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Wie man aus einem Überschuss einen Mangel herbeiredet

Oberösterreich kämpft um eine eigene Medizin-Universität. Mit Petitionen marschieren Landeshauptmann und regionale Tageszeitung Richtung Wien, um eine solche neue Uni durchzusetzen. Wer könnte da schon etwas dagegen haben? Gesundheit ist wichtig und populär. Oberösterreich ist groß und das wirtschaftlich erfolgreichste Bundesland. Da haben seine Exponenten ernstgenommen zu werden, wenn sie von einem wachsenden Ärztemangel sprechen.

Nur sollte man als betroffener Steuerzahler über die prestigeorientierte Uni-Kampagne der Oberösterreicher hinaus auch die wirklichen Fakten kennen. Etwa die Tatsache, dass zwar manche Ärzte super verdienen (wofür sie auch intensivst arbeiten), dass es aber anderen keineswegs so gut geht. Von diesen klagen viele, dass sie keinen Kassenvertrag bekommen. Und Kassenärzte wiederum klagen über lächerliche Honorarsätze. Wenn für viele Leistungen nur einstellige Euro-Beträge bezahlt werden, dann würde jeder Elektriker nur darüber lachen, um dieses Geld auch nur einen Finger rühren zu sollen. Bei solchen Ärzte-Honoraren steigt natürlich die Versuchung zur Verrechnung von fiktiven oder Scheinbehandlungen. Als Folge sehen beispielsweise in vielen Ordinationen die Patienten nur noch die Ordinationshilfe, die ihnen Rezepte ausstellt.

Aber nehmen wir einmal an, diese Eindrücke täuschen, und wir haben wirklich zu wenig Ärzte. Dann sollte vor allem einmal damit angefangen werden, fertige Mediziner auch ordentlich als Ärzte zu beschäftigen. Dann sollte man Uni-Absolventen rasch und gezielt die nötigen Praxisjahre in Spitälern ermöglichen. Lange Wartezeiten auf solche Ausbildungsplätze sind eine absurde Verschwendung menschlichen Potenzials.

Eine besonders blöde Folge dieser Absurdität ist, dass Österreichs Unis die Mediziner zuerst teuer ausbilden, dass viele dann aber mangels guter Ausbildungsangebote nach Deutschland gehen. Wo es nämlich einen echten Ärztemangel gibt.

Noch absurder ist es, wenn Ausbildungs- und Turnusärzte dann in vielen öffentlichen Spitälern Dinge wie Blutabnahmen machen müssen, die in privaten Spitälern die Krankenschwestern machen. Dadurch können sie sich nicht auf ärztliche Tätigkeiten konzentrieren. Hier müsste die Politik endlich einmal den Kampf mit den mächtigen Krankenschwestern-Gewerkschaften und der Allmacht mancher Oberschwestern aufnehmen. Diese organisierte Arbeitsverweigerung der Krankenschwestern in etlichen Spitälern ist umso unverständlicher, als es keineswegs einen Mangel an Nachwuchs für den Krankenpflege-Beruf gibt.

An all diesen Fronten gibt es also viel Sinnvolleres und Notwendigeres zu tun, statt um Steuergeld eine neue Universität aufzubauen.

Österreich hat mehr Ärzte als jedes andere EU-Land

Eine neue Uni ist aber in Zeiten explodierender Schulden auch aus einem weiteren, noch stärkeren Grund unsinnig: Trotz all dieser Unzukömmlichkeiten gibt es in Österreich sehr viele Ärzte. Wie das IHS und die OECD berechnet haben, gibt es in Österreich weit mehr praktizierende Ärzte als in jedem anderen EU-Land. Bei uns kommen auf 1000 Einwohner nicht weniger als 4,7 Ärzte, im EU-Schnitt sind es hingegen nur 3,2 bis 3,3. Erstaunlich.

Im Detail: Bei den praktizierenden Fachärzten hat Österreich eine um 18 Prozent größere Dichte als die alten EU-Staaten. Und bei den Allgemeinärzten sind es sogar 69 Prozent mehr. Lediglich bei den Zahnärzten gibt es ein Minus von 17 Prozent. Obwohl ich rund um die Beißwerkzeuge niemanden kenne, dem nicht umgehend eine schmerzende Zahnwurzel behandelt würde. Was also auch dort auf keinen großen Ärztemangel deutet.

Die Ärztezahlen gehen auch im zeitlichen Vergleich steil nach oben. Die Dynamik des Zuwachses an berufsausübenden Ärzten ist gewaltig. Ihre Zahl wächst fast so rasch wie die Staatsschuldenquote. Gab es 1970 nach Ärztekammer-Angaben noch 12.438 Ärzte, so waren es 40 Jahre später nicht weniger als 40.103. Also mehr als drei Mal so viel. Zum Vergleich: Die Bevölkerung hat sich in diesem Zeitraum (durch Zuwanderung) nur um 12 Prozent vermehrt.

Die Zahlen zeigen auch kein spezifisches Oberösterreich-Problem: Denn dort hat sich in den letzten zehn Jahren die Menge der ihren Beruf ausübenden Ärzte um mehr als 39 Prozent vermehrt (das ist ein stärkerer Zuwachs als in jedem anderen Bundesland außer Niederösterreich).

die Ärzteschwemme wird aber auch außerhalb Oberösterreichs gerne verschwiegen. Denn Österreich versucht ja gerade der EU einzureden, dass ihm ein Ärztemangel drohe, wenn es nicht weiterhin die reservierte Österreicher-Quote an den heimischen Universitäten verteidigen kann.

Dabei wären mit einer einzigen Maßnahme alle diese Probleme beseitigt; dann könnten die Oberösterreicher Medizin-Unis bauen, so viel sie wollen: Es müsste nur das Studium durch kostendeckende Beiträge finanziert werden. Dann würde sich ein ganz natürliches Gleichgewicht einpendeln.

Dann hätte der Staat nur noch zwei Aufgaben: Erstens müsste er durch eine unabhängige und strenge Qualitätskontrolle am Anfang wie am Ende des Studiums sicherstellen, dass keine Unis geldgierig wird und Billigdoktoren zu produzieren beginnt. Und zweitens müsste er für jene Studenten, die sich zwar bei Aufnahmetests als qualifiziert erweisen, die aber von armen Eltern stammen, ausreichende Stipendien finanzieren.

Warum kämpfen aber die Oberösterreicher auch ohne Ärztemangel um eine eigene Medizin-Uni? Vielleicht wollen da ein paar Primare neue Visitenkarten mit „Univ.Prof.“ drauf?

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