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Selten noch ist die Unverfrorenheit der parteipolitischen Selbstbedienung so offenkundig geworden wie in den letzten Stunden in Kärnten. Die dortigen Enthüllungen und Geständnisse haben den Verdacht der Bürger rapide anwachsen lassen, dass Politiker jedes Mal mitschneiden, sobald sie bei irgendwelchen Vorgängen etwas zu entscheiden haben. Aus diesem Generalverdacht schöpfen überdies auch immer mehr Beamte ein persönliches „Vorbild“. Die Kärntner Untaten der Herrn Martinz, Haider und Birnbacher, in die zweifellos noch etliche andere involviert sind, schaden nicht nur den Tätern, nicht nur ihren Parteien, sondern auch der Demokratie insgesamt.
Viele Menschen haben nur noch Verachtung für die regierende Klasse über. Und diese Verachtung erreicht ausgerechnet in jenem Zeitpunkt den Gipfel, da quer durch Europa die unfassbaren und niemals bezahlbaren Rechnungen für die jahrzehntelange Schuldenvermehrung auf den Tisch donnern, die einzig zum Zweck einer sich ununterbrochen eskalierenden Wählerbestechung durch die Politik entstanden sind.
Wem sollen die Bürger da noch glauben? Es macht sich lähmender Nihilismus breit. Das einzige Glück dabei: Die Menschen dürften auch keinem starken Mann mehr glauben, der in den nächsten Jahren vorgeben sollte, den Saustall ausmisten zu können. Denn sie haben begriffen: Allzu viele Ausmister haben sich im Nachhinein selbst als die ärgsten Schweine entpuppt.
Was uns wieder nach Kärnten zurückführt. Jörg Haider hatte einen Teil seines Erfolgs dem ständigen Anprangern von politischen Schiebereien und Bereicherungen zu verdanken. Und jetzt wird klar, dass er in unglaublicher Kühnheit sich beziehungsweise seine Partei und den Koalitionspartner selbst zu bedienen versucht hat.
Offenbar bestätigt das die alte Erfahrung: Wer am lautesten „Dieb!“ schreit, wird selbst oft zum Langfinger. Wenn jemand wirklich alle für Verbrecher hält, käme er sich ja am Ende selbst dumm vor, wenn er selbst anständig bliebe. Oder er zeigt von Anfang an überhaupt nur zum Zweck der Ablenkung von den eigenen Untaten auf andere Täter.
Gesellschaften, in denen sich jeder selbst bis zum Maximum bedient – legal oder illegal –, sind zum Untergang verurteilt. Ohne eine moralische Wertebasis in der Mehrheit der Bürger kann keine Gemeinschaft mehr funktionieren. Sind wir schon soweit? Das weitgehende Aussterben von Religiosität in den westlichen Gesellschaften hat jedenfalls ein traditionell wirksames Fundament einer solchen Wertebasis verschwinden lassen. Auch die Nation oder irgendeine Ideologie als moralschaffende Motoren haben ausgedient.
Man kann aber als Individuum nur dann ohne größere psychische Defekte überleben, wenn man trotz allem nicht alle anderen und insbesondere nicht jeden Verantwortungsträger für einen Gauner hält.
Was aber tun? Es hilft wenig, ständig noch mehr Kontrollen zu installieren. Eine Kontrollinflation ist sogar meist kontraproduktiv. Sie führt ja nur zu immer noch mehr Bürokratie – und die ist automatisch der beste Dünger für weitere beamtete und politische Korruption. Jeder Kontrollor ist genauso ein potentieller Inkassant von Schmiergeld wie die Kontrollierten und damit eine zusätzliche Korruptionsgefahr.
Der viel effizientere Weg ist der einer Entmachtung von Politik und Verwaltung. Je weniger Politiker in einer Bank (wie im konkreten Fall bei der Hypo Alpen-Adria) oder einem Unternehmen zu reden haben, umso weniger können sie die Hand aufhalten. Je weniger Genehmigungen und Bescheide für normale wirtschaftliche Tätigkeiten notwendig sind, umso weniger kann dabei Schmiergeld verlangt werden. Je weniger Budget in der Verfügung eines Ministers steht, umso weniger kann er sich die Zustimmung von Zeitungen kaufen.
Freilich geht der Trend genau in die gegenteilige Richtung. Siehe etwa die Schuldenkrise: Die Politik schreit „Dieb!“ (vulgo: „Die Bankenspekulationen haben uns ins Unglück gestürzt!“); sie bekommt dafür den Jubel der ahnungslosen Bevölkerung; sie lenkt damit nicht nur vom eigenen Diebstahl (also der Schuldenexplosion der letzten Jahrzehnte) ab, sondern ermöglicht sich damit auch gleich den nächsten, noch viel größeren Diebstahl: Sie „reguliert“ die Banken, wofür wieder auf den Rängen Jubel aufbraust, und zwingt damit in Wahrheit die Banken und Versicherungen, mit weiteren Hunderten Milliarden die nächsten Schuldenaufnahmen der Staaten zu finanzieren.
Ebenso sinnvoll wäre die zumindest teilweise Entmachtung der Politik durch die direkte Demokratie. Wenn wichtige Entscheidungen nicht im Hinterzimmer gefällt werden können, kann auch viel weniger bestochen werden. Und es ist geradezu lächerlich, wenn ausgerechnet diese politische Klasse nun darüber zu urteilen versucht, in welchen Fragen die Bürger reif zur Entscheidung sind und in welchen nicht.
Noch einmal nach Kärnten: Die am Rande der Selbstauflösung stehende Kärntner ÖVP ist sicher noch nicht am Ende des Weges einer Aufarbeitung. Wenn Herr Martinz sagt, er habe 100.000 Euro für die Partei genommen, dann muss das Geld irgendwo hingekommen sein und muss daher auch zurückkommen können. Findet sich hingegen keine Spur des Geldes, dann hat Herr Martinz selbst noch ein viel größeres Problem, nämlich eines der persönlichen Bereicherung.
Und die Kärntner Freiheitlichen – ob Blau, ob Orange, ob Gestreift – haben überhaupt das allergrößte Problem: Sie müssen den Österreichern nun mit Erfolg weismachen, dass sie aus Großzügigkeit oder später Ehrlichkeit oder plötzlicher Vergesslichkeit auf die Abholung von sogar 500.000 Euro verzichtet haben, obwohl sie diese zuerst verlangt haben. So blau kann man gar nicht sein, um solche Geschichten zu glauben. Allerdings sind die Freiheitlichen ja beim Geschichtenerzählen total begabt: Einer ihrer früheren Mandatare ist sogar imstande, Menschen bis hin nach Taiwan mit Erfolg einzureden, für bei Vollmond abgefülltes Wasser dreimal so viel Geld auf den Tisch zu legen…
PS: Oder gibt es doch nichts Neues in der Nacht der Korruption? Die Überschrift dieser Betrachtung hat jedenfalls schon ein gewisser Johann Strauß vertont. Und ich selbst habe sie schon vor ziemlich genau einem Jahr verwendet.