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Ist es eine Katastrophe, dass vier konservativ regierte Länder dem deutsch-französischen Projekt einer Fiskalunion auf dem EU-Gipfel die Zustimmung verweigert haben? Ganz sicher nicht. Das viel größere Problem ist, dass dieses Projekt auch nur ein Projekterl ist, das die europäische Schuldenkrise nicht in den Griff bekommen kann. Großbritannien & Co schaffen den anderen höchstens einen Sündenbock für das Scheitern. Schuld aber sind die Schuldenböcke.
Was bedeuten die jüngsten EU-Beschlüsse? Gewiss ist es verwirrend, dass die europäische Architektur noch komplizierter geworden ist. Neben den 17 Euro-Ländern und den 27 EU-Länder gibt es dazwischen künftig die 23, die dem neuen Fiskalregime zugestimmt haben. Bis auf Großbritannien ist es freilich auch durchaus möglich, dass einige der vier Nein-Länder irgendwann doch noch aufspringen werden.
Zweitens werden die 23 (plus?) jetzt überhaupt erst einen detaillierten Vertrag ausarbeiten müssen. Das kostet Zeit. Es ist beispielsweise völlig unklar, ob die 23 (plus?) sich der EU-Institutionen wie des Gerichtshofs überhaupt bedienen dürfen. Freilich. Eine Änderung des EU-Vertrags hätte wegen der Wichtigmachereien des EU-Parlaments sowie wegen der notwendigen Volksabstimmungen (und der Hörigkeit Werner Faymanns gegenüber der Kronenzeitung) noch viel länger gedauert.
Die wirklichen Fragezeichen liegen noch immer in den Details. Es gibt noch keinen Vertragstext, weder für die 23 noch die 27. Das bedeutet aber auch die Gefahr, dass so manche Euro-Staaten die notwendigen scharfen Sanierungsmaßnahmen weiter aufschieben werden, bis dieser Vertrag vorliegt. Zumindest die sparunwillige SPÖ dürfte sich insgeheim sogar recht freuen darüber, aber auch so manche in der ÖVP. Die Opposition zeigt sowieso keinen ernsthaften Sparwillen (das tut sie aber in keinem Land). Und Österreich wie auch alle anderen Länder zahlen halt ständig höhere Zinsen für die eigenen Anleihen.
Im Grunde geht es um einen fast aussichtslosen Kampf: Schaffen es die Staaten doch noch, in ihrer Wirtschaftspolitik so glaubhaft zu werden, dass ihnen Anleger wieder Geld für ihre Anleihen geben, zumindest für die Refinanzierung der alten alljährlich abreifenden Kredite?
Die Anleger sind nämlich seit dem Beschluss über den griechischen Haircut – der übrigens noch immer nicht rechtlich ordentlich umgesetzt worden ist! – extrem vorsichtig geworden. Denn dieser Haircut stellt sich spätestens in diesem Spätherbst von Tag zu Tag mehr als Erbsünde heraus: Die Anleger haben gesehen, dass Staatsanleihen über Nacht das Gegenteil von absolut sicher sind. Während man bisher als Privater mit Anleihen eines Euro-Staates auf einen kleinen, aber ungefährdeten Gewinn hoffen konnte, gibt es nun den Präzedenzfall, dass 50 Prozent des Geldes weg sind. Und kein Mensch ist sich mehr sicher, ob der griechische Schuldenschnitt ein Einzelfall bleiben wird.
Viele der beim Gipfel besprochenen Limitierungen für staatliche Defizite klingen ja durchaus vernünftig, auch wenn sie eben noch immer (Primär- und Sekundär-)Defizite erlauben. Freilich kommen sie um zwei Jahrzehnte zu spät. Solche Regeln, die deutlich über die einstigen Maastricht-Kriterien hinausgehen, hätte man von den ersten Vorstufen des Zusammenwachsens zum Euroraum an haben sollen. Dann wäre es nie zur Katastrophe gekommen.
Vor allem aber hätte es energische und wirksame Konsequenzen bei einer Verletzung der Defizit-Kriterien gebraucht. Wären die Maastricht-Kriterien strikt beachtet worden, dann wäre es nie zu dieser Krise gekommen. Dann bräuchte es auch keine neuen Kriterien. Dann wären aber insbesondere Italien, Belgien und Griechenland niemals Euro-Mitglieder geworden. Dann wäre das auch Österreich nur nach einem kräftigen, allerdings nicht dramatischen Einschnitt in den Wohlfahrtsstaat geworden.
Alles, was man vorerst über das neue europäische Fiskal-Regime wirklich sagen kann: Es ist besser als das alte, aber weiterhin unzureichend. Denn letztlich gibt es weiterhin kein Durchgriffsrecht gegen Budgetbeschlüsse souveräner Parlamente. Weiterhin können diese Parlamente soziale Wohltaten unters Volks streuen. Und sie werden sich diese Rechte auch durch einen neuen Vertrag nicht nehmen lassen. Das würde übrigens auch die gesamte Verfassungsarchitektur der einzelnen Staaten grundlegend verändern.
Ein kleines aber typisches Beispiel für die Hoffnungslosigkeit: Der Gipfel hat neuerlich eine verfassungsrechtliche Schuldenbremse in allen Ländern beschlossen. Aber wenn in Österreich nur zwei Parteien dafür stimmen, kommt sie eben nicht zustande. Und man wird sehen, ob der neue Anlauf, den die Regierung da unternehmen will, besser ans Ziel kommt. Wenn also ein im Prinzip populärer und sogar von einigen Oppositionsparteien ursprünglich geforderter Beschluss so schwierig ist, wie wird es erst werden, wenn man wirklich jemandem etwas wegnehmen muss!
Der Populismus der Politik wird wohl erst dann aufhören, wenn die Regierungen weder Pensionen noch Beamtengehälter noch Rechnungen ihrer Lieferanten bezahlen können. Aber dies wird – so ist man heute reihum überzeugt – nicht passieren, weil letztlich auf irgendeinem Weg doch immer fremdes Geld in die bedrohten Länder fließt. Wobei die Rechtskonstruktion fast egal ist: Ob EZB, EFSF, ESM oder IMF. Immer fließen rettende Milliarden ins Land
Dass Österreich nach dem Gkipfel auch in den Kanal des Währungsfonds (IMF) die Kleinigkeit von weiteren sechs Milliarden fließen lassen muss, geht da schon fast unter. Ist ja nur das dreifache Budget des gesamten Bundesheers (samt den einst so dramatisierten Abfangjägern).
Die Härte zum Nein-Sagen bringt man in Europa einfach nicht auf. Auch wenn die Folgen immer schlimmer werden, je länger das so weitergeht. Der Kardinalfehler bleibt der Mai 2010, als auch Angela Merkel unter dem Gerede der Solidarität eingeknickt ist und in klarer Verletzung der europäischen Verträge Geld nach Athen schicken hat lassen.
Seither nimmt niemand mehr irgendwelche europäischen Regeln und Verträge ernst. Die Juristen würden halt kühl sagen, das seien ja nur lauter Leges imperfectae.
Also bleibt auch die ökonomische Konsequenz weiterhin unausweichlich. Das Geld der Europäer wird immer weniger wert. Und damit auch deren Ersparnisse. Das merkt man vorerst noch weniger im Vergleich zum Dollar und – vorerst! – auch weniger im Vergleich des Verbraucherpreisindex. Das sieht man aber am sprunghaft zugenommenen Preis etwa von Gold und anderen als stabil angesehenen Ersatzwährungen. Das sieht man an den Richtung Schweiz, Schweden und Singapur strömenden Euro-Mengen.