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Alexis Tsipras hat absolut recht. Der Chef der linksradikalen Syriza-Partei Griechenlands – der beim nächsten Wahlgang noch weiter zulegen dürfte – hat nämlich selbstsicher verkündet: Niemand kann Griechenland aus dem Euroland werfen.
Ein Blick in die diversen europäischen Verträge bestätigt: Kein Land kann hinausgeschmissen werden, weder aus dem Euro-Raum noch aus der Europäischen Union. Damit haben sich EU wie Euro als Schönwetterprojekte entlarvt, die nun schon seit zwei Jahren völlig hilf- und schutzlos im Regen stehen. Damit machen sich auch alle jene Politiker in Österreich wie in Europa lächerlich, die den Griechen nun den Hinauswurf androhen. Das geht einfach rechtlich nicht.
Damit hat auch die EU-Kommission wahrscheinlich recht, die ständig beteuert, keine Vorbereitungen in diese Richtung zu treffen. Man kann nicht etwas vorbereiten, was man gar nicht kann und darf. Das andere Kommissare doch wieder von solchen Vorbereitungen reden, ist nur ein Zeichen des Chaos, das in Brüssel herrscht.
Die Trennung der Griechen vom Euro können nur die Griechen selber beschließen. Und die wollen ganz und gar nicht. Würde doch damit tatsächlich jene gewaltige Verarmung des Landes eintreten, über die die Griechen schon derzeit sehr beredt jammern, ohne dass sie noch wirklich eingetroffen wäre. Außerdem können die Griechen nicht nur aus dem Euro allein austreten, sondern müssten auch gleich die EU verlassen. Was sie genauso wenig wollen – auch wenn man dann natürlich im gleichen Atemzug um Neuaufnahme in die EU ansuchen könnte.
Daher klingt die – sofort wieder dementierte – neueste Idee Angela Merkels zwar verzweifelt, aber doch glaubwürdig. Sie soll den Griechen empfohlen haben, jetzt doch die im vorigen Winter noch von ihr selbst und allen anderen verdammte Volksabstimmung über einen Euroverbleib PLUS Zustimmung zu allen Sparmaßnahmen abzuhalten. Aber genau dieses Plus will ja die Mehrheit der Griechen nicht.
Heißt das nun, Europa ist wirklich so hilflos, wie es jetzt dasteht? Heißt das, Europa muss wirklich alternativlos einfach immer neues Geld in die ausgebrannten Kessel Griechenlands & Co schaufeln? So wie es das ja schon seit zwei Jahren in Billionen-Dimension tut – von den ersten bilateralen Griechenland-Hilfen über die diversen Kommissions- und EZB-Aktionen, übers hemmungslose Gelddrucken, über die Finanzierungen auf kollektiven Pump via Währungsfonds und die komplizierte „Fazilität“ EFSF bis zu dem ebenso komplizierten und destabilisierenden „Stabilisierungsmechanismus“ ESM?
Ganz und gar nicht. Europa hat mindestens drei Optionen. Freilich ist es nicht so sicher, dass in irgendwelchen Staatskanzleien diese Optionen auch wirklich schon genau durchkalkuliert worden wären. Denn populär wird man auch damit nicht. Keine dieser Optionen ist schmerzfrei, jedoch ist jede sinnvoller als die gegenwärtige Schmerzbehandlung für die europäische Krankheit, die nur eine reine Symptomkur ist.
Über diese Optionen hätte man eigentlich schon in den 90er Jahren bei der Gründung des Euro entscheiden müssen. Was man aber nicht geschafft oder gewollt hat. Und man ist ihnen erst recht im Mai 2010 aus dem Weg gegangen, als Griechenland erstmals bankrott war.
Die erste Option würde keiner neuen europäischen Verträge bedürfen. Sie bedeutet einfach: Man lässt Griechenland auch wirklich so wie im Vertrag vorgesehen bankrott gehen. Das wäre zwar ein Schock für das Land, aber die logische Konsequenz aus allen jenen Fehlern, die die Griechen selbst zu verantworten haben – in der lügenreichen Vergangenheit ebenso wie erst recht durch das jüngste Wahlergebnis. Dann könnte die griechische Regierung etwa den Beamten und Pensionisten höchstens die Hälfte des monatlichen Schecks zukommen lassen. Und so weiter.
Aber genau dieser Schock würde am ehesten das auslösen, worum sich die Griechen derzeit so klagenreich herumdrücken: Privatisierungen, Deregulierungen, Beamtenabbau, Abbau von Kündigungsschutz, echte Öffnung für ausländische Investoren usw. Ob die Griechen dann auch zur Drachme zurückkehren, ist da schon eine sekundäre Frage.
Freilich soll niemand glauben, dass dieser an sich logische Weg für das Ausland ein einfacher oder gar billiger wäre. Zahlreiche ausländische Banken und Versicherungen müssten dann durch die eigene Regierung vor den Auswirkungen eines Domino-Effekts geschützt werden. Denn sonst würden auch die jeweils eigenen Unternehmen des Landes mitgetroffen werden, wenn ihre Bankkonten plötzlich nichts mehr wert wären. Wobei es freilich nicht sein dürfte, dass bei der Bankenrettung Bankaktionäre und -mitarbeiter ungeschoren davonkämen. Sie müssten einen Teil des griechischen Ausfalls selber tragen. Nur die schuldlosen Kunden sollten geschützt werden.
Eine weitere Konsequenz einer griechischen Insolvenz würde viele europäische Regierungen treffen: Sie alle hätten dann noch viel größere Probleme bei der eigenen Refinanzierung. Denn jeder Geldgeber würde nach einem endgültigen Bankrott Griechenlands noch viel intensiver als schon jetzt nachdenken, bevor er Italien, Spanien, aber auch Frankreich und vielen anderen Staaten weiter gutes Geld zur Verfügung stellen würde. Das würde für diese Länder die Schuldenaufnahme zumindest neuerlich verteuern.
Allerdings: Dieser Effekt ist schon im Vorjahr bei der erzwungenen Umschuldung der privaten Inhaber griechischer Anleihen in hohem Ausmaß eingetroffen. Diese Umschuldung war eine besonders dumme Aktion: Das Ausland hat viele negativen Folgen getragen, ohne dass man die Griechen zu einer echten Reform zwingen hätte können.
Griechenland bankrott gehen zu lassen, kommt ganz Europa teuer. Aber es nicht bankrott gehen zu lassen, sondern weiter zu „helfen“, kommt noch viel teurer. Und es verhindert vor allem weiterhin, dass die Griechen endlich wirklich selber sanieren. Und auch kein anderes Land wird das dann tun. Sondern alle Bürger würden glauben, dass man nur links- oder rechtspopulistisch wählen, ein bisschen demonstrieren sowie „Occupy!“ rufen müsste. Und schon zahlt weiter ein anderer für sie.
Damit kommen wir zur zweiten Option: Die EU beschließt ein echtes Insolvenzrecht. Das erfordert eine Vertragsänderung, und dauert daher wahrscheinlich in einer akuten Notsituation zu lange. Aber jedenfalls gilt hier der Satz: Besser spät als gar nicht. Die Schaffung eines solchen Staateninsolvenz-Gesetzes wäre jedenfalls viel dringender als all die zahllosen Banken-Regulierungsversuche der letzten Jahre. Denn die Staaten sowie deren verlorene Wettbewerbsfähigkeit und nicht so sehr die Banken sind der zentrale Kern des europäischen Dilemmas.
Eines solchen Insolvenzrechts hätte es schon bei Fixierung des Euro zumindest für den Euro-Raum bedurft. So wie es ja auch innerhalb jedes Landes für zahlungsunfähige Firmen genau geregelte Abläufe gibt. Im Zentrum steht dabei immer ein sogenannter Masseverwalter. Der übernimmt in dem insolventen Land beziehungsweise in der insolventen Firma alle finanziell relevanten Geschäfte. Interessanterweise wird neuerdings in der Europäischen Zentralbank genau darüber nachgedacht.
Das bedeutet freilich eine vorübergehende Aushebelung der Verfassung und Demokratie. Das ist daher eine extrem heikle Operation. Das würde die Gefahr eines revolutionären Chaos verstärken. Das wäre aber wohl im Gegensatz zur ersten Option ein viel klarer geordneter Umgang mit der Zahlungsunfähigkeit eines Landes. Daher sollt unabhängig davon, wie es kurzfristig in Griechenland weitergeht, dieses Insolvenzrecht die erste Priorität auf der europäischen Agenda werden.
Womit wir zur dritten Option kommen. Die heißt: Wenn die Griechen nicht aus dem Euro austreten wollen, können es ja die anderen tun. Das ist freilich eine gewaltige Vertragskonstruktion, die da geschrieben werden müsste. Denn so wie die Griechen nicht nur aus dem Euro austreten können, können es auch die anderen Länder nicht. Sie müssten formal auch die EU verlassen und EU wie Euro neu gründen. Dabei werden die Austretenden auch den Zurückbleibenden – also jedenfalls den Griechen – gegenüber schadenersatzpflichtig. Wobei man freilich auch alle von Athen verursachten Schäden gegenrechnen kann.
Eine solche Neugründung könnte natürlich auch genutzt werden, die vielen Fehler der EU-Konstruktion zu beseitigen. Da hat sich ja im Verlauf von mehr als einem halben Jahrhundert Vieles angesammelt oder als schädlich erwiesen: Vetorechte, Nichteinhaltung der eigenen Regeln, undemokratische Bevorzugung von Kleinstaaten gegenüber den Großen, der unheilvolle Drang zur Überregulierung, unklare Verhältnisse zwischen Nato- und neutralen Ländern, usw.
Mit anderen Worten: Es bräuchte wohl Jahre, um all das zu klären. Niemand hat einen besseren EU-Vertrag fertig in der Lade, der auf zumindest mehrheitliche Zustimmung stieße. Zugleich würde eine neue, bessere Union wahrscheinlich etliche Mitglieder verlieren, die auf dem Weg des Willensbildungsprozesses verloren gingen.
Erst recht würden solche Verluste an Mitgliedern auch bei einem neu zu zimmernden Euro-Raum der Fall eintreten. Denn während man die EU ja auch schlanker machen könnte und sollte, könnten an einem Euro-Neu zweifellos nur Länder teilnehmen, die sich einem klaren und zwingenden Regime unterwerfen würden (anstelle der skurrilen Maastricht-Kriterien, die vom ersten Tag an nie eingehalten worden sind).
Ein solcher Verlust wäre aber sicher kein großer Schaden. Hat man doch in dieses Europa immer wieder Länder aufgenommen, die (noch) gar nicht hineinpassen. Die man aber „aus politischen Gründen“ zu früh aufgenommen hat.
Über all diese drei Optionen muss – müsste – zum Beispiel der von Michael Spindelegger in der Vorwoche gegründete Kreis von reformwilligen Ministern intensiv nachdenken. Ob aus dem mehr wird als aus so vielen anderen Nachdenkrunden?
Das Teuflische ist: In Europa brennt der Hut so lichterloh, dass alle Entscheidungen binnen weniger Wochen getroffen werden müssten. Und dabei sollen gleichzeitig in diesen Wochen auch noch ganz schwierige Pakete durch die nationalen Parlamente beschlossen werden: neben der Verpflichtung zur Schuldenbremse auch der neue, viele weitere Hundert Milliarden teure Stabilisierungsmechanismus ESM.
Dieses Paket hängt freilich auch aus einem anderen Grund in der Luft. Denn sowohl die deutschen wie auch die französischen Sozialisten lehnen nun die Pflicht zu einer Schuldenbremse ab. Was zwar ein neuerlicher schwerer Stoß des sich breit machenden Populismus für die Stabilität Europas wäre. Was aber wieder leichte Hoffnung macht, dass damit wenigstens auch der ESM tot sein könnte (den aber wieder die Sozialisten gerne hätten!).
Heute hat Europa die Rechnung für Hunderte faule, den Grundrechnungsarten der Ökonomie widersprechende Kompromisse auf dem Tisch. Es ist dadurch selbst längst von arger Fäulnis befallen. Die proeuropäischen Sprüche mancher Politiker und EU-Journalisten gleichen daher längst nur noch dem Pfeifen im Walde.