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Bevor Deutschland zu Griechenland wird

In stürmischen Zeiten wie diesen zeigt sich das wahre Gewicht der Souveränität von Kleinstaaten. Es ist gleich Null. Sämtliche Entscheidungen in der europäischen Schuldenkrise laufen völlig an Österreich vorbei. Nicht einmal in den Diskussionen über ein zweifellos gewaltiges Problem ist das Land durch relevante Beiträge präsent gewesen. Dabei stimmt das verbreitete Vorurteil keineswegs, dass die EU-Institutionen ohnedies über die Mitgliedsstaaten drüberfahren würden. Denn in Wahrheit sind in den letzten zweieinhalb Jahren alle wichtigen Entscheidungen nicht in Brüssel, sondern in einem Mitgliedsland, nämlich Deutschland gefallen.

Lediglich in der Sarkozy-Periode hat noch ein zweites Land den Eindruck einer Mitsprache erwecken können. Der Rest war Deutschland. Dort hat 2010 Finanzminister Wolfgang Schäuble als erster die – problematische, aber wirksame – Parole ausgegeben, dass Griechenland nicht fallengelassen werde. Und nur dort werden im Herbst auch die nächsten Entscheidungen fallen.

Die werden in jedem Fall wieder gravierend sein. Nachdem sich die Hilfspolitik gegenüber Griechenland als reine Geldverbrennung erwiesen hat, werden nun die Stimmen immer lauter, das Land an der Ägäis doch fallenzulassen. Wobei es fast gleichgültig ist, ob das nun als Staatsbankrott im Euro oder als Ausscheiden aus dem Euro dargestellt wird.

Während etwa in Österreich selbst die kleinsten Andeutungen einer solchen Möglichkeit durch die Finanzministerin dieser sofort breiten Tadel in Politik und Medien einbringen, wird in Deutschland das Aus für Griechenland in aller Breite und Offenheit diskutiert. Schon an dieser Debatte – von der Politik bis zur Wirtschaftswissenschaft – sieht man das Selbstbewusstsein eines Landes, auf das es eben ankommt.

Warum hat Deutschland eine viel fundiertere Debatte?

Dahinter stehen zweifellos auch Qualitätsunterschiede im politisch-medial-wissenschaftlichen Personal. In Deutschland findet – und hört – man Hunderte Ökonomen, die tiefer analysieren als alle heimischen Experten. In der österreichischen Politik hat außer der Finanzministerin eigentlich niemand auch nur eine Ahnung über alle Aspekte und Zusammenhänge der Finanzkrise. Auch auf Beamtenebene finden in Wien einzig im Finanzministerium (zum Teil halböffentlich) spannende und substanzielle Diskussionen statt. Im Parlament, in Talkshows oder auf Professorenebene gibt es nur billige EU-Apologetik oder ebenso billige Anti-Aggression.

In Deutschland sind es vor allem CSU und FDP, die sich derzeit mutig in Richtung auf ein Aus für Griechenland positionieren. Dabei sind das in der Koalition jene Parteien, die sich bisher häufig duelliert haben, was wiederum Angela Merkel lange ermöglicht hat, den ruhenden und souveränen Pol zu spielen. Aber beide Parteien spüren jetzt offenbar stärker als Merkel oder Schäuble, wie unpopulär die Rettungspolitik ist. Und sie sehen daher angesichts schlechter Umfragen eine Profilierungschance.

Verdrängung ist ein Wert aus Österreich

Die deutsche Eskalation in Sachen Mut ist aber zweifellos auch durch die – erste – Verschlechterung des deutschen Ratings ausgelöst worden. Die Ratingagentur hat dabei im Grund jedoch nur logisch gehandelt: Wenn all die Haftungen schlagend werden, die Deutschland schon eingegangen ist beziehungsweise noch eingehen wird (sofern das deutsche Verfassungsgericht den „Rettungsschirm“ ESM erlaubt), und wenn der Großteil des verliehenen Geldes nie zurückgezahlt wird, dann ist auch Deutschland de facto pleite. Es gibt wenig Zweifel, dass diese Wenns von Monat zu Monat an Wahrscheinlichkeit zunehmen.

Dagegen verliert der Merkel-Spruch, dass die Hilfspolitik alternativlos wäre, rasch an Überzeugungskraft. Wenn das Ergebnis ihrer alternativlosen Politik ist, dass aus Deutschland Griechenland wird – und nicht wie versprochen umgekehrt –, dann wäre jede andere Alternative besser.

Das gilt natürlich genauso auch für Österreich. Nur wird das hier von keinem großen Medium, von keinem Minister, von keinem staatstragenden Ökonomen so artikuliert und analysiert. Die Österreicher feiern offenbar lieber so wie 1914 den wenn auch verregneten Sommer, während ringsum alles ins Zusammenbrechen kommt. Verdrängung ist ein Wert aus Österreich.

In Deutschland hingegen ist die Debatte so hart, dass auch schon manche von vorzeitigen Neuwahlen reden. Was natürlich der absolut falsche Weg wäre. Denn Neuwahlen lösen die Krise nicht, sondern machen nur jede Entscheidung noch schwieriger, wie Griechenland gezeigt hat.

Die anderen Schuldenstaaten schauen genau auf Griechenland

Eigentlich braucht es längst keine Debatte und kein Nachdenken mehr, ob man weiteres Geld nach Griechenland schicken oder ob man diesmal Nein sagen sollte. Denn: Auch wenn der Bericht der sogenannten Troika (EU, EZB, IWF) über die Hellenen noch aussteht, ist inhaltlich das Ergebnis völlig klar. Griechenland hat wieder nicht die versprochenen Reformen umgesetzt. Um das zu erkennen, muss man nur die Beschlüsse von Regierung und Parlament in Athen beobachten. Wenn die Troika keine Halluzinationen hat, kann auch sie nur zu einem negativen Urteil kommen.

Mit anderen Worten: Wenn Deutschland, wenn Europa wenigstens halbwegs glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen sie jetzt einfach ihre Ankündigungen einhalten. Die haben Hunderte Male klar gelautet: Keine Reformen, kein Geld.

Bei dieser Glaubwürdigkeit geht es keineswegs nur um einen abstrakten Wert, um eine wählerwirksame Tugendbolderei. Es geht vor allem um die Beispielswirkung. Denn wenn Griechenland noch einmal mit seinen Schmähs durchkommen sollte, dann hat das verheerende Konsequenzen in vielen anderen Ländern. In Italien und Spanien werden die Gewerkschaften noch viel heftiger gegen die Sparversuche der jeweiligen Regierungen kämpfen. Und auch Portugal wie Irland werden ihre Sparanstrengungen einstellen, wenn aus Berlin und Brüssel das Signal kommt, der – scheinbar – reiche Onkel zahle ohnedies weiterhin alle ungedeckten Schecks. Dabei haben diese beiden Krisenländer zumindest bisher recht ordentlich ihre zugesagte Sanierungspolitik umgesetzt, sind aber noch lange nicht am rettenden Ufer.

Das Dilemma der Angela Merkel

Der Kein-Geld-mehr-für-Griechenland-Mut von CSU und FDP wird aber auch in Deutschland keineswegs von allen geteilt. Rot und Grün treten mit Ausnahme von Exminister Steinbrück ständig für weitere Hilfen ein; die beiden Parteien haben sogar große Sympathien für Eurobonds und andere Formen einer fortgesetzten Schuldenübernahme.

Und Angela Merkel ist völlig verunsichert. Sie weiß: Wenn sie diesmal konsequent bleibt, werden von Helmut Kohl bis zu den vielen linken Medien, von der Brüsseler Kommission bis zu einer Vielzahl ausländischer Regierungen alle über sie herfallen und sie als Mörderin Europas geißeln, samt den üblichen Anspielungen auf die deutsche Kriegsschuld. Diese Rolle ist halt so gar nicht nach Merkels Charakter. Sie weiß aber auch, dass die gegenwärtige Stabilität selbst in Deutschland durch heftige ökonomische Turbulenzen bedroht ist, wenn wirklich ein erster EU-Staat fallengelassen wird. Das wird einen unberechenbaren Tsunami auslösen. Einen sanften Krisenausklang kann es nämlich gar nicht mehr geben.

Merkel ist vor allem in Hinblick auf die deutsche Volksseele unsicher: Werden ihre Landsleute begreifen, dass die bei einem Nein zu weiteren Griechenland-Geldern ausbrechenden Turbulenzen harmlos sind gegen das, was droht, wenn man noch einmal nachgegeben hätte? Wähler denken oft nicht über die Alternativen zu einer unangenehmen Entscheidung nach. Sie reagieren einfach empört, wenn ihnen die in jedem Fall unvermeidliche Rechnung präsentiert wird. Auch wenn sie ein paar Wochen davor noch ganz anders gedacht und nach einem Aus für die Griechenland-Hilfe gerufen haben.

Schmerzfreie Alternativen wird aber auch Merkel keine mehr finden. Dazu ist in Europa und in fast jedem einzelnen Land schon viel zu viel schief gelaufen.

Die Wagenknecht-Illusion

Eine schmerzfreie Alternative stellen auch die jüngsten Ideen der linken Sahra Wagenknecht nicht dar, auch wenn diese derzeit in Deutschland weithin als eine liberale Wende der Salonkommunistin gefeiert werden. Wagenknecht verlangt nämlich eine Ende der ständigen Rettung von Staaten und Banken. Das ist sicher richtig und ein klares liberales Prinzip. Alle anderen linken Politiker haben in den letzten Jahren hingegen ständig nach immer noch mehr „Solidarität“, also teuren Rettungsaktionen gerufen.

Wagenknecht schlägt aber zugleich vieles sehr Problematische vor. Sie will, dass den Staaten sofort alle 60 Prozent des BIP übersteigenden Schulden gestrichen werden. Und sie will auch, dass sich die Staaten künftig gleich direkt bei der Europäischen Zentralbank finanzieren können. Das wäre eine endgültige Katastrophe. Dann wäre jede Bremse für die Geldverbrennung durch die Regierungen beendet. Dann könnte niemand mehr darüber entscheiden, welches Land noch kreditwürdig scheint und welches nicht. Dann hätten die Staaten zugleich die Kontrolle über praktisch alle Banken.

Denn die wären alle bankrott, wenn kein Staat mehr Anleihen zurückzahlen würde (Sind doch fast alle Euro-Staaten mit mehr als 60 Prozent verschuldet). Mit einem Bankencrash wären natürlich auch die dort liegenden privaten Vermögen kaputt, die über eine Mindestsicherung hinausgehen. Nach einer Verstaatlichung der Banken würden Politiker bei der privaten Kreditvergabe heftig mitentscheiden. So wie sie es jahrzehntelang in Kärnten und bei fast allen anderen Landesbanken oder bei den einstigen Staatsbanken getan haben. Mit katastrophalen Folgen.

Aber dennoch zeigt die Wagenknecht-Diskussion eines: In Deutschland wird von allen Seiten wenigstens heftig diskutiert und nachgedacht. Worauf Österreich konsequent verzichtet.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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