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Rußland: Das Leben mit der Gaunerei

Ach ja, Russland hat gewählt. Genauer gesagt: Eine Wahlen genannte Inszenierung hat stattgefunden.

Wenn die Machthaber jeden relevanten Gegner an der Kandidatur hindern oder gleich einsperren, wenn die Medien noch parteitreuer agieren müssen als die österreichischen Inseratenempfänger (was etwas heißt!), dann ist es müßig zu debattieren, wie viele der behaupteten Prozent Wähler des Wladimir Putin echt und wie viele Produkte diverser Manipulationen waren. Das waren schlicht keine Wahlen, die diese Bezeichnung verdienen. Daher sind auch die Prozente egal.

Bei einer solchen Inszenierung war es geradezu logisch, dass die wenigen auf dem Stimmzettel angebotenen Personalalternativen noch grauslicher wirken mussten als Wladimir Putin selber. Der wiedergewählte Präsident aus dem Geheimdienst wird aber dennoch sicher nicht über die Proteste stolpern, die jetzt ob der Farce in Sachen Demokratie wieder allenthalben aufflammen. Dazu ist die Apathie der Russen viel zu groß. Dazu fehlt Russland auch jedwede Tradition in Sachen Revolution oder bürgergesellschaftlichem Engagement. Hat es doch in der gesamten Geschichte zwischen Petersburg und Moskau immer nur Putschs von kleinen Gruppen gegeben, bei denen sich bestenfalls die herrschende Elite abgewechselt hat.

Der große Katzenjammer wird wohl erst ausbrechen, wenn sich das totale Scheitern der russischen Wirtschaftspolitik in seiner ganzen Dimension herausstellt. Der Kern des Übels: Russland ist auch zwei Jahrzehnte nach dem Kommunismus eine reine Rohstoffwirtschaft geblieben. Mit Rohstoffen kann man aber immer nur einen kurzfristigen Boom finanzieren. Langfristig erfolgreich sind immer nur jene Staaten und Regionen, deren Hauptrohstoffe Fleiß, Disziplin und Ausbildung heißen.

Man denke nur an Portgual und Spanien, die einige Generationen lang mit dem Gold aus Amerika eine große Blüte inszenieren konnten, nach dem Ausbleiben des Goldes aber in eine Dauerkrise gesunken sind und die seit Jahrzehnten von den Milliarden der nördlichen EU-Staaten leben. Auf der anderen Seite zählen Länder ganz ohne nennenswerte Rohstoffe wie die Schweiz, Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Singapur, Hongkong, Vietnam, Südkorea heute zu den erfolgreichsten und reichsten Plätzen der Erde.

Russland hingegen hat es mit den vielen Milliarden Dollar aus Gas, Öl, Diamanten, Gold und etlichen anderen Bodenschätzen bisher in keiner Weise geschafft, eine moderne Industrie- oder Dienstleistungs-Ökonomie zu entwickeln. Das hereinströmenden Geld strömte vielmehr sofort wieder hinaus: in den Konsum der breiten Masse zum einen, und zum anderen in die kriminelle Korruption und Selbstbedienung einer kleinen Oberschicht. Diese bedient sich so, ganz wie es im Kommunismus die Nomenklatura getan hat. Von den Zeiten der KPdSU-Diktatur unterscheidet sich das heutige Russland ja überhaupt nur in wenigen Punkten:

  • Die Profiteure haben es viel leichter, ihre Geld ins Ausland zu tragen (wovon neben vielen Luxusurlaubszielen auch Wiens Juweliere und Luxuswohnungs-Verkäufer heftig profitieren);
  • es gibt relativ wenige politische Gefangene;
  • man kann frei reisen (wenn man das Geld hat);
  • die Öl- und Gaspreise boomen nach Jahrzehnten der Stagnation;
  • die Fassade einer längst ohnedies von niemandem mehr geglaubten Ideologie ist gefallen; sie ist allerdings durch nichts ersetzt worden außer durch dumpfe Nostalgie nach der vermeintlichen Größe der Sowjetzeit und ein seltsames Bündnis mit der orthodoxen Kirche, bei der sich Macht und Klerus gegenseitig instrumentalisieren. Ansonsten herrscht dumpfe geistige Leere.

Der Rest ist gleichgeblieben: Personenkult; eine unglaubliche Macht des Geheimdienstes; Paranoia gegenüber dem insgeheim bewunderten westlichen Ausland; eine tiefe Entfernung zwischen den Machthabern einerseits und der Masse auf dem Land beziehungsweise in den depressiv machenden Plattenbausiedlungen der vielen gesichtslosen Städte andererseits; und eine sinnlos große Militärrüstung, die auch heute noch viele der raren technischen Kapazitäten des Landes verschwendet.

Umso mehr zu bewundern ist der tapfere Kampf der kleinen intellektuellen Schicht vor allem in den beiden großen Städten. Dort setzen sich Tausende für Werte, für Recht und Freiheit ein. Sie wollen wider alle Realitäten die Tradition des großen Russlands der Dichter und Komponisten irgendwie fortsetzen – obwohl gerade das Kulturbürgertum im Kommunismus durch Gulag und Folterkeller sowie dann durch die Emigration nach Deutschland, Israel und Amerika mit langanhaltenden Folgen dezimiert worden ist.

Diese Bewunderung für das aufbegehrende Bürgertum heißt aber nicht, dass es einen Sinn hätte, von außen die Zukunft Russlands zu beeinflussen. Der Westen muss immer mit dem real existierenden Russland leben und sich arrangieren, was schon für die letzten 210 Jahre eine gute Strategie gewesen wäre. Die Russen sind auch unter dem zeitweise säbelrasselnden Putin keine Feinde, sondern ein bedauernswertes Volk, das eindeutig mehr zu Europa gehört als etwa der Islam.

 

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