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Es zählt zu den Standardklagen jedes Möchtegern-Intellektuellen in ganz Europa: Die Reichen werden immer reicher; ihre Kinder sind auch in der Schule erfolgreicher; und nun zeigen Statistiken sogar, dass die Reichen auch deutlich länger leben als ärmere Mitbürger. Die daraus resultierende Forderung: Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit müsse nun endlich auch von der EU ernsthaft bekämpft werden, wenn schon die Regierungen untätig sind.
Kein Zweifel: Die Fakten stimmen (lediglich das mit dem reicher Werden stimmt in Zeiten der Rezession nicht, da zahlen die Reichen verstärkt drauf). Aber ebensowenig Zweifel kann es in Wahrheit daran geben, dass diese Möchtegern-Intellektuellen dabei völlig falsche Kausalitäten herstellen. Die Behauptung, noch reicher zu werden, länger zu leben oder besser gebildete Kinder zu haben, das sei alles Folge des Reichtums, ist ungefähr so zwingend wie die Aussage, es würde deshalb zu regnen beginnen, weil die Menschen mit einem Regenschirm ihr Haus verlassen.
Schon die Vorstellung, dass die meisten Reichen große Vermögen über viele Generationen vererben, ist absolut falsch. Man denke nur an die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die nicht nur Millionen Menschen, sondern auch jeden Reichtum vernichtet haben. Binnen weniger Jahre danach haben dennoch etwa die aus der Tschechoslowakei vertriebenen Menschen in Österreich und Bayern extrem erfolgreiche Industriebetriebe aufgebaut. Sie wurden nicht reicher, weil sie schon reich waren, sondern weil sie durch Unternehmergeist, durch Disziplin, durch Fleiß, durch Mut, durch Kreativität, durch Forschergeist, durch irgendein besonders Talent etwas aufzubauen imstande waren. Manches Mal halfen sicher auch Glück und Zufälle – aber diese Faktoren alleine haben es nie geschafft, jemanden dauerhaft in Wohlstand zu versetzen (siehe etwa die vielen später wieder verarmten Lotterie-Gewinner).
Ähnliches sieht man auch an Amerikas heute Reichen. Dieses Land war seit eineinhalb Jahrhunderten kein Kriegsschauplatz, es hat kaum unter Niederlagen oder Vertreibungen gelitten. Aber dennoch dominieren auch dort die neuen Reichen. Bill Gates, Steve Jobs oder Warren Buffet haben die heutigen Mega-Vermögen selbst aufgebaut, oft vom absoluten Nullpunkt auf. Und nicht geerbt.
Von den eigenen Ahnen ererbte Reichtümer wie Schlösser sind heute hingegen vielen Familien eher eine schwere Last. Nur eine Minderheit der im 19. Jahrhundert reichen Familien zählt heute noch dazu. Reichtum ist immer seltener über die Generationen hinweg langlebig. Denn Kapitalismus ist in Wahrheit das Gegenteil eines Feudalsystems, er führt rasch hinauf, aber auch wieder rasch hinunter.
Die Phrase „Die Reichen werden immer reicher“ ist langfristig falsch. Sie stimmt nur in jenen eher kurzen Phrasen, in denen man mit Finanzanlagen besser verdient als mit unternehmerischen Investitionen oder mit erfolgreicher Arbeit. Aber selbst dann, wenn angelegtes Geld einen echten Ertrag bringt – was es seit Jahren dank Inflation, Krisen und Kapitalertragssteuern nicht mehr tut –, fehlt den Neidargumenten jede moralische Basis: Sollen Sparen und Investieren bestraft werden, während jene, die immer sofort alles konsumieren, belohnt werden? Das ist Populismus, hat aber mit Ethik nichts zu tun.
Und wie ist das mit den Vorteilen der Reichen bei Bildung und Gesundheit?
Genau so. Jene Fähigkeiten und Eigenschaften, welche die Wahrscheinlichkeit beruflicher und unternehmerischer Erfolge erhöhen, sind auch für den Schulerfolg der eigenen Kinder wie auch die eigene Lebenserwartung gut. Die Pisa-Studie zeigt etwa, dass jeder zusätzliche Meter an Buchregalen in der elterlichen Wohnung im Schnitt zu signifikant besseren Schulergebnissen führt. Ebenso wie zu besserem Berufserfolg und damit höherem Einkommen.
Gebildete Eltern kümmern sich auch intensiver und liebevoller als bildungsferne um den eigenen Nachwuchs. Bei ihnen wird viel weniger ferngesehen, vor allem wird der Fernsehapparat nicht als Babysitter verwendet: In der statistischen „Unterschicht“ sind nach einer Studie des deutschen Allensbach-Instituts 73 Prozent Intensiv-Fernseher, sitzen also drei und mehr Stunden pro Tag vor der Kiste, in der Oberschicht hingegen nur 34 Prozent. In der Oberschicht wird statt dessen weit mehr gelesen als in der Unterschicht. Gebildete Eltern haben mit ihren Kindern bis zu deren Schulanfang drei Mal so viele Wörter gesprochen wie bildungsferne.
Sie tun das nicht, weil sie reich sind, sondern weil ihnen Sprache, Kultur, Zuwendung, aber auch Disziplin, Fleiß und Leistung wichtig sind. Weil sie diese Werte – meist – auch an ihre Kinder weitergeben wollen. Und genau diese Eigenschaften führen in einer Marktwirtschaft auch zu finanziellem Erfolg.
Sehr Ähnliches zeigt auch eine Analyse der Statistiken, denen zufolgen „Reiche“ länger leben. Wieder ist nicht der Reichtum die primäre Ursache der Gesundheit, sondern es sind vor allem bestimmte Verhaltensweisen, welche die Oberschicht länger leben lassen. Die alle von Reichtum oder Armut völlig unabhängig sind. Noch einmal die Allensbach-Studie: In der Oberschicht treibt jeder Zweite bis zu seinem 70. Geburtstag regelmäßig Sport, in der Unterschicht tun das jedoch nur 15 Prozent. Oder das Rauchen (das noch dazu Geld kostet, also eigentlich den „Reichen“ leichter fallen sollte!): In der Oberschicht rauchen von den unter 30-Jährigen 18 Prozent, in der Unterschicht 54 Prozent.
Das heißt nun nicht, dass jeder an seiner Armut oder seinem frühen Tod selber schuld ist. Das heißt auch nicht, dass es keine Fälle gibt, wo reichere Mitbürger – oder im Spätsozialismus: der Staat – verpflichtet wären zu helfen. Das heißt aber, dass es absurd und ungerecht ist, dem politischen System einen Vorwurf zu machen, weil die Reichen reicher werden, weil sie im Schnitt erfolgreichere Kinder haben, oder weil sie länger leben.
Der Großteil dessen, was zu diesen Erfolgen führt, ist vom Geld völlig unabhängig. Europäische Politiker, die dennoch ständig die Armen als Opfer der Reichen oder angeblich ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse darstellen, richten den größten Schaden an. Sie schüren unbegründete Neidgefühle, statt den Menschen zu vermitteln, dass diese in sehr hohem Ausmaß für das eigene Los selbst verantwortlich sind, dass sie ihr Schicksal in hohem Ausmaß durch eigenes Handeln verbessern können. Wer immer nur dem Staat, der Gesellschaft, den Reichen die Verantwortung für die Ärmeren zuschiebt, ruiniert nicht nur Staat und Gesellschaft, sondern ist in Wahrheit der größte Feind der Armen, für die er sich einzusetzen behauptet. Das hat übrigens auch die Sozialdemokratie gewusst, als Arbeiterbildungsvereine, Abstinenzlervereine, Sport- und Wandervereine im Zentrum ihrer Identität gelegen sind. Leider ist das aber schon ein paar Generationen her.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.