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Die syrische Wahl: ein Diktator oder ein Weltenbrand?

In Syrien tobt ein grässlicher Bürgerkrieg. Tausende Tote, Massaker an unbewaffneten Demonstranten, Folter und vieles mehr sind dem Regime des Präsidenten Bashar al-Assad anzulasten. Es gibt auch für entfernte europäische Beobachter keine Zweifel mehr, dass die Mehrheit der Syrer seine Absetzung will. Dennoch tut die Außenwelt nichts, um Assad zu stürzen. Und das ist – verständlich.

Denn so klar all das ist, was gegen den syrischen Machthaber spricht, so viele Gründe gibt es auch gegen eine militärische Intervention von außen.

Primär mangelt es ja schon an Nationen, die zu einem solchen blutigen Unterfangen überhaupt bereit wären. Denn die syrische Armee ist trotz der Desertion Tausender Soldaten noch immer hochgerüstet und schlagkräftig. Außerdem liegt Syrien nicht so bequem wie Libyen am Mittelmeer vor der Haustür Europas. Es kann also nicht leicht von europäischen Flugplätzen aus bombardiert werden.

Darüber hinaus sind selbst Frankreich und Großbritannien alles andere als begeistert von der Idee einer Wiederholung des libyschen Abenteuers an einem neuen Schauplatz. Hat Libyen doch viel mehr gekostet und länger gedauert als anfangs erwartet. Gleichzeitig stehen beide Länder heute wirtschaftlich noch viel schlechter da.

Und sonst ist schon gar kein westliches Land bereit, für Syrien zu sterben. Das müssen auch alle jene kriegslüsternen Kommentatoren einsehen, die beim Einlangen von Schreckensberichten wie eben jetzt aus Syrien immer gerne zum Kampf rufen. Auch wenn sie meist nur bis zum letzten Amerikaner kämpfen wollen. Immer wieder rufen ja gerade jene Österreicher lautstark zu Interventionen, die zugleich unter Berufung auf die Neutralität strikt gegen jeden Beitrag Österreichs an einer militärischen Verteidigung sind. Umso grotesker ist es, zu einer Intervention in einem anderen Land, also einem Angriff zu rufen.

Gefahr eines großen Krieges

Der stärkste Argument gegen eine militärische Intervention ist aber wohl die Gefahr, dass daraus ein größerer regionaler Krieg werden könnte. Wenn der Westen etwas tun wollte, könnte er das praktisch nur unter Beiziehung Israels – schon aus geographischen Gründen. Damit aber würde automatisch ein große panarabisch-panislamische Solidarität zugunsten Assads ausgelöst werden.

Aber selbst wenn Israel, das noch immer am Golan syrisches Territorium besetzt hält, draußen gehalten werden könnte, sollte man nicht vergessen, dass Assad starke Verbündete hat. Daran ändert die Tatsache nichts, dass sich diese angesichts der Gräuelberichte derzeit nicht allzu laut äußern. Der wichtigste Verbündete ist zweifellos Iran. Aber auch die irakische Führung ist insgeheim auf der Seite Syriens (und sowieso immer des Irans).

Beide Nachbarn sind ja schiitisch geführt und haben daher kein Interesse, dass in Syrien die sunnitische Bevölkerungsmehrheit den Alewiten Assad stürzen kann. Die Alewiten sind eine eigene Religionsgemeinschaft, die den Schiiten traditionell nahe steht, die auch vorislamisch-persische Wurzeln hat. Und die von den Sunniten immer wieder verfolgt worden ist, insbesondere von den Osmanen.

Fast folgerichtig ist die Türkei, also der Nachfolgestaat der Osmanen, auch der einzige Nachbar, der offene Sympathien für die Syrer zeigt. Aber auch die hochgerüstete Türkei hat wenig Lust auf Kriegsabenteuer. Muss sie doch schon ihre Kräfte auf den Kampf gegen die unruhigen Kurden konzentrieren.

Schließlich spielt die syrische Führung selbst in einem weiteren Nachbarland, dem Libanon, eine starke Rolle. Rund die Hälfte des dortigen politischen Establishments ist von Syrien abhängig oder sogar gelenkt. Damit ist auch der Libanon automatisch Teil jeder Auseinandersetzung um Syrien.

Assad stützt ein labiles Kartenhaus

All diese Verwicklungen zeigen: Syrien ist die wahrscheinlich wichtigste Karte in einem labilen Kartenhaus, das bei einem Angriff auf Assad von außen mit großem Getöse zusammenstürzen würde. Und „Getöse“ bedeutet höchstwahrscheinlich nichts anderes als einen mehrere Nationen umfassenden Krieg, wenn nicht gar einen Weltkrieg.

Denn gleichzeitig mit der syrischen Krise eskalieren ja auch die Spannungen um Irans knapp vor einem „Erfolg“ stehende Atomrüstung. Vor allem Israel denkt immer intensiver nach, diese iranische Atombombe im letzten Augenblick durch einen massiven Luftangriff zu verhindern.

Unklare Rechtslage

Jenseits dieser legitimen Ängste vor einem neuen Weltenbrand gibt es natürlich auch völkerrechtliche Argumente gegen eine Intervention von außen. Denn bei aller Erregung über ein Mörderregime hat im Völkerrecht noch immer die Staatensouveränität höchste Priorität. Rein humanitär motivierte Interventionen zum Schutz der Bevölkerung sind rechtlich heftig umstritten, solange daraus keine konkrete Bedrohung anderer Länder erwächst. Es sei denn der UNO-Sicherheitsrat erlaubt diese zumindest indirekt, wie etwa im Fall Libyens.

Dieser UNO-Sicherheitsrat ist aber bisher nicht imstande gewesen, zu Syrien eine Resolution zu beschließen. Russland und China haben eine solche mit ihrem Vetorecht bisher verhindert. Dafür werden sie nun weltweit heftig gescholten. Mit gutem Grund: Ihre Motive sind zweifellos weniger Ängste vor einem Krieg als das Interesse an Öl und Gas. Wenn der russische Außenminister vor „einseitigen Sanktionen“ gegen Assad warnt, dann ist das besonders widerlich. Soll man am Ende als „zweite Seite“ auch die Bevölkerung durch Sanktionen bestrafen?

Dennoch dürften viele westliche Staatsmänner insgeheim froh sein über dieses doppelte Veto. So können sie vor ihren eigenen Bürgern mit spitzen Fingern empört auf die beiden östlichen Mächte zeigen. Sie ersparen sich aber eine Antwort auf die Frage, ob sie selber einen riskanten, teuren und ergebnisoffenen Einsatz mit vielen Opfern wagen sollen.

Christen und Frauen müssen am meisten fürchten

Lässt man einmal die Kriegsgefahr und das Völkerrecht beiseite: Wäre ein Sturz Assads wirklich ganz eindeutig als positiv zu werten, so wie es jetzt ein Großteil der Welt meint? Ich zweifle, auch wenn ein solcher Sturz zweifellos viele positive Folgen hätte.

Positiv wäre neben einer Erfüllung des Verlangens der Bevölkerungsmehrheit – 75 Prozent sind Sunniten und daher großteils Assad-Gegner – auch die Hoffnung auf ein Ende der syrischen Einmischung im Libanon. Vor allem aber würde ein Sturz Assads einen heftigen Dämpfer für Iran bedeuten, die potentiell aggressivste Macht im Nahen Osten. Der Iran ist ja nicht nur durch die baldige Atombombe, sondern auch durch seinen Einfluss im Irak (Amerika sei Dank) heute sehr stark.

Man sollte aber nicht auf die Gefahren eines Sturzes Assads vergessen: Vor allem den religiösen Minderheiten wird es nachher schlechter gehen. Das ist schon aus Analogie zu den Vorgängen in Ägypten mit Sicherheit zu sagen. Das trifft neben den Alewiten (rund 6 Prozent) und Schiiten insbesondere auf die Christen zu (in Ägypten 10, in Syrien 15 Prozent). Sie sehen, wie die Aggression des sunnitischen Mobs gegen die Christen in Ägypten zugenommen hat; sie sehen, wie der „befreite“ Irak Hunderttausende Christen in die Flucht gezwungen hat; sie sind daher von nackter Angst erfüllt. Unter Assad haben sie zwar keine Demokratie, aber ein ungestörtes Leben, solange sie sich nicht politisch betätigen.

Auch die syrischen Frauen können in Syrien relativ emanzipiert leben. Auch ihnen verheißen die repressiven und islamistischen Tendenzen in Ägypten nichts Gutes.

Ägypten und Irak sind auch noch aus einem weiteren Grund ein schlechtes Exempel: Denn das fatale Schicksal der dortigen Expräsidenten zeigt dem syrischen Machthaber ein Menetekel, was auch ihm drohen könnte. Er und seine Clique hängen jedoch naturgemäß sehr am Leben und daher auch an der Macht.

Konklusion: So übel das Vorgehen Assads gegen die aufrührerischen Sunniten auch ist, so klar sollte es doch sein, dass ein militärisches Eingreifen wenig Sinn hat und vielleicht noch mehr negative als positive Folgen hat. Das sollte man zumindest aus dem Beispiel Irak gelernt haben.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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