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Lasst die Gedanken frei – und scheinen sie euch auch böse

Kein Zweifel: Die Türken haben an den Armeniern am Rande des Ersten Weltkriegs einen Völkermord begangen. Das ist nicht nur durch Franz Werfels großes Werk bewiesen. Ebensowenig Zweifel gibt es aber auch an einer zweiten Erkenntnis: Die von Frankreich jetzt eingeführte strenge Bestrafung der Leugnung dieses Genozids ist ein ziemlicher Schwachsinn.

Diese Diagnose hängt überhaupt nicht mit den wilden Reaktionen des türkischen Machthabers Erdogan zusammen. Diese Reaktionen wecken im Gegenteil eher Sympathien für Frankreich. Diese Diagnose hängt auch nicht damit zusammen, dass durch das französische Gesetz den türkischen Ambitionen, der EU beizutreten, das bisher wirksamste Stopplicht entgegengesetzt worden ist (obwohl es dabei gar nicht um den Beitritt geht). Eine türkische EU-Mitgliedschaft ist zwar abzulehnen, weil sie aus vielerlei Gründen den Untergang der Union bedeuten würde. Aber diese Ablehnung sollte man bitte mit ehrlichen Begründungen und nicht über die Völkermord-Bande kommunizieren.

Schon gewichtiger bei der Kritik am französischen Beschluss, die Leugnung eines Völkermords mit Strafe zu belegen, ist dessen Hauptmotiv: Es geht nämlich im Wahrheit nur um die Stimmen der relativ großen armenischen Gemeinde bei der nächsten Präsidentenwahl. Türkische Zuwanderer hingegen spielen in Frankreich eine zahlenmäßig sehr geringe Rolle (wirklich gewichtig sind dort unter den Zuwanderern die Araber). Aber jedenfalls ist es von Übel, wenn solche wahltaktischen Motivationen einen Beschluss über ein neues Strafgesetz beeinflussen, das noch dazu Grundrechte beschneidet.

Aber am allermeisten stört, dass sich – ausgerechnet – Frankreich mit diesem Gesetz weit von der Aufklärung und ihren liberalen Grundsätzen verabschiedet. Von Voltaire und von vielen anderen vor allem französischen (und englischen) Geistern wurde einst das entscheidende Fundament gelegt, auf dem sich Vernunft und Wahrheit gegen die Regeln der Macht durchsetzen konnten. Diese Durchsetzung kann immer nur durch Überzeugung und Beweise geschehen und nie durch Zwang oder Anordnung, die ja in den Jahrtausenden davor immer der Wahrheit den Weg versperrt haben.

Es ist daher für ganz Europa bedrückend, wenn sich ausgerechnet im Mutterland der Aufklärung nun die Antiaufklärung so dramatisch durchsetzt.

Zurück zum Faktum Völkermord. Auch wenn niemand genau definieren kann, was Völkermord eigentlich ist, ab welcher Zahl Getöteter dieser Ausdruck legitim ist, so hat es doch zweifellos viele solcher Genozide gegeben. Nicht nur an den europäischen Juden durch Hitler-Deutschland. Nicht nur an den Armeniern durch die Türken (die im ersten Weltkrieg übrigens mit Österreich verbündet waren, das angesichts der auf dem Weg über Österreich bekanntgewordenen Massaker sehr verzweifelt, aber letztlich zum Ignorieren verurteilt war).

Ist aber nicht auch die weitgehende Auslöschung der indigenen Einwohner Amerikas durch die einwandernden Weißen ein solcher Völkermord gewesen? Waren das nicht auch die millionenfachen Morde der Sowjetunion an Ukrainern, Tataren und anderen Völkern? War das nicht auch das Gemetzel der Roten Khmer unter den Kambodschanern? Was haben eigentlich im Dreißigjährigen Krieg die Schweden in Mitteleuropa getan? Was taten die Normannen im Mittelalter? Die arabischen Sklavenjäger in Südeuropa? Die europäischen in Westafrika?

Die Geschichtsbücher sind voll solcher Greueltaten. Manche schriftlosen Völker wurden sogar ausgelöscht, ohne wenigstens eine Erinnerung hinterlassen zu können.

Ein aufgeklärter liberaler Rechtsstaat muss sich diesen Taten stellen, wo auch immer er damit konfrontiert wird. Durch Bestrafung von Tätern, wo solche noch am Leben sind. Durch offene wissenschaftliche Aufarbeitung. Durch scharfe verbale und intellektuelle Auseinandersetzung mit jenen Menschen, die jene Fakten leugnen oder beschönigen oder gar rechtfertigen.

Wer hingegen diese Auseinandersetzung durch Denkgebote und -Verbote ersetzen will, der trägt nur zur Entstehung  von Mythen bei, der macht aus Tätern Märtyrer. Wer glaubt, sich einem Dummkopf oder Fanatiker nur mit Hilfe des Strafrichters stellen zu können, ist feig und faul. Was Dummkopf und Fanatiker natürlich sofort in eine moralisch überlegene Position bringt, wo sie sicher nicht hingehören.

Wenn nun das Leugnen von Völkermord unter Strafe gesetzt wird, welche vermeintlichen oder wirklichen Wahrheiten werden als nächster Schritt unter strafrechtlichen Schutz gestellt? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit ständig steigender Staatsschulden? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der derzeit politisch beschlossenen Klimatheorien? Etwa Kritik an der Gesamtschule? Etwa Kritik an der Massenzuwanderung?

Frankreich ist jedenfalls kein Einzelfall. Europaweit reduziert der Durchgriff der Politik, reduzieren Wahlkampfinteressen genauso wie die dumpfe Political Correctness immer mehr die Meinungsfreiheit, deren Kern Voltaire am besten ausgedrückt hat: „Ich lehne zutiefst ab, was sie sagen. Aber ich werde immer alles tun, damit sie es sagen können.“

Was besonders bedrückt: In Zeiten wirtschaftlicher Nöte und Engen geht es der Meinungsfreiheit meist noch verstärkt an den Kragen. Daher sollte man fast ignorieren, was uns die Wirtschaftsforscher fürs kommende Jahr alles an Grauslichkeiten prognostizieren . . .

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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