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Noch ist Griechenland nicht verloren

Die Überschrift mag angesichts der nun wohl unmittelbar bevorstehenden Pleite Griechenlands samt drastischem Schuldenschnitt überraschen. Aber gerade am Tiefpunkt kann es in Wahrheit nur noch aufwärts gehen. Vorerst noch unbemerkt von der ausländischen Öffentlichkeit, gibt es in Griechenland erste – erste! – Spuren einer Besserung. Denn so schlimm die Schulden und die längst unvermeidliche Staatspleite mit ihren gesamteuropäischen Folgen auch sind, so mies die griechischen Betrügereien auch sind: Das noch viel größere zentrale Problem des Landes ist die Mentalität der Menschen.

Diese Mentalität hat das Land ins Unglück gestürzt, und Schulden wie Pleite sind nur die Folge. Aber nun gibt es doch eine Reihe von Hinweisen, dass zumindest bei einem wachsender Teil der Griechen ein erstes Umdenken stattfindet. Sie spüren, dass der Weg der letzten Jahrzehnte an ein Ende angekommen ist.

Dieser Weg war vor allem einer der erfolgreichen Erpressung. Der Westen hat in den Jahren des Kalten Krieges auf Grund der aus Griechenland kommenden Signale immer wieder fürchten müssen, dass die Hellenen in den Kommunismus abgleiten oder zumindest die Nato verlassen und in einen antiwestlichen Neutralismus wechseln. Immerhin gab es in dem Land nach dem Weltkrieg einen blutigen Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und prowestlichen Kräften.

Durch diese Erpressung haben die Griechen nicht nur die Aufnahme in die EU erzwungen. Sie haben auch zuerst den Amerikanern und dann den EU-Europäern viel Geld abgepresst. Sie haben dadurch auch ihre militärische Hochrüstung gegen die türkische Bedrohung im Konflikt um die Ägäis-Inseln sicherstellen können. Lassen wir dahingestellt, wie viel davon eine echte und wie viel eine übertriebene Bedrohung war. Tatsache ist jedenfalls, dass die Türken mit ihrer Invasion auf Zypern gezeigt haben, dass sie eine imperialistische Macht sind. Tatsache ist aber auch, dass die türkischen Einwohner Zyperns davor vielfältige Diskriminierung durch die dortigen (und von Athen unterstützten) Griechen erfahren hatten.

Erpressung war aber auch ein beliebtes innenpolitisches Machtinstrument. Mit regelmäßigen Streiks haben sich die Griechen wirtschaftlich nicht finanzierbare Lohnhöhen und soziale Ansprüche erkämpft, und versuchen all das heute noch so zu verteidigen. Knapp vor dem offenen Ausbruch der Schuldenkrise war Athen aber auch monatelang von Straßenunruhen linksradikaler Studenten lahmgelegt, denen die (damals konservative) Regierung und die Polizei unter dem Druck der linken Medien nach einem Todesfall nie energisch entgegenzutreten wagten.

Gleichzeitig haben es die Griechen nie verstanden, eine Industrie aufzubauen. Ausländische Investoren haben nicht nur die hohen Löhne und die vielfältigen sozialen Ansprüche griechischer Arbeitnehmer gescheut, sondern sich überdies immer als eher unerwünscht empfunden.

Das mag wohl auch mit griechischen Überlegenheitsgefühlen gegenüber allen Ausländern zu tun haben. Schließlich war das Land vor zweieinhalbtausend Jahren in der Philosophie, in der Mathematik, in der Architektur, in der bildenden Kunst, in der Dichtkunst, in der Entwicklung von Demokratie auf einem so hohen Stand, den andere Regionen Europas damals nicht einmal annähernd hatten, den diese zum Teil auch Jahrtausende später nicht erreichten. In mancherlei Hinsicht konnten sich die Griechen zu Recht als die Väter Europas ansehen – nicht nur in Hinblick auf die Wurzeln des Wortes Europa.

Diese unglaubliche Leistung der damaligen Griechen wurde aber für die späteren zum Ballast. Die Grundlage war weggefallen, aber das Überlegenheitsgefühl ist geblieben. Es äußerte sich etwa im hohlen Prunk des oströmischen Reiches, welches das römische um ein rundes Jahrtausend mehr schlecht als recht überlebte, bevor es von dem islamisch-osmanischen Vorstoß hinweggefegt wurde. Das nationale Überlegenheitsgefühl äußerte sich auch in der orthodoxen Religion, die in jedem Land mit ziemlichem Nationalismus verbunden ist, der im Fall Griechenlands noch durch den Ehrenvorrang der griechischen Orthodoxie übertroffen wird.

Die Geschichtsbücher sind voll von Beispielen, wie Nationen, die mehr oder weniger lang eine globale Führungsrolle hatten, nachher umso länger und tiefer abgestürzt sind. Portugal, Spanien, Rom sind die klassischen Beispiele. Aber auch Frankreich, Großbritannien und Russland haben bis heute Riesenprobleme beim Abstieg vom Gipfel der globalen Macht.

Dieses kollektivpsychologische Problem tritt naturgemäß bei Ländern nicht auf, die nie groß waren und die auch nie das gefährliche Glück eines Rohstoffreichtumes hatten: Finnland, Singapur, die Schweiz, Hongkong, Südkorea sind Länder, wo es den Menschen im Schnitt heute viel besser geht als im Rest der Welt. Auf diesem Weg sind heute auch Chinesen, Vietnamesen und noch etliche andere Länder unterwegs. Sie alle haben aus der Geschichte gelernt, dass nur der eigene Fleiß, die eigene Leistung dauerhaft entscheidend sind, und dass ihnen heute die globalisierte Weltwirtschaft auch die Chance bietet, die Früchte von Fleiß und Leistung zu konsumieren. Diese beiden Vokabel heißen auf Latein nicht ganz zufällig „industria“.

Zurück nach Griechenland: Die eigenen Unternehmer des Landes haben immer die Seefahrt, den Tourismus und Handel als interessanter empfunden denn die Industrie. Aber ganz ohne industrielle Wertschöpfung kann eine Wirtschaft nicht funktionieren. Vor allem wenn sie zusätzlich geplagt wird durch Nepotismus und Korruption, durch Steuerhinterziehung und Überbürokratisierung.

Vielleicht bin ich überoptimistisch, wenn ich die Signale einer ersten leichten Besserung zu sehen vermeine. Aber es gibt jedenfalls etliche Anzeichen, dass sich die Griechen nun erstmals intensiv und ehrlich um ausländische Investoren bemühen. Dass auch die Privatisierung nun endlich ernsthaft angegangen wird.

Das alles ist gewiss keine Entschuldigung für die griechischen Sünden. Und auch nicht für die vielen Fehler der Miteuropäer im Umgang mit dem Land, im sinnlosen wie teuren Hinauszögern der griechischen Pleite. Aber bei aller Tristesse sollten wir uns doch bewusst machen, dass ein so steiler Absturz auch die Grundlage für eine sehr gute nachfolgende Entwicklung sein kann.

Denken wir nur an Finnland: Das Land hat Anfang der 90er Jahre einen noch viel steileren Absturz erlebt als Griechenland derzeit. Das im BIP gemessene Volkseinkommen der Finnen schrumpfte damals um gewaltige 20 Prozent (Ursache war der Zusammenbruch der Sowjetunion, des bis dahin weitaus wichtigsten Handelspartners der Finnen). Aber genau dieser Schock hat die Finnen stärker gemacht. So wie das bei den Deutschen und Österreichern der Schock des absoluten Nullpunkts des Jahres 1945 nach drei Jahrzehnten voller Kriege, Not und Verbrechen getan hat.

Freilich lehrt die Geschichte auch, dass die Heilwirkung einer starken Krise nicht ewig anhält. Aber von dieser Sorge sind die Griechen ja vorerst noch wirklich sehr weit entfernt.

PS.: Dieser - vielleicht verzweifelt anmutende - Versuch, in der griechischen Krise auch so etwas wie eine positive Katharsis zu sehen, ändert nichts an der Notwendigkeit, die Pleite eindlich auch als solche zu bezeichnen. Und den Druck der internationalen Geldgeber aufrechtzuerhalten, dass die griechischen Spar- und Reform-Ankündigungen auch verlässliche Realität werden.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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