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Irak: Wenn man ein Problem mit Gewalt löst…

Die USA haben ihren militärischen Abzug aus dem Irak beendet. Damit endet auch eine der peinlichsten Epochen der jüngeren amerikanischen Politik. Denn in der selben Zeit ist aus dem obersten Weltpolizisten – auch dieses Krieges wegen – ein Land geworden, das mehr Schulden hat als jedes andere. Das keinen inneren Konsens über einen Sanierungskurs findet. Das in der Welt signifikant weniger Einfluss hat, während neue Mächte wie vor allem China immer bestimmender auftreten.

Der Irak-Krieg war nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein moralisches und intellektuelles Debakel. Moralisch tief enttäuschend für alle einstigen Freunde Amerikas waren vor allem die offenkundig gewordenen Folterungen durch jene Nation, die immer so stark ihre Wertorientierung betont. Ebenso enttäuschend waren die Manipulationen, mit denen die US-Regierung vor dem Krieg unzureichende Indizien zu einem unwiderleglichen Beleg für die atomare Rüstung des Iraks hochgejubelt hat.

Dennoch darf man den Charakter des Regimes von Saddam Hussein nicht vergessen. Er war im Inneren ein brutaler Diktator. Das sind freilich auch Dutzende anderer Präsidenten, ohne dass ein solcher Feldzug gegen sie geführt würde.

Viel gravierender für eine Bewertung der Legitimität einer Invasion ist jedoch Saddam Husseins Verhalten nach außen. Der irakische Machthaber war der einzige, der im letzten halben Jahrhundert mehrere echte Eroberungskriege begonnen und geführt hat. Diese haben viel mehr Tote als die amerikanische Invasion insgesamt gekostet. Und fast noch schlimmer: Er war der einzige Feldherr seit dem ersten Weltkrieg, der in großem Maßstab auch tödliches Giftgas eingesetzt hat.

Soweit die nicht ganz eindeutige moralische Bilanz.

In der intellektuell-strategischen Analyse findet sich – ganz abgesehen von den gigantischen Kosten – aber praktisch überhaupt kein Positivum mehr. Zwar haben die Amerikaner binnen weniger Wochen die irakische Armee vernichtet. Aber für den Tag danach waren sie völlig planlos. Si geris bellum, para pacem, würden die alten Lateiner sagen.

Die Amerikaner haben vor allem den schweren Fehler begangen, die gesamte Behörden- und Exekutiv-Struktur des Iraks auszuschalten, ohne einen Ersatz parat zu haben. Deshalb versank das Land in tiefem Chaos, aus dem es sich bis heute nur teilweise erholt hat.

In diesem Chaos entbrannte ein übler Bürgerkrieg mit vielen Parteien und unklaren Fronten. Die Kämpfe zwischen und unter Sunniten, Schiiten, Kurden, diversen Stämmen, Al-Kaida-Bombern, den im Untergrund agierenden Resten der Saddam-Armee beziehungsweise -Geheimdienste sowie etlichen anderen zum Teil vom Ausland gesteuerten Gruppen forderten weit mehr Tote als die eigentliche Invasion. Fast täglich gab es mehrere Bombenanschläge mit Dutzenden Toten. Die Amerikaner und ihre Verbünden brauchten Jahre, bis sie eine auch nur halbwegs brauchbare Strategie dagegen entwickelt haben. Und nun ziehen sie ab, ohne dass sie ein wirklich befriedetes Land hinterlassen.

Das größte Opfer dieses Chaos waren und sind die Christen, die dort seit fast 2000 Jahren alle Herrscher überdauert hatten. Sie waren unter Saddam schlecht, aber nicht schlechter als alle anderen behandelt worden. Von ihnen ist seit seinem Sturz mindestens die Hälfte ermordet oder vertrieben worden. Ohne dass das viele Schlagzeilen gemacht hätte. Denn viele amtschristliche Gutmenschen in Europa führten in dieser Zeit lieber blauäugigen Dialog mit den Muslimen.

Die Amerikaner haben auch ihren einzigen Verbündeten, den Kurden im Norden des Irak, nicht die ersehnte Unabhängigkeit gebracht. Daher wird mit großer Wahrscheinlichkeit das kurdische Problem bald wieder gefährlich eskalieren.

Gleichzeitig hat die amerikanische Strategie offenbar übersehen, dass langfristig die Eliminierung der Saddam-Diktatur nur einem Land hilft: dem Iran. Der freut sich, dass sein mehrfacher Kriegsgegner und Aggressor ausgeschaltet ist. Zwischen der iranischen Führung und den Amerikanern kam es aber dennoch zu keiner Annäherung. Ganz im Gegenteil: Heute stehen sich Teheran und Washington feindlicher gegenüber als vor zwei Jahren.

Auch sonst haben sich die USA in der Region weitgehend isoliert – wenn auch aus zum Teil sehr unterschiedlichen Gründen. Lediglich Saudi-Arabien und ein paar Golfscheichs zählen noch zu ihren Verbündeten. Das Verhältnis zur Türkei ist seit der Machtübernahme durch die dortigen Islamisten von Jahr zu Jahr schlechter geworden. Und der arabische Frühling stärkt nur den politischen Islam, aber sicher nicht die Rolle der Amerikaner. In Ägypten und Tunesien verloren diese sogar zwei ihrer engsten Verbündeten.

Und zu schlechter letzt sind auch die Beziehungen zu Israel heute so gespannt wie noch nie.

Wer die Welt – und die Legitimation zur Kriegsführung – heute nicht anders sieht als vor dem Irak-Krieg, der ist nicht willens, aus der Geschichte zu lernen. Seltener hat sich eine Regel so dramatisch bestätigt: Wenn man ein Problem mit Gewalt löst, schafft man oft ein Dutzend neuer Probleme.

PS.: Ein bezeichnender Zufall für den Niedergang des amerikanischen Einflusses: am gleichen Wochenende, da die Amerikaner ihren Irak-Abzug abgeschlossen haben, ist mit Vaclav Havel in Tschechien ihr wohl begeistertster mitteleuropäischer Verbündeter gestorben.

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