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ACTA gehört nicht ad acta

Alle Welt kämpft seit ein paar Tagen wie auf Knopfdruck gegen das internationale Anti-Piraterie-Abkommen ACTA. Es wird wild dagegen demonstriert. Fast alle Parteien lehnen ACTA plötzlich lautstark ab. Fast kein Politiker wagt es mehr, ausdrücklich dafür zu sein. Muss da nicht dieses Abkommen eigentlich ziemlich gut sein, wenn all diese Parteien und die üblichen Demonstranten dagegen sind?

Diese erste Reaktion auf die ACTA-Aufregung wird freilich durch eine zweite zugegebenermaßen ebenso emotionslastige konterkariert: Bauen sich hier nicht die Behörden ein gewaltiges Großer-Bruder-Instrument, mit dem sie die Meinungsfreiheit einschränken können?

Die dritte Reaktion widerspricht sowohl der ersten wie auch der zweiten. Die blindwütige Ablehnung von ACTA ist dumm, aber volle Begeisterung dafür wäre ebenso dumm. Denn selten stoßen zwei diffizile und wichtige Rechtsgüter so frontal aufeinander wie in dieser Frage: auf der einen Seite die Freiheit, nicht um die Früchte seiner Arbeit bestohlen zu werden, auf der anderen die Freiheit, nicht vom Staat überwacht und zensuriert zu werden.

Die Inszenierung lautet: David gegen Goliath

Die ACTA-Gegner spielen geschickt das David-Goliath-Spiel: Große Konzerne und die USA wollen den kleinen Internet-Usern und den ahnungs- und hilflosen EU-Europäern an die Gurgel. Sie stellen falsche und manipulative Vorwürfe gegen ACTA ins Internet, besonders unter Nutzung von YouTube. Da wird mit starken Bildern suggeriert, dass man künftig sogar dann verfolgt werde, weil man seiner Mutter ein Mail schickt.

All diese Vorwürfe sind durch keinen Buchstaben des Abkommens fundiert. Es ist auch absoluter Unsinn und polemische Fiktion, wenn von einem Geheimabkommen geredet wird. ACTA liegt wie jedes Gesetz und jeder internationale Vertrag den Parlamenten mit einem voll publizierten Wortlaut ohne geheime Zusätze zur Zustimmung vor. Und gäbe es doch noch geheime Zusätze, wären die natürlich ungültig und von keinem Gericht anerkannt.

Der ACTA-Text ist wie bei jedem Vertrag und Gesetz natürlich von Experten und nicht basisdemokratisch auf Marktplatz oder im Audimax formuliert worden. Dort ist noch nie ein brauchbares Gesetz entstanden. Und mit den Occupy- oder Attac-Chaoten könnte es auch hinter Polstertüren schon gar nicht zustandekommen. Das würde zum gleichen Chaos führen wie bei der von Greenpeace und Global 2000 ausgelösten und derzeit total kollabierenden UNO-Klimahysterie.

Vor allem aber sind die durch ACTA geschützten Urheber keineswegs nur große Konzerne, sondern auch Hunderttausende kleine Musiker, Komponisten, Autoren, Schauspieler, Designer, Ingenieure, Techniker, Werbegurus und viele andere, die mit viel Plage ein geistiges Werk herstellen, die eine unbekannte Marke zu einer weltweit angesehenen machen. Aber auch große Konzerne können ja nicht auf Grund ihrer Größe einfach für vogelfrei erklärt werden, wie es die Linke gerne täte. Ganz abgesehen davon, dass sie Millionen Mitarbeitern Brot und Lohn geben, dass ihre Aktionäre in der großen Mehrheit ganz normale Sparer sind.

Sie alle werden betrügerisch um einen guten Teil des Entgelts ihrer Arbeit gebracht, wenn jemand etwa in der Textilbranche ein Markenlabel fälscht, wenn jemand im Internet „gratis“ einen Film, ein Musikstück, einen Text kopiert.

Von Red Bull bis zur Staatsoper

Dabei geht’s nicht nur um die Interessen der offenbar automatisch bösen Amerikaner. Man denke nur an die beiden österreichischen Stars, die in den letzten Jahrzehnten auf dem internationalen Markenhimmel aufgegangen sind: Red Bull und Swarovski. Beide haben mit erstaunlich simplen Produkten (geschliffene Glasscherben und einem süßen Getränk mit Himbeergeschmack) sowie raffiniertem Marketing Weltmarken geschaffen, die Milliarden Euros nach Österreich geschaffen haben.

Es ist daher extrem selbstbeschädigend, wenn österreichische Parteien den volkswirtschaftlichen Wert eines modernen Markenschutzes nicht erkennen. Genauso zentral gerade für dieses Land sind die scheinbar „nur“ immateriellen Produkte von Philharmonikern, Staatsoper und anderen Kreativen.

Zugleich sind es keineswegs nur die vielzitierten „Kleinen“, die von einer Verletzung des Markenschutzes profitieren. Hinter den Fälschungen und Raubkopien, die man auf asiatischen Märkten, an italienischen Stränden und im Internet angeboten findet, stecken durchaus ertragreiche Großkonzerne und nicht Robin-Hood-Studenten. Von denen borgt man sich höchstens das Image. Dies hat erst vor ein paar Tagen die Verhaftung eines millionenschweren deutschen Gangsterbosses in Neuseeland gezeigt, der mit Internet-Kopierdiebstahl einen extrem luxuriösen Lebensstil finanziert hat.

Bei vielen Anti-ACTA-Demonstranten steckt hinter den zutiefst sympathischen „Freiheit!“-Parolen ein bemerkenswerter, wenn auch nie zugegebener Wertwandel. Sie wollen, ohne es offen auszusprechen, Kinderpornographie und Diebstahl durch die Hintertür legitimiert bekommen. Eine ganze Generation will nicht durch effizientere Kontroll-Maßnahmen am Stehlen gehindert werden. Sie erachtet Raubkopieren als ein neues Menschenrecht. Das ist freilich eine ganz andere Freiheit als die der Aufklärung, die immer in den Rechten und Freiheiten der anderen ihre Grenzen fand.

Zur Verteidigung dieses Rechts auf Diebstahl werden schwere Kampftruppen in Stellung gebracht. Dazu zählen einerseits die Anonymous-Piraten, die ständig mit Megaschäden Internet-Seiten hacken und zerstören, wenn jemand anderer Meinung zu sein wagt als sie. Sie haben etwa jüngst harmlose Leser und Gesprächspartner einer konservativen deutschen Wochenzeitung (Junge Freiheit) auf niederträchtige Weise kollektiv mit Namen und Adressen als „Nazis“ an den Internet-Pranger gestellt. Die internationalen Polizeibehörden haben sich auch in allen anderen Fällen als erstaunlich hilflos gegen diese Anonymous-Gangster gezeigt, die im Internet immer geschickt ihre Spuren zu verwischen verstehen.

Eine weitere effiziente Kampftruppe sind die neuen Piratenparteien, die in einigen europäischen Ländern zuletzt wie ein Feuerwerk aufgestiegen sind. Diese haben sehr vielen anderen Parteien Furcht und Schrecken eingejagt, weshalb sie jetzt ohne lange nachzudenken eilfertig jede Aktion gegen ACTA unterstützen. Von einer Suche nach einer gerechten Abwägung zweier widerlaufender Interessen ist also bei den meisten Aktivisten keine Spur.

Ginge es den Anonymous- und Piraten-Jugendlichen wirklich um das hehre Ziel der Meinungsfreiheit im Internet, dann würden sie nicht primär gegen ACTA demonstrieren, sondern gegen jene europaweiten Gesetze, welche – beispielsweise zuletzt unter dem Vorwand „Kampf der Verhetzung“ – die Meinungsfreiheit radikal eingeschränkt haben. In Hinblick auf die reale wie die virtuelle Welt.

Um diese Meinungsfreiheit muss man sich jedoch ernsthaft sorgen. Political Correctness und der in die Gerichte transferierte Kampf der Linken gegen andere Auffassungen und Überzeugungen haben heute in der Mehrheit der Menschen mit gutem Grund die Überzeugung wachgerufen, dass man nicht mehr frei seine Meinung sagen kann. Das ist der wahre Skandal dieser Zeit. Dieser geht Hand in Hand mit dem unerträglichen Realsozialismus aller Parteien und Behörden, der jede menschliche Handlung, insbesondere wenn sie eine unternehmerische ist, bis ins letzte Detail kontrollieren und überwachen will.

In dieser Zeit ist das Internet ein Refugium geworden. Dort kippt dann freilich der unsterbliche menschliche Freiheitsdrang, die Sehnsucht nach offenem Meinungsaustausch oft in einen unerquickliches Extrem: Im Schutz der Anonymität werden sonst gesittet wirkende Bürger zu bösartigen Denunzianten, sie schimpfen und höhnen, was das Zeug hält. Das Internet ist auch in einem abstoßenden Ausmaß von Pornographie überschwemmt. Und eben von einem milliardenschweren Business mit dem Diebstahl geistigen Eigentums.

In einer Welt, in der noch vor kurzem jede Postkarte wie selbstverständlich von Zensoren untersucht werden konnte, in der bei vielen Paketen heute noch Zöllner neugierig hineinschauen können, ist das eine totale Gegenwelt. Zwischen diesen beiden Welten gibt es keine dialektische Synthese, sondern nur Konflikte – oder schrittweise Annäherungen.

Selbst wenn die meisten von den ACTA-Gegnern verbreiteten Vorwürfe nicht stimmen, ist bei nüchterner Betrachtung der Verdacht nämlich nicht ganz ausgeräumt, dass ACTA zu weit geht. Es geht wohl zu weit, wenn „Beschuldigte“ verpflichtet werden, alle Informationen beizuschaffen, wenn Internet-Provider automatisch alle Daten herausrücken müssen.

Das ist vor allem dann bedenklich, wenn eben gleichzeitig der Verdacht besteht, dass die Kompetenzen der Exekutive und Justiz genutzt werden können, um auch Meinungsdelikte zu überwachen. Zwar sind die übelsten Meinungsjäger gerade die Anonymous-Typen mit ihren Bloßstellungaktionen. Aber auch die EU und die Strafbehörden haben in den letzten Jahren massive Meinungskontroll-Attitüden angenommen, die scharf abzulehnen sind.

Die Lösung heißt: Meinungsfreiheit

Was also sollten die jetzt in Entscheidungsnot gekommenen Regierungen tun? Sie müssten durch ein mutiges wie offenes Vorgehen das verlorene Vertrauen zurückerringen. Und zwar durch eine doppelte Strategie:

Einerseits führt kein Weg zu mehr Vertrauen an einer Rücknahme aller Meinungsdelikte vorbei. Diese schränken vor allem im Zuge der linken Correctness wie ein Würgegriff die Freiheit der Bürger immer mehr ein. Wenn sich Menschen wieder auf Marktplätzen und bei Diskussionen ganz offen ihre Meinung auszusprechen trauen, wird auch viel Druck aus dem Internet herauskommen. Dann ist es ganz egal, ob ich meinen Standpunkt als „Donald Duck“ getarnt im Netz sage oder unter meinem vollen Namen in der Öffentlichkeit. Das würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Internet die Umgangsformen zivilisieren. Das würde zugleich jene, die weiterhin unflätig schimpfen wollen, als nicht ganz zurechnungsfähig von selbst ins Abseits stellen.

Andererseits muss es aber möglich werden, weltweit mit wirklicher Effizienz gegen Fälschungen und Raubkopien vorzugehen. Ein globales System ist nicht überlebensfähig, in dem man von chinesischen, russischen oder karibischen IP- und Server-Adressen aus fast jedes Verbrechen begehen und decken kann. Vom Diebstahl bis zu der millionenschweren Produktion von Kinderpornographie, einer ganz besonders widerlichen Tätigkeit.

Jedoch wird auch kein System überlebensfähig sein, in dem man nur diese Pornographen und Diebe bekämpft, aber nicht gleichzeitig den Bürgern ihre geistige Freiheit zurückgibt.

 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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