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Eigentlich müsste sich Angela Merkel jetzt fürchten. Denn in Politik wie Wirtschaft ist es fast schon eine eherne Regel: Wer von den Medien in den Himmel gehoben wird, stürzt danach umso steiler ab. Die „Männer des Jahres“, die im Jahr darauf kaputt waren, sind heute jedenfalls schon Legion. Und es gibt keinen zwingenden Grund, dass dieses Risiko bei jener Frau anders sein sollte, die derzeit ringsum als die große Siegerin der jüngsten EU-Entscheidungen verkauft wird.
Dabei hat Merkel durchaus sympathische Eigenschaften. Sie denkt bedächtig nach und verkörpert nicht den Macho-Typ eines Politikers, der ständig den Eindruck erweckt, dass er mit einer einzigen Anordnung die Welt neu ordnen könnte. So haben sich zwar immer wieder vor allem romanische Politiker nach Art eines Sarkozy oder Berlusconi zu inszenieren versucht – stehen aber heute als Gescheiterte und Getriebene da.
Merkel ist auch viel zu klug, um den gegenwärtigen Medien-Hype um ihre Person allzu ernst zu nehmen. Sie weiß, wie schnell das wieder vorbei geht und dass die Medien in ihrer Oberflächlichkeit wieder einen neuen Helden durchs Dorf treiben werden. Sie weiß aber auch, dass trotz der netten Schlagzeilen der letzten Tage ihre gesamte Politik in der Schuldenkrise bei der Bevölkerung sehr unpopulär ist. Sie weiß, dass ihre Koalition so gut wie keine Chance hat, auch nur in die Nähe einer Wiederbestätigung beim nächsten Wahltag zu kommen. Sie weiß, dass vor allem die zwei kleineren Parteien in dieser Koalition angesichts verheerender Umfragen und nahender bayrischer Wahlen zunehmend schwieriger werden.
Die deutsche Bundeskanzlerin hat in den letzten Wochen eine klare Wendung gemacht: Sie agiert erkennbar großkoalitionär und sucht bei jeder großen Entscheidung den Schulterschluss mit den eigentlich oppositionellen Sozialdemokraten. Den gleichen Kurs wie die SPD zu fahren bringt ihr wenigstens in den überwiegend linken Medien Sympathien ein.
Merkel hatte in Wahrheit immer schon eine starke sozialdemokratische Prägung. Mutige liberale Reformen waren ihr nie ein Herzensanliegen (genau so wenig wie wertkonservative Themen), daher hat die schwarz-gelbe Regierung von der ersten Stunde an auch keine zusammengebracht. Die FDP hat sich als Lobby-Organisation ohne echte innere Beziehung zur Ordnungspolitik entpuppt. Und in Merkels eigener CDU hat sie praktisch alle liberalen Persönlichkeiten hinausgedrängt. Merkel hat sich lieber mit Umverteilern und Regulierern umgeben. Jüngste Beispiele dieses Kurses: Die CDU sympathisiert mit einem gesetzlichen Mindestlohn und mit gesetzlich vorgegebenen Frauenquoten in großen Aufsichtsräten. Beides sind Maßnahmen, welche die derzeit relativ gute deutsche Wettbewerbsfähigkeit langfristig gefährden.
Das massivste anti-liberale Signal waren natürlich die von Merkel mitgetragenen EU-Beschlüsse der letzten eineinhalb Jahre, Hunderte Milliarden in die diversen – in Wahrheit völlig ergebnislosen – Rettungspakete für die europäischen Schuldenstaaten zu investieren.
Aber jetzt, so werden die Verbreiter des Merkel-Mythos hier einwenden, hat sie doch zum ersten Mal in einer wichtigen Frage Nein gesagt. Und sie ist auch dabei geblieben. Sie hat die französischen Wünsche abgeschmettert, dass sich der „Rettungsschirm“ EFSF direkt bei der EZB weiteres Geld ausborgen kann.
In Wahrheit war es nicht Merkels Stärke, die diese Idee blockiert hat, sondern ihre Schwäche. Sie hat sich nämlich in bisher unbekannter Weise vom deutschen Verfassungsgericht und vom Bundestag an eine sehr kurze Leine legen lassen, die ihren Spielraum bei den – bisher regelmäßig sehr teuren – Gipfelbeschlüssen stark eingeengt hat. Merkel musste ja sogar den Gipfel unterbrechen lassen, um sich vom Bundestag ein Plazet zu holen.
Es war also in Wahrheit die kleine Gruppe der deutschen Schulden-Gegner, die der Kanzlerin zur Stärke verholfen hat – fast möchte man sagen: zu einem Rückgrat. Nur dadurch wurde es diesmal verhindert, dass der französische Präsident sie neuerlich mit seiner Mischung aus brutalem Druck und charmanter Schmeichelei zum Griff in die deutschen Kassen veranlassen konnte.
Vor allem der französische Druck hat ja Merkel in diesen eineinhalb Jahren regelmäßig dazu gebracht, bei der Verletzung der EU-Verträge und der wirtschaftlichen Vernunft mitzutun. Diese Verletzung bestand vor allem in der Durchbrechung des ("No-Bailout!"-)Verbots staatlicher Krediten an andere EU-Staaten.
Das zuvor angesprochene Leih-Rückgrat Merkels war aber nicht stark genug, um auch das durchzusetzen, was nach diesen Fehlern die einzige logische Konsequenz gewesen wäre. Wenn man schon zu feig oder schwach ist, diese Staaten den Folgen der eigenen Schuldenmacherei und der daraus folgenden Zahlungsunfähigkeit preiszugeben, dann hätte Merkel wenigstens eine rasche Änderung der EU-Verträge durchsetzen müssen (und eigentlich auch wollen): Nur dadurch wäre ja die Einsetzung eines Konkursverwalters, der in Schuldnerstaaten die Macht übernimmt, möglich gewesen. Ein solcher Konkursverwalter wäre wohl die einzige Möglichkeit, dass Griechenland, Italien & Co endlich all das an schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen umsetzen, was deren Regierungen schon in besseren Zeiten nicht geschafft haben.
Wir haben es ja immer wieder gesehen: Die Regierungschefs solcher Staaten versprechen bei jedem Gipfel große Sparsamkeit – aber niemand hat ein Druckmittel, die Einhaltung solcher Versprechen auch zu erzwingen.
Das wird man mit Sicherheit auch am Schicksal des berühmten Geheimbriefs des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi sehen. Dieser hatte seinen EU-Kollegen scharfe (im Detail aber bisher nicht bekannte) Spar- und Sanierungsmaßnahmen versprochen. Berlusconi hat jedoch in Wahrheit keine Chance, diese Maßnahmen auch inneritalienisch durchzubringen. Er ist auf Grund diverser Gerichtsverfahren schwer angeschlagen. Und weit und breit gibt es keinen anderen Politiker, der gegen die kampferprobten italienischen Gewerkschaften eine Sanierung zu realisieren imstande wäre.
Da klingt es lächerlich, wenn die EU nun ankündigt, die Einhaltung solcher Versprechen genau zu „kontrollieren“. Sie kann das genauso wenig wie beim Bruch aller früheren Versprechungen durch diverse Regierungschefs.
Dennoch sollte man nicht ganz verzweifeln. Denn immerhin findet in Europa doch ein Umdenken statt. Eindrucksvoller und sensationeller als die angebliche Lösung der Schuldenkrise durch die Gipfelbeschlüsse waren nämlich die Blut-und-Tränen-Interviews des französischen Präsidenten nach dem Gipfel. Denn in den letzten Jahrhunderten, ja noch bis in die letzten Wochen war es absolut unvorstellbar, dass ein französischer Präsident sagt: "Mein Job ist es, Frankreich näher an ein System heranzubringen, das funktioniert, das Deutschlands."
Dabei geht es etwa um die 35-Stunden-Woche, die von den Sozialisten einst als Waffe gegen die Arbeitslosigkeit eingeführt worden ist, die aber Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit schwer beeinträchtigt hat. Dabei geht es um die übergroße Rolle des französischen Staates in der ganzen Wirtschaft. Dabei geht es um das weitgehende Fehlen von mittelgroßen Betrieben, die in Deutschland wie Österreich den Kern der wirtschaftlichen Stärke bilden.
Der nunmehrige Kurswechsel Sarkozys ist zwar die einzige richtige Strategie. Es ist aber ein schwerer Schlag für den Nationalstolz der Franzosen, wenn die richtige Politik nur noch mit dem Qualitätssiegel „wie in Deutschland“ verkauft werden kann.
Noch weniger durchsetzen als einen Konkursverwalter für Schuldnerstaaten kann Merkel ein weiteres – eigentlich legitimes – Anliegen der Deutschen: dass sie in den diversen EU-Gremien nicht mehr diskriminiert werden. Denn vom Stimmgewicht im Rat bis zu der für die Wahl eines Abgeordneten nötigen Wählerzahl ist Deutschland viel schwächer repräsentiert, als der Zahl seiner Einwohner entsprechen würde. Vom noch viel größeren wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands sei da gar nicht geredet.
Da aber Deutschland heute nicht mehr wegen der Verbrechen der Nazis unter Druck gesetzt werden kann, wird sich das Land in der EU immer weniger daheim fühlen, wenn es einerseits der größte Zahler ist und andererseits gleichzeitig jenes Land, dessen Bürger am wenigsten europäisches Gewicht haben.
PS.: Österreich ist zwar von der Größe seiner Vertretung in der EU her relativ privilegiert, es hat aber seit Jahren keinerlei Persönlichkeit, die in den europäischen Gremien noch irgendeine Rolle spielen würde. Es diskriminiert sich solcherart gleichsam selber. Österreich hat auch kein Parlament, in dem irgendjemand Europa-Debatten auf einem mit Deutschland auch nur annähernd vergleichbaren Niveau führen könnte. Daher wäre es eine sinnvolle Einsparung, wenn bei den nächsten Gipfeln nicht mehr Werner Faymann samt großem Tross anreist, sondern wenn daran einfach der in Brüssel residierende Botschafter teilnimmt und so wie Faymann halt immer das abnickt, was die Mehrheit will.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.