersten Mal dem französischen Präsidenten Sarkozy nachgegeben. Alle weiteren Folgefehler haben sich dann fast zwangsläufig aus diesem ersten Fehltritt ergeben.
Das Ergebnis: Würden alle Haftungen und Kredite, die via EZB-Geldschöpfung, Target-2-Kredite, EFSF, ESM, Währungsfonds oder bilateral an die Krisenstaaten vergeben wurden, schlagend, dann wäre selbst Deutschland bankrott.
Es ist in hohem Ausmaß wahrscheinlich, dass Deutschland sogar jetzt schon überfordert ist. Das werden auch immer mehr potenzielle Kreditgeber in den nächsten Monaten erkennen. Das hat man nur eine Zeitlang dadurch verbergen können, dass die Haftungen und Kredite für die Schuldenländer in so vielen komplizierten, für den Laien kaum durchschaubaren, aber in Wahrheit immer auf dasselbe hinauslaufenden Instrumenten verborgen sind.
Gewiss darf man auch die wenigen positiven Signale aus Europa nicht ignorieren: Irland hat sich durch braves Sparen weitgehend wieder erholt; Portugal hält tapfer sein Sparprogramm ein; Italien hat zumindest einen Primär-Überschuss (es gibt also als eines der wenigen Krisenländer weniger aus, als es einnimmt, wenn man die Bedienung der Kredite ignoriert).
Aber das deutet noch auf keine echte Wende. Das zeigt noch nicht, dass die Rettungs-Idee funktioniert. Deren Kern lautet ja: Die Anderen schießen Geld zu, um Zeit zu kaufen, in der sich die Schuldenländer sanieren können. Länder wiue Griechenland haben die Zeit in keiner Weise genutzt. Spätestens seit auch ein Schwergewicht wie Frankreich ganz auf Schulden setzt, ist diese Zeitkauf-Idee wohl weitgehend gescheitert.
Zu diesem Scheitern hat noch mehr beigetragen, dass in diesen beiden Jahren allen die Botschaft vermittelt wurde: Die Deutschen als Chefs der kleinen Gruppe, die noch ein bisschen kreditwürdig ist, machen am Ende doch nie wirklich ernst mit ihren Drohungen. Sonst wäre ja etwa Griechenland schon lange das Geld ausgegangen.
Signifikant für das peinliche Herumdoktern der EU-Chefs ist die Ankündigung einer neuen europäischen Bankenaufsicht durch den jüngsten Gipfel. Das klingt gut. Nur hat man schon im Vorjahr haargenau dasselbe getan: nämlich eine Europäischen Bankenaufsicht (EBA) geschaffen. Diese hat damals mit ihren Stresstests für die Banken viel Aufsehen erregt hat. Diese EBA hat freilich den spanischen Banken ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt – und zwar knapp bevor da einige davon in Konkursgefahr geraten sind und vom Staat gerettet werden mussten.
Daher weiß jetzt kein Mensch, wie künftig diese beiden Aufsichten miteinander und mit den zahllosen sonstigen nationalen und internationalen Bankenaufsehern (für Österreich etwa OeNB, FMA, BIZ, IWF, OECD) harmonieren werden. Auch die Regeln und Konsequenzen der neuen Bankenaufsicht sind völlig unklar. Denn eigentlich will ja gar niemand größere Banken in die Insolvenz schicken. Vor allem will aus Eigeninteresse kein Staat, dass die Banken damit aufhören, die Staaten weiter zu finanzieren. Dabei ist die Staatsfinanzierung – neben den Immobilienkrediten – zur größten Risikoquelle des Finanzsystems geworden und müsste eigentlich als erstes eingeschränkt werden. Also ist das ständige Gerede „Noch mehr Aufseher!“ nur ein Mittel zur Wählertäuschung.
Diese Bankenaufsicht Nr. 227 (oder so) dient nur dazu, den eigentlichen Trick des jüngsten Gipfels zu tarnen: Künftig sollen die diversen europäischen Fonds auch Banken direkt „retten“ können (die eben zur Rechtfertigung dieses Schritts künftig auch von der EZB beaufsichtigt werden). Selbst wenn dazu kein neues Geld in die Rettungsfonds gepumpt werden sollte, ist diese scheinbar harmlose Maßnahme gefährlich: Erstens zählen diese Kredite nicht zur nationalen Staatsverschuldung, gefährden also scheinbar nicht die ohnedies labile Kreditwürdigkeit der Südstaaten und deren Maastricht-Kriterien. Und zweitens bekommen die Rettungsfonds solcherart nicht die Möglichkeit eines direkten Drucks auf die Staaten, mehr zu sparen.
Ebenso ärgerlich ist, dass der ESM (in dem also ein Gutteil der deutschen und österreichischen Haftungen stecken wird) gegenüber Spanien den Status als bevorrechteter Gläubiger verliert. Womit die Hoffnungen auf einen Rückfluss der Gelder weiter reduziert worden sind.
Das mag die Wall Street und einige andere Gläubiger Spaniens freuen. Für die mitteleuropäischen Steuerzahler ist das eine schlechte Nachricht.
Statt von Sparen und Sanierung redet daher die Politik neuerdings lieber von einer „Schuldenbewirtschaftung“. Wenn dieses Wort überhaupt irgendetwas heißt, dann eines: Niemand denkt daran, jemals die Schulden wirklich zurückzuzahlen.
Das Konzept „Zeitgewinn zur Sanierung“ scheitert vor allem deshalb, weil die Nationalstaaten nie und nimmer die wirkliche Gesetzgebungs-Autorität an übergeordnete Institutionen abgeben. Aber selber sind die meisten Staaten unter dem Druck der Wähler offenbar zu keiner echten Sanierung imstande. Jedoch nur durch einen nicht vom Populismus der nationalen Parlamente und Regierungen abhängigen Insolvenzverwalter könnten die meisten Staaten saniert werden: Dieser müsste selbst Beamtenkündigungen durchsetzen, das Pensionsantrittsalter erhöhen, die Urlaube verkürzen, unproduktive Subventionen streichen und vieles andere ebenso Notwendige wie Unpopuläre tun können. Das wird ihm keine Regierung erlauben.
Statt die Einsetzung solcher Sparbevollmächtigter zur Bedingung zu machen, hat Europa den Schuldenstaaten immer weitere Schecks geschickt und nur dazu gesagt: „Wenn ihr nicht spart, gibt es aber beim nächsten Mal wirklich kein Geld mehr“. Das aber wird zunehmend zur europäischen Lachnummer.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.