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Die medialen Rückblicke auf das abgelaufene Jahr haben uns mit einer Fülle von interessanten wie überflüssigen Daten überhäuft. Das aber, was wahrscheinlich einst als weitaus Wichtigstes an den vergangenen Monaten in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist nirgendwo herausgearbeitet worden. Es ist ein absolut historischer Paradigmenwechsel, der zwar nicht mit einem bestimmten Tag zu verknüpfen ist, der aber 2011 seinen Kulminationspunkt erreicht hat.
Er besteht in einer zentralen Erkenntnis, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet hat: Der Wohlfahrtsstaat funktioniert nicht mehr. Er hat sich wie die Brot-und-Spiele-Politik der römischen Cäsaren als nicht nachhaltig aufrechterhaltbares Pyramidenspiel entpuppt, das im alten Rom ebenso wie im Nach-Weltkriegs-Europa nur noch zum befristeten Machterhalt einer ausgelaugten politischen Klasse gedient hat. Das aber irgendwann zusammenbrechen musste.
Denn parallel mit dem wirtschaftlichen Kollaps schwirren ja auch noch andere, aus der Geschichte ebenfalls gute bekannte Todesengel über Europa, die letztlich nur andere Ausformungen der Wohlfahrtsillusion sind. Der eine trägt die Botschaft: „Europa ist nicht mehr imstande, sich selbst zu verteidigen“. Es wechselt fast überall von der Wehrpflicht zu einem Söldnersystem.Dabei müssen aber heute schon etliche europäische Länder verzweifelt im Ausland nach potenziellen Soldaten suchen. Aber alle historischen Exempel beweisen: Völker, die nicht mehr die Kraft zur Selbstverteidigung haben, gehen unter; ausländische Söldner kassieren zwar gerne, sterben aber nur sehr ungern für fremde Menschen.
Der andere Todesengel, der am Grab des Wohlfahrtsstaates lauert, verkündet: „Europa stirbt durch einen Geburtenstreik aus.“ Diesen Streik kann man seit 40 Jahren an den viel zu geringen Geburtenzahlen ablesen. Eine Generation, die nur noch zum selbstsüchtigen Genuss ohne die Last der Kinderaufzucht imstande ist, geht ohne Nachfahren rasch zugrunde. Sie wird lieblos entsorgt werden. Die Geschichtsbücher werden dazu nur sagen: Zu Recht.
Natürlich gibt es noch Menschen, die noch eine Zeitlang an der Wohlfahrtsillusion festhalten wollen. Dies tun vor allem jene Politiker und insbesondere Gewerkschaftsfunktionäre, die dieser Illusion die eigene Machtstellung verdanken. Etliche von ihnen suchen noch immer nach Tricks, mit denen die Wohlfahrts-Mühle noch weiter angetrieben werden kann. Sie tun das in jedem europäischen Land mit unterschiedlichem, aber generell zwangsläufig abnehmendem Erfolg.
Der Kern der Illusion hat in dem Glauben an die Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft bestanden, die immer mehr Menschen immer mehr Wohltaten ohne Gegenleistung zukommen lässt: immer längere und immer sinnlosere Gratisstudien und Scheinausbildungen; immer kürzeres Arbeiten; immer mehr Förderungen zur Bedeckung aller möglichen, oft künstlich geschaffenen Ansprüche und Bedürfnisse; immer bessere Gesundheitsversorgung; immer längere Rentenbezüge; immer mehr Möglichkeiten, auch schon vor dem Rentenalter auf Kosten anderer zu leben.
Wer aber sind diese anderen? In den ersten Nachkriegsjahren hatte der Antrieb der Wohlstandsmühle durch das hohe Wachstum des Wiederaufbaus funktioniert. Später war es hilfreich, dass als Spätfolge des Krieges und des Babybooms relativ wenige Pensionisten zu versorgen waren. Dann hat das System durch immer höhere Besteuerung funktioniert.
Doch auch diese ist längst an eine Grenze angekommen. Die allermeisten Steuererhöhungen bringen nur noch ein Minus in die öffentlichen Kassen. Jüngstes und besonders anschauliches Musterbeispiel ist die österreichische Kursgewinnsteuer, welche die Umsätze an der Wiener Börse dramatisch einbrechen hat lassen. Das hat Kapital und Kapitalsucher natürlich prompt ins Ausland vertrieben. Das hat natürlich dem gesamten österreichischen Steueraufkommen schwer und dauerhaft geschadet.
Dasselbe lässt sich auch bei fast jeder anderen Steuerform auch für fast jedes andere Land durchdeklinieren.
Das gilt besonders bei jeder Form einer Reichensteuer. Denn die Reichen sind ja meist an ihrem Geld interessiert (wer einem Buffet, einem Soros oder einem Haselsteiner glaubt, dass diese nicht an ihrem Geld interessiert wären, ist einem besonders simplen Schmäh, dem sogenannten Gutmenschtrick, ihrer PR-Berater zum Opfer gefallen). Die Reichen sind aber auch meist durchaus intelligent (sonst wären ja nur die wenigsten von ihnen reich geworden) und finden am schnellsten Wege, ihren Reichtum so zu verlagern – meist in andere Länder –, dass ihn die gierigen Steuereinheber nicht erwischen können.
Daher ließ sich in den letzten Jahren die auf historischem Rekordniveau befindliche Abgabenquote in kaum einem europäischen Land mehr erhöhen. Da blieb der Politik nur noch ein Ausweg: Die sich immer schneller drehende Wohlfahrtsmühle auf Schulden zu finanzieren. Das ging etliche Zeit gut. Es gab sogar einige sogenannte, schwer ideologisierte Wirtschaftsforscher, die ein Loblied auf die Schuldenwirtschaft sangen.
2011 aber sind die Geldverleiher endlich zur späten Erkenntnis gekommen, dass die sich immer verschuldenden Staaten wahrscheinlich ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Und sie drehten folgerichtig den Geldhahn für die meisten europäischen Staaten zu. Sie taten dies vor allem ab jenem Zeitpunkt im globalen Gleichschritt, als die EU plötzlich dekretierte, dass eines ihrer Mitgliedsländer seine Anleihen privaten Anlegern nur noch zur Hälfte zurückzahlen müsse.
Damit scheint die Wohlfahrtsillusion endgültig ausgedient zu haben. Oder doch nicht? Die Politik zauberte in diesem Augenblick genau jenen Trick hervor, den schon fast alle historischen Fürsten, Könige und Kaiser knapp vor dem Zusammenbruch praktiziert haben. Historisch wurde der Edelmetallgehalt der Münzen immer mehr ausgedünnt, also das Geld immer weniger wert. Das bedeutet in der Gegenwart den Beschluss, unbegrenzt Geld zu drucken. Was ebenfalls zwangsläufig zur Geldentwertung führt. Die amerikanische Notenbank beschloss dies einige Monate früher, die Europäische Zentralbank ganz am Ende des Jahres.
Die EZB tut dies dadurch, dass sich alle europäischen Banken bei ihr praktisch unbegrenzt und praktisch unentgeltlich ohne ausreichende Pfänder langfristig Geld ausleihen konnten.
Der technische Weg des Gelddruckens ist aber ohnedies fast gleichgültig. Was viel entscheidender ist: Die Notenbanker haben damit jedenfalls die Illusion ihrer Unabhängigkeit, ihrer Orientierung am Geldwert zerstört. Sie sind schwächliche Erfüllungsgehilfen verzweifelter und daher zum letzten entschlossener Politiker.
Das Gelddrucken der EZB – die bezeichnenderweise unter einem italienischen(!) Chef steht – hat natürlich zu Jahresende noch einmal eine belebende Wirkung gehabt. So wie es davor bei der amerikanischen Fed der Fall war. Ähnlich werden ja auch Rauschgiftsüchtige noch einmal glücklich, wenn mitten in die Qualen einer Entziehung doch noch eine Lieferung des Giftes platzt. Sogar Italien konnte in dieser mit Geld überschwemmten Banklandschaft in der letzten Jahreswoche seine abgereiften Anleihen wieder refinanzieren.
Das ändert natürlich nichts mehr an der weiteren Entwicklung. Denn die Menschen, die Wirtschaft und vor allem das Ausland werden sehr rasch merken, dass Euro wie Dollar eine beliebig vermehrbare Masse geworden sind. Ein solches Geld spart man nicht, sondern will es schnellstmöglich wieder loswerden. Von Spielzeugwährungen wie dem ungarischen Forint gar nicht zu reden. Das muss zwangsläufig zu einem weiteren Anstieg der Inflation führen. Dieser Anstieg wird sich nicht mehr in der bisherigen Dimension von dem einen oder anderen Zehntelprozent pro Monat bewegen.
Eine rapide steigende Inflation führt zwangsläufig zu einem Schwinden aller Ersparnisse, zu weiterer Kapitalflucht und damit zu einem nicht mehr abwendbaren Crash. Jeder konsumiert rasch noch einmal, niemand investiert mehr.
Seit 2011 sagen das nicht mehr nur ein paar neoliberale Skeptiker. Die Erkenntnis ist Allgemeingut der Bürger geworden. Womit wir wieder beim Beginn dieser Überlegungen sind: Die Bürger sind empört über das Zusammenbrechen der ihnen jahrzehntelang von praktisch allen Parteien gegebenen Wohlfahrtsversprechen und Sicherheitsgarantien. Sie sind aber auch zornig auf sich selbst, weil sie diese Lüge einer ewig gefüllten Wundertüte geglaubt haben.
Werden die Bürger nun Fünf nach Zwölf auch die schmerzhaften Konsequenzen eines Scheitern des Wohlfahrtsstaates hinnehmen? Oder werden sie sich in irgendwelche radikalen, aber perspektivenlosen Abenteuer stürzen? Werden sie noch einmal den Politikern mit ihren verlogenen Sündenbockkonstruktionen glauben, dass die Banken, die Reichen, die Spekulanten, die Juden, die Unternehmer und wer sonst immer schuld seien? Wird es auch in anderen Ländern mutige Politiker wie Mario Monti geben, die dort vielleicht sogar schon Fünf vor Zwölf den Wohlfahrtsstaat beerdigen und den Staat retten?
Die Hoffnung ist klein, aber sie stirbt zuletzt.