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Studiengebühren: Der Aufreger verdeckt die wirklichen Probleme

Spindelmann haben gesprochen: Die beiden Regierungsspitzen haben ein erstes gemeinsames Interview gegeben. Und dabei einfach ihre alt gewohnten Plattitüden wiederholt. Nur dort, wo Michael Spindelegger vorführen will, dass er voller neuer Ideen steckt, wünscht man sich die Plattitüde zurück. Etwa bei seinem Königsweg für die Universitäten: Studiengebühren dort, wo es „wahnsinnig viele“ Studenten mit schlechten Berufsaussichten gibt. Gratisstudium dort, wo es keine studentische Nachfrage gibt. Das nennt man dann dynamische Studiengebühren.

Da werden die jungen Menschen ganz sicher scharenweise in die anspruchsvollen naturwissenschaftlichen Studienrichtungen laufen, weil sie sich dafür 350 Euro im Semester sparen! Und wenn das von der rot-grünen ÖH postulierte Menschenrecht auf Bildung in Form eines Gratisstudiums nicht mehr für die Publizistik gilt, studieren alle plötzlich technische Physik?
Der Vorschlag hinkt in einer Weise, dass es beim Zuhören weh tut.
Aber auch der Zugang des siamesischen Regierungszwillings zeugt nicht gerade von großem Verständnis des Universitätssektors (wie auch?) - dass die Unis einfach mehr Geld vom Staat kriegen und die Studien-Plätze nicht mehr in den „philosophischen oder ähnlichen“, sondern nur in den technischen Fächern vervielfacht werden sollen. Mit einer wunderbaren Geldvermehrung geht wirklich alles. Aber ganz abgesehen davon, dass es dieses Geld nicht gibt: Ist das alles, was es zur Universitätspolitik zu sagen gibt?
Eigentlich sollten die Ereignisse der letzten Monate Nachdenklichkeit erzeugt haben. Man könnte sich an die Spanische Protestbewegung vor den Maiwahlen erinnern. Viele dieser jungen Menschen auf dem Platz Puerta del Sol hatten ihr Studium hinter sich – aber keinerlei Job in Aussicht. Und zwar nicht nur wegen der Wirtschaftskrise.
Dieser Jung-Akademiker-Frust kommt auch auf uns zu, wenn wir weiter den Österreichischen Weg der Politik mit Schlag- und Flachworten gehen.
Flachwort Nr. 1: Unis müssen aus sozialen Gründen gratis sein.
Was hehr und jugendfreundlich klingen soil, ist schlicht Unsinn. Erstens haben wir ein exzellent ausgebautes Stipendiensystem. Und zweitens hält nicht die vergleichsweise minimale Gebühr junge Menschen mit schwachem finanziellen Hintergrund vom Studieren ab. Da geht es eher um die Schwierigkeit, bis zum 22., 23. Lebensjahr von den Eltern erhalten werden zu müssen. Vielen fehlen auch die Vorbilder in der eigenen Umgebung, die den Gedanken erstrebenswert machen, sich bis ins frühe Erwachsenenalter ohne eigenes Einkommen durch ein Studium zu kämpfen. Früher bedeutete Bildung den Weg zum gesellschaftlichem Aufstieg und Ansehen. Immer mit dem Blick auf Erfolg in ferner Zukunft. Heute ist es das schnelle Geld, das als Erfolg gilt. Auch das ist eine Folge unserer Seitenblicke-Gesellschaft. Und da soll man sich durch ein jahrelanges Technik-Studium quälten?
Flachwort Nr. 2: Österreich hat eine zu niedrige Akademiker-Quote. Sie muss radikal angehoben werden.
Und wenn wir mit tausenden akademisch gebildeten Publizisten, Psychologen und Politologen endlich eine hohe Quote haben – werden wir dann eine leistungsstärkere Gesellschaft sein, aus der die Nobelpreisträger nur so hervorsprudeln? Es geht, wie so oft, nicht um Quantität, sondern um Qualität. Alles andere ist ein Verbrechen an unserer Jugend und ihrer wie unserer Zukunft.
Darum gilt es, die untragbare Situation der Universitäten mit ihrer Personal- und Raumnot, mit Studentenfluten in ein paar leichten und gähnender Leere in vielen schwierigen Fächern zu verbessern.
Es gibt jetzt ein Fenster, ernsthaft über die Universitäten und nicht nur über den Nebenschauplatz Studiengebühren zu diskutieren, auch wenn diese der Auslöser (und der einfache Aufreger) sind: Als Rot, Blau, Grün sie in der historischen Vorwahl-„Sternstunde“ 2008 abschafften, waren sie im Überschwang zu wenig präzise. Also hat der Verwaltungsgerichtshof dieses Wahlzuckerl wieder eingepackt. De facto gibt es also die Studiengebühr wieder. Darum die neu aufgeflammte Diskussion.
Die Fronten innerhalb der Koalition aber sind nach Jahr und Tag klar, verhärtet und keinerlei Argumenten zugänglich.
Das Resultat wird einmal mehr Stillstand heißen.
Wir haben aber eine Hoffnung: Der neue Wissenschaftsminister kommt aus der Universität. Er weiß, dass er handeln muss. Und er weiß, dass die Studiengebührenfrage sehr vordergründig ist.
1. Ausgerechnet die wissenschaftlichen Hohen Schulen des Landes sind gratis und können mit „Eingangsphasen“ in manchen Fächern gerade einmal die allerärgste zahlenmäßige Überforderung abwenden. Die Ausbildungsqualität leidet daher am Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden, vor allem aber auch an der Anonymität der Studentenmassen. Besondere Talente fallen erst gar nicht auf und werden daher zu unser aller Schaden weder gefordert noch gefördert. Die künstlerischen Hochschulen sind zwar ebenso gratis wie die wissenschaftlichen, haben aber rigorose Aufnahmsprüfungen für die selbst festgesetzte Zahl der Studienplätze. Und die Fachhochschulen, die exzellente Ausbildung bieten und deren Absolventen auf dem Arbeitsmarkt umworben sind, verlangen hohe Studiengebühren und suchen sich ihre Studenten aus. Genau so viele, wie sie hervorragend ausbilden können. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft werden die Absolventen der traditionsreichen Hohen Schulen also nur mehr die Schwachspur-Akademiker sein.
2. Es ist viel Geld im Hochschulsektor. Die Frage ist: Wird es effizient eingesetzt? Das ist sicher nicht so. Aber dieses Problem kann man nicht, wie unsere Regierungsspitzen glauben, durch noch mehr Geld und durch Bevorzugung der schwierigen, weniger nachgefragten Fächer lösen. Da muss man schon grundsätzlicher vorgehen. Es hat schon mehrere Anläufe gegeben, teure Doppelgleisigkeiten in unserer Universitätslandschaft zu beseitigen. Sie sind bisher alle gescheitert. Aber die Fragen bleiben: Warum muss jede Uni alles anbieten? Warum muss man allein in Wien Betriebswirtschaftslehre an drei verschiedenen Unis studieren können? Warum muss in einem kleinen Land wie Österreich jeder Universitätsstandort für sich allein ein Vollprogramm hochfahren? Da werden durch Universitätseitelkeiten („Wir müssen eine Volluni bleiben“) Synergien vernachlässigt, die Stärke der universitären Spezialisierung übersehen (warum ist gerade die Montanuniversität Leoben so gut?), da wird die falsche Nachfrage auch durch ein Überangebot gezüchtet.
3. Hinterfragt gehört endlich die heilige Kuh der Einheit von Forschung und Lehre. Nur so könnte man auch die zeitliche Organisation eines Studienbetriebs neu aufrollen: Mehr als die Hälfte des Jahres stehen unsere Unis still. Die dreimonatige Sommerpause wird nicht kritisiert, weil sie ja der Forschung dient. Vielleicht könnte man einmal den Output dieses fröhlichen Ferienforschens bewerten? Dann wird sich wahrscheinlich bald der Schluss aufdrängen, dass sich mit etwas weniger Forscherfreizeit das Studienjahr in Trimester teilen ließe. Und das würde das Lehrangebot erhöhen und die Studentenströme kanalisieren.
4. Hinterfragt gehört schließlich auch die Hochschul-Demokratie. Paritätische Mitsprache gehört dort, wo sie sinnvoll ist. Aber: Wie kann es sein, dass eine Studentin Vorsitzende eines Universitätssenats ist? Und: Wie sinnvoll ist es, dass die Studentenvertreter über Berufungen nicht nur mit-, sondern oft als Zünglein an der Waage zwischen Professoren und Mittelbau end-entscheiden? Da hängt dann das qualitative Schicksal einer Universität von Studierenden ab. Dabei sind sie sozusagen „auf der Durchreise“, verlassen die Uni und hinterlassen so manches bleibende Chaos. Das ist zu viel Macht für eine Gruppe, der naturgemäß der Überblick fehlt.
Karl-Heinz Töcherle hat viele offene Baustellen, die dringend saniert werden müssen. Man kann ihm nur wünschen, dass er trotz des wilden Zeterns, das beim Aufreger-Thema Studiengebühren vorhersehbar ist, nicht gleich abgeschreckt wird, die wirklichen heißen Eisen anzupacken. Aber als Lateiner wird er seinen Vergil schon kennen: „Nunc animis opus, Aenea, nunc pectore firmo – Jetzt ist Mut, Aeneas, jetzt ist ein starkes Herz gefragt.“

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