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Die europäische Diplomatie jubelt. Und insbesondere tut das die österreichische. Beide glauben endlich wieder einmal einen wirklichen Erfolg erzielt zu haben. Unter starkem Druck der EU und unter intensiver Mitwirkung Österreichs ist erstmals ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo zustandegekommen. Und das öffnet nun auch gleich den Weg Serbiens Richtung EU-Beitritt. Doch: Ist das wirklich ein Erfolg? Jubelt die misserfolgsgeplagte Union da nicht eine diplomatische Missgeburt hoch?
Die Zweifel sind mehr als berechtigt. Wieder einmal hat man sich in Europa anstelle klarer, logischer und nachvollziehbarer Entscheidungen mit halben Sachen zufrieden gegeben. Lauter halbe Sachen machen aber noch keine einzige ganz. Das, was man in den letzten Jahren ganz besonders an der inkonsequenten Stabilitäts- und Währungspolitik ablesen konnte, zeigt sich auch bei der Frage nach Ländergrenzen, nach staatlicher und juristischer Identität. Nicht ist eindeutig, nichts konsequent.
Die Zweifel an dem jüngsten „Durchbruch“ in Sachen Serbien-Kosovo heißen keineswegs, dass die Serben nicht ein willkommener Teil Europas wären. Sie sind sehr wohl ein stolzer und durchaus wichtiger Teil der europäischen Identität. Woran die schwierige österreichisch-serbische Geschichte mit ihrem Kulminationspunkt 1914 nichts ändert.
Jedoch dürfte ein denkendes und selbstbewusstes Europa mit keinem Land über einen Beitritt auch nur reden, wenn man nicht präzise weiß, wo dieses Land anfängt und wo es aufhört. Und das weiß man bei Serbien auch nach diesem oberflächlichen Formelkompromiss mit dem Kosovo noch keineswegs. Denn während sich der Kosovo selbst als unabhängiger Staat ansieht, während das auch schon rund die Hälfte der Staatengemeinschaft so sieht, zählt Serbien die ehemals autonome Provinz des Tito-Staates Jugoslawien nach wie vor staats- und völkerrechtlich zu seinem eigenen Hoheitsgebiet.
Dieser Dissens ist nun nicht durch eine Entscheidung oder gar einen Konsens gelöst worden, sondern durch einen der üblen diplomatischen Kompromisse: Belgrad hat in seinem von der EU patronisierten Abkommen mit dem Kosovo durchgesetzt, dass dabei durch eine Fußnote auf eine alte UNO-Resolution Bezug genommen wird. In dieser wird das Kosovo als Teil Serbiens bezeichnet. Auf den Punkt gebracht heißt diese Konstruktion: Man setzt Abkommen durch, in denen sich beide Vertragspartner zwar als Staaten behandeln, schreibt aber gleichzeitig hinein, dass der eine Vertragspartner kein Staat ist.
Alles klar? Für die EU offenbar ja. Und für Österreich auch, das besonders stolz darauf ist, erstmals seit langem wieder außenpolitisch mitgemischt zu haben. Was zwar stimmt, aber das Ergebnis nicht besser macht.
Dieses Europa träumt ständig davon, eine Großmacht zu sein. Es ist aber dennoch bereit, Mitglieder mit unklarer Identität aufzunehmen. Denn die Unklarheit über den Kosovo macht natürlich auch Serbiens Grenzen selbst unklar. Kann man sich sonstige Großmächte vorstellen, die so etwas hinnehmen – oder gar noch bejubeln?
China etwa bricht mit jedem Land sofort die Beziehungen ab, welche das kleine Taiwan, die Republik China, anerkennt. Russland setzt an seinen Südgrenzen sogar immer wieder seine Armee zur Klärung solcher territorialer Fragen ein.
Das heißt nun nicht, dass sich Europa inhaltlich an diesen beiden Unrechtsstaaten ein Beispiel nehmen soll. Aber Europa sollte sich auch nicht ständig als inkonsequent und knieweich lächerlich machen. Das hat es freilich schon des öfteren gemacht. Insbesondere durch die Aufnahme Zyperns und durch die Beitrittsgespräche mit der Türkei.
Hält doch die Türkei einen wichtigen Teil Zyperns militärisch besetzt und hat sie doch dort einen von sonst niemandem anerkannten Staat gegründet. Womit ein Vollmitglied der EU nur in einem Teil des Unionsterritoriums der Jurisdiktion der Union unterliegt. Wenn man den Anspruch einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aber ernst nimmt, wenn man den gemeinsamen EU-Rechtsraum durchdekliniert, dann ist das absurd. Denn man muss zu folgendem Schluss kommen: die Türkei hält völkerrechtswidrig einen Teil der EU militärisch okkupiert; sie wird dennoch dafür in keiner Weise bestraft, sondern durch Beitrittsverhandlungen sogar belohnt.
Auch in anderen Territorialfragen ist Europa von faulen Kompromissen gebeutelt: Griechenland kann – trotz all seiner eigenen schweren Sünden – seit vielen Jahren die volle Anerkennung des neuen Balkanstaates Mazedonien blockieren. Was die Griechen nur deshalb tun, weil sie meinen, der Name Mazedonien gehöre exklusiv ihnen (aus weit mehr als 2000 Jahre zurückliegenden Gründen). Und die restliche EU lässt sich solche neurotischen Ansprüche gefallen.
Ebenso dubios ist die Haltung der EU zu Bosnien-Herzegowina. Dort hält Europa krampfhaft an der Einheit dieses Staates fest. Eine solche Einheit wird aber von einem großen Teil der dortigen Bevölkerung abgelehnt, sie entspricht auch in keiner Weise der realen Machtstruktur. Vor allem die bosnischen Serben führen weitgehend ein von den europäischen Fiktionen – die derzeit von dem österreichischen Diplomaten Valentin Inzko vertreten werden – losgelöstes Eigenleben.
Solcherart kann sich das lebensfremd komplizierte Gebilde Bosnien-Herzegowina niemals wirtschaftlich aus seiner Krise heraus entwickeln. So wie etwa auch das Kosovo. Niemand investiert in Gebieten mit ungeklärten staatlichen und territorialen Rahmenbedingungen.
Was aber tun? Die Lösungsformel ist längst entwickelt: Sie heißt Selbstbestimmungsrecht. Dieses wird in den meisten angesprochenen Fällen zur Bildung neuer Staatsgebilde führen. Diese wären auch ökonomisch oft besser aufgestellt als Großgebilde, die auf juristisch-politischen Fiktionen beruhen. Siehe die blühenden Kleinststaaten Liechtenstein und Luxemburg, siehe den wirtschaftlichen Erfolg der Slowakei nach der Trennung von der Tschechoslowakei (trotz der üblen Prophezeiungen, welche einst die Sezession begleitet haben).
Eine solche Politik auf Basis des Selbstbestimmungsrechts wäre die einzig ethisch, demokratisch und rechtlich begründbare. Sie würde im Kosovo – als Ergebnis sauberer und international überwachter Referenden – wohl bedeuten: Volle staatliche Souveränität für den Kosovo, Wechsel der serbisch bewohnten Grenzgemeinden zu Serbien und Wechsel der albanisch bewohnten südserbischen Gemeinden zum Kosovo.
Da aber auch andere europäische Staaten am Souveränitätsanspruch über Gebiete beharren, deren Bevölkerung mehrheitlich nicht zu diesen Staaten gehören will, ist die EU auch in dieser Frage zu keiner klaren Politik imstande. Man denke nur an das Baskenland oder an Südtirol, wo die Grenzen jeweils nur auf der Macht der Gewehre, aber nicht auf einer demokratischen Legitimität beruhen. Daher ist für Spanien und Italien das Selbstbestimmungsrecht tabu.
Manche verteidigen den Anspruch Serbiens auf das Kosovo damit, dass das Kosovo einst ein rein slawisches Territorium war. Das ist zwar richtig. Aber es wäre dennoch absurd, heutige Gebietsfragen mit Jahrhunderte zurückliegenden Fakten zu begründen.
Aus der ethnischen Verschiebung im Kosovo kann man jedoch noch etwas ganz anderes lernen: Nicht nur Eroberung, sondern auch Migration kann zur Verschiebung von staatlichen Identitäten oder Grenzen führen. Daher sollte man doch immer auch für das Mitteleuropa von heute genau prüfen, zu welchen Veränderungen großdimensionierte Wanderungsbewegungen samt unterschiedlicher Geburtenfreudigkeit langfristig führen können. Diese Gefahren zu beachten, wäre klug und keineswegs wie manchmal behauptet fremdenfeindlich.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.