Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung.
Die Stimmung in vielen europäischen Ländern weht der Europäischen Union immer stärker ins Gesicht. Spricht man hingegen mit europäischen Beamten, Diplomaten oder Politikern, dann gehen diese sofort in den Gegenangriff auf die Kritiker. Eigene Fehler sieht man höchstens im schlechten Marketing. Dabei übersehen sie völlig die zwei zentralen Fehlentwicklungen im Europa der letzten 15 Jahre – diese haben interessanterweise bald nach dem österreichischen Beitritt angefangen.
Der eine Kardinalfehler ist in den letzten Monaten schon oft diskutiert worden: Es war die völlig falsche Reaktion auf die Schuldenkrise, in der man wie im Kommunismus glaubt, es sei richtig, jede Insolvenz zu verhindern, jedenfalls bei Staaten, aber auch bei großen Autokonzernen und Banken. Diesem Fehler sind schon bei der Gründung des Euro und in seinen ersten Jahren viele andere vorausgegangen: mehr als 60 ungeahndete Verletzungen des Stabilitätspaktes, Aufnahme ungeeigneter Länder in den Euro-Raum, Fehlen eines Insolvenzrechts für Staaten, die ungerechtfertigte Bevorzugung von Staatsanleihen durch die Basler Abkommen. Das alles ist mittlerweile – außerhalb der EU-Gremien – ja fast schon Allgemeinwissen.
Die zweite katastrophale Fehlentwicklung der Union lässt sich mit „schädliche sozialtechnokratische Überregulierung“ überschreiben. Sie wird jedoch in den Medien erstaunlich wenig diskutiert.
Ihr Kern: Während die Entwicklung und Verteidigung des europäischen Binnenmarktes eine der stolzesten Leistungen der europäischen Nachkriegspolitik gewesen ist und bleiben sollte, hat man seit den 90er Jahren unter schwachsinnigen Schlagwörtern wie „Europa der Bürger“ begonnen, diese Bürger mit immer mehr Regeln einzuengen. Die Grünen, die einst den sinnvollen und positiven ökonomischen Teil der EU heftig bekämpft hatten, sind in einem Strategiewechsel (If you can't beat them, join them) proeuropäisch geworden. Und sie haben es postwendend mit großem Erfolg geschafft, die Union zu unterwandern und mit Hilfe der Sozialdemokraten zu ihrem Instrument zu machen. Wobei aber weder Konservative noch Liberale ernsthaft versucht haben, dem entgegenzutreten. Die Rechtspopulisten wieder sind zu keiner differenzierenden Analyse imstande und untereinander so zerstritten, dass sie erst recht kein Gegengewicht bilden.
Die Liste der überregulierenden Untaten der EU reicht vom Rauchverbot über die CO2-Absurditäten bis zum Glühbirnendebakel. Auch die Migrantenlobby hat es mittlerweile verstanden, die Union zu instrumentalisieren. Das ohnedies von Zuwanderern über jedes verträgliche Ausmaß hinaus überschwemmte Deutschland wird nun durch ein Vertragsverletzungsverfahren gezwungen, die Zuwanderungsschranken noch mehr zu öffnen: Brüssel verlangt weitere Erleichterungen beim Zuzug auch weiter entfernter Verwandter oder beim Zuzug homosexueller Lebenspartner. Die linksliberale Kommissarin Palmström will überhaupt den Staaten die Kompetenz zur Regulierung der Zuwanderung nehmen, und zwar ganz offensichtlich, um die Tore als Endergebnis noch weiter zu öffnen.
Lauter grandiose Ideen, um die Union bei den Bürgern noch unpopulärer zu machen. Und sie tragen zugleich grandios dazu bei, das Ego von EU-Beamten und Politikern noch mehr aufzublasen.
Ähnlich kontraproduktiv war gegenüber Österreich das vom EU-Gerichtshof ausgesprochene Verbot, Studenten aus Deutschland hierzulande genauso zu behandeln, wie sie in Deutschland behandelt werden. Österreich hatte bis dahin eine funktionierende Handhabe gegen Flüchtlinge vor dem deutschen Numerus clausus. Dieser vergibt ja die limitierten Studienplätze streng nach den Abiturnoten und der Qualität der Schulen in den einzelnen Bundesländer (was bei den fast wertlosen Abschlüsse von Gesamtschulländern einen anderen für die Zulassung notwendigen Notenschnitt ergibt als etwa in Bayern mit seinen guten und strengen Schulen).
Bis zum EuGH-Urteil konnte keiner jener Maturanten nach Österreich flüchten, der in Deutschland nicht gut genug war, um Medizin oder ein anderes dort limitiertes Studium zu ergreifen. Das ist ein logisches und gerechtes Prinzip, das Österreich nicht nur vor einem unfinanzierbaren quantitativen Ansturm geschützt hat, sondern auch in qualitativer Hinsicht vor dem Import einer negativen Auslese der deutschen Studienanfänger mit schlechten Schulnoten.
Der EU-Gerichtshof sah das anders und erklärte die Anwendung des Numerus clausus für europarechtswidrig – allerdings nur die Anwendung in Österreich, nicht jene in Deutschland. Dementsprechend ist auf vielen österreichischen Unis Deutschdeutsch fast schon die dominierende Sprache.
Auch jene Beschränkungen durch ein kompliziertes Ausländer-Quotensystem, die Österreich dann später doch einzuführen gewagt hat, können jederzeit durch ein neuerliches Urteil dieses Gerichts gekippt werden. Zwar hat die EU-Kommission zugesagt, dass sie befristet diese Quoten tolerieren wird. Aber ganz unabhängig von der Kommission kann jeder Deutsche die Republik klagen, der wegen dieser Quote nicht in Österreich studieren darf, – und er hat gute Chancen zu gewinnen. Denn der Gerichtshof ist vorsichtig ausgedrückt sehr selbstbewusst.
Nur der Vollständigkeit halber: Die Schweizer können natürlich weiterhin für jeden deutschen Studenten den Numerus clausus anwenden.
Worte wie Freiheit, Subsidiarität, Vielfalt sind in der EU in den letzten Jahren nur noch für die Sonntagsreden gut. Während der Woche ist aber der Machtrausch zu verführerisch, wenn man die Möglichkeit hat, das Leben von 500 Millionen Menschen viel enger zu regulieren, als es die Nationalstaaten bisher geschafft haben. Machtrausch und Überregulierungswahn müssen freilich am Ende immer schief gehen, auch wenn die Absichten noch so edel und rein gewesen sein mögen. Und das ist sehr schade angesichts der ursprünglich großen und friedenstiftenden Leistung, einen gesamteuropäischen Binnenmarkt zu schaffen.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.