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Die Euphorie eines Drogensüchtigen

Habe ich in meiner ersten Reaktion zu negativ auf den EU-Gipfel mit seinen lauten Erfolgsfanfaren reagiert? Aus mehreren Gründen bleibe ich bei meiner Skepsis, auch wenn man inzwischen mehr (freilich noch lange nicht alle) Details zu den Gipfelbeschlüssen weiß. Ja, gerade deshalb bleibe ich dabei. Denn sobald sich das schwierige Kleingedruckte geklärt haben wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit wohl noch weniger Grund zur Euphorie da sein.

Die Gründe für Beharrlichkeit in Sachen Skepsis, trotz einiger halber Lichtblicke:

  1. Sogar der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der aus Angela Merkels unmittelbarem Umfeld kommt, sieht die Hebelung – also wundersame Vermehrung – der Mittel der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) „mit Sorge". Durch die Hebelung sollen nämlich aus den 440 Milliarden, die den ungefragten Steuerzahlern abgepresst worden sind, gleich mindestens eine Billion Euro werden. Die 440 Milliarden werden dabei nun doch nicht, wie ursprünglich geplant, direkt als Kredite weitergegeben. Sie haften vielmehr als Ausfalls-Versicherung für Kredite, die diese Fazilität anderswo aufnehmen will. Was natürlich das Risiko eines weitgehenden Ausfalls der Gelder der Steuerzahler stark erhöht.
  2. Inzwischen hat auch schon das deutsche Bundesverfassungsgericht die EFSF-Konstruktion zumindest in einer Detailfrage gekippt. Es verbot nur wenige Tage nach dessen Inthronisierung ein neues Geheimgremium des deutschen Bundestages. Dieses sollte Beschlüsse des 440-Milliarden-Rettungsschirms und andere Rettungsmaßnahmen genehmigen. Ein solches Gremium hat die deutsche Regierung als notwendig angesehen, damit Entscheidungen vertraulich vorbereitet werden und schnell fallen können.
  3. Griechenland wird sich langfristig auch mit der als Endziel angepeilten Staatsverschuldung von 120 Prozent nicht normal refinanzieren können. Das heißt: Griechenland bleibt krank, obwohl zu seiner Genesung die Krankheitskeime über ganz Europa verstreut worden sind. Dabei sind diese 120 Prozent noch die bestmögliche Entwicklung des nächsten Jahrzehnts. Es könnte trotz Gipfelhilfe auch viel schlimmer kommen.
  4. Die Gefahr, dass die Halbierung des Werts griechischer Papiere von den internationalen Märkten auch jetzt schon als Insolvenz gewertet wird, ist weiterhin gegeben.
  5. Obwohl viele Finanz- und Notenbankexperten das scharf kritisieren, wird die Europäische Zentralbank weiterhin ungehindert Staatspapiere aufkaufen, also weiterhin zu Lasten aller Sparer Geld drucken können. Positiv ist nur, dass die EFSF nicht als Bank gilt, die direkt Geld bei der EZB besorgen kann. Damit haben sich die Deutschen wenigstens in einem Punkt durchgesetzt.
  6. Es ist eine glatte Sauerei, dass bei der Bewertung des den Banken nun vorgeschriebenen Kern-Eigenkapitals nur staatliche Partizipationsscheine, nicht aber private einberechnet werden dürfen, obwohl die genauso für die Bank haften. Dadurch gerät nun die RZB der Raiffeisengruppe ins Schleudern. Warum hat 2009 die Republik so auf die Beteiligung des privaten Sektors an den Partizipationsscheinen bestanden, wenn die jetzt nicht anerkannt werden?
  7. Ebenso eine Diskriminierung ist es, wenn private Banken auf 50 Prozent ihrer Forderungen gegen Griechenland verzichten müssen, die (not-)verstaatlichte Kommunalkredit beispielsweise nicht.
  8. Die von der Europäischen Bankenaufsicht berechneten zusätzlichen Kapitalpuffer europäischer Banken zeigen – wie schon mehrere andere Indikatoren –, dass Österreich viel schlechter dasteht als Deutschland, die Niederlande oder Finnland, mit denen wir uns gerne in einem Atemzug nennen. Österreichs Banken brauchen demzufolge 2,9 Milliarden Euro, die deutschen 5,2. Dem Größenverhältnis zwischen den beiden Ländern entsprechend dürften jedoch die Werte in Österreich nur ein Zehntel der deutschen ausmachen. In Finnland oder den Niederlanden gibt es überhaupt keinen Bedarf an zusätzlichem Geld. In Frankreich, über dessen Banken zuletzt so bedrohlich geredet worden ist, beträgt der Bedarf 8,8 Milliarden: Angesichts der Größenverhältnisse stehen damit sogar Frankreichs Banken relativ besser da als die österreichischen.
  9. Die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens Italien jetzt mit der Geldverschleuderung durch den hochausgebauten Wohlfahrtsstaat (an dem sowohl die einstigen Christdemokraten wie die aggressiven Gewerkschaften hauptschuld sind) Schluss macht, ist zwei Tage nach dem Gipfel nicht gerade gestiegen. Denn schon reden die Gewerkschaften von Generalstreik, um für die Beibehaltung eines absoluten Verbots von Kündigungen durch Arbeitgeber zu kämpfen – eine wettbewerbsfeindliche Regelung, die es nicht einmal im Mega-Sozialstaat Österreich gibt. Wegen dieser trüben Aussichten muss Italien nach dem „Rettungs“-Gipfel schon wieder höhere Zinsen für seine Anleihen zahlen als vorher.
  10. Gewiss ist erfreulich, dass Nicolas Sarkozy jetzt wagt, die Einführung der 35-Stunden-Woche durch die Sozialisten als eines der Krebsübel des kränkelnden Landes anzusprechen. Nur kann niemand ernsthaft glauben, dass er deren Abschaffung ein Jahr vor dem Wahltag noch durchbringt. Und dann werden die Sozialisten regieren, die vermutlich wieder Jahre brauchen werden, um zu solchen Erkenntnissen zu gelangen (so wie einst Gerhard Schröder Jahre gebraucht hat, bis er vom Kuschelsozialismus auf die Agenda 2010 umgeschaltet hat).
  11. Erfreulich ist es auch, dass die EU-Bischöfe eine erstaunlich weise Erklärung veröffentlicht haben, die klar festhält: Die Ursachen der Krise seien vor allem in Politikerentscheidungen der letzten Jahrzehnte begründet, die nur auf Kurzfristigkeit beruhten und häufig genug mit Blick auf Wahlentscheidungen getroffen wurden. In einem Satz die ganze Wahrheit. Das wird jedoch Caritas&Co nicht hindern, wieder die Lüge zu verbreiten, dass Wirtschaft, Unternehmer und Banken die Schuldigen seien.
  12. Gar nicht erfreulich ist wiederum, dass die Schaffung eines europäischen Insolvenz-Regimes für insolvente Staaten wieder ganz in den Hintergrund gerückt ist.
  13. Dass auch in Österreich noch immer nicht alle die Notwendigkeit des Sparens verstanden haben, zeigt etwa die Reaktion Karl Aigingers, des Chefs des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts. „Es ist zu viel über Konsolidierung gesprochen worden, und zu wenig darüber, wie man das Wachstum stärken kann.“ Damit legt er der österreichischen Politik neuerlich die Leiter für weitere Schuldenmacherei. Zwar könnte man das Wachstum auch ohne neue Schulden, nämlich durch scharfe Deregulierung und Privatisierung fördern, aber davon redet Aiginger ganz bewusst nicht. Schließlich erhält das Wifo viele Aufträge von der schuldengierigen Arbeiterkammer.
  14. Und damit es auch etwas zu lachen gibt: Werner Faymann verkauft sich und sein Verhalten beim Gipfel (wie immer: Zustimmung ohne irgendeine konstruktive eigene Meinung) nun als Rettung der Spareinlagen. Das ist natürlich noch ein Grund mehr, sich um diese zu sorgen.

Noch einmal zurück zu den eingangs erwähnten freudigen Fanfaren ob der Gipfelbeschlüsse. Die erinnern stark an die Freude eines Drogensüchtigen, wenn er neuen Stoff bekommt. Obwohl er im Grund genau weiß, dass ihm nur noch ein scharfer wie schmerzhafter Entzug helfen würde. Nicht anders ist es um die europäische Schuldenwirtschaft bestellt.

Daher sollte es niemand sonderlich ernstnehmen, wenn die Börsen kurzfristig jubeln, weil das alles, woran wir noch Jahrzehnte zahlen und leiden werden, jetzt – vielleicht – ein oder zwei Quartalsergebnisse zu verbessern vermag.

 

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