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Wie lange kann sich Österreich die Leistungsfeindlichkeit noch leisten?

Manches Mal sind es nur kleine Notizen, die nachdenklich machen, wie etwa diese in einer Schweizer Zeitung: Die fünf Prozent ärmsten Schweizer sind noch immer besser gestellt als die fünf Prozent reichsten Inder – trotz des indischen Wirtschaftsbooms. Das wird für die ärmsten Österreicher angesichts des hier noch viel stärkeren Wohlfahrtssystems nicht viel anders sein.

Solche Meldungen veranlassen Ideologen dazu, nach einer globalen Umverteilung zu rufen. Dagegen würden sich aber 90 Prozent der Schweizer (wie der Österreicher) heftig wehren. Das macht überdies in Summe nur alle ärmer, wie die Geschichte zeigt. Viel wichtiger ist es nachzudenken: Was sind eigentlich die Wurzeln des mitteleuropäischen Wohlstands? Und wird er sich – mit oder ohne Vorsprung gegenüber anderen – halten lassen?

Mit Bodenschätzen, Kolonialismus oder ererbtem Reichtum lässt sich da gar nichts erklären. Die Schweiz ist eines der bodenschatzärmsten Länder der Welt; sie hatte noch weniger Kolonien als Österreich; und dieses war 1945 das ärmste Land Europas – ärmer als manche Länder, die sich heute in der Schublade „Dritte Welt“ finden.

Auch genetische Erklärungen helfen nicht weiter. Denn breite Studien aus den USA zeigen, dass die Asiaten (dort vor allem Vietnamesen und Chinesen) sowohl bei Intelligenztests wie auch an den Unis weit besser abschneiden als die Weißen.

Die einzige valide Erklärung für den sich nicht nur im Konsum, sondern auch bei Lebenserwartung und Kultur auswirkenden Wohlstand ist das europäische Wertesystem. Dessen Basis lautet: Freiheit und Leistung im Rahmen einer liberalen Rechtsordnung.

Freiheit und Leistungsbereitschaft wurzeln in Europas kollektiven Erfahrungen wie auch im Christentum, auch wenn sich manche Theologen schwer damit tun. Das Rechtssystem wiederum ist ein Erbe der alten Römer. Insofern ist die Basis der heute stabilsten, friedlichsten, gesündesten und wohlhabendsten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte also schon auf eine Erbschaft zurückzuführen, jedoch auf eine immaterielle.

Die große Frage ist heute freilich: Sind wir uns noch immer dieses Fundaments bewusst? Ist den Europäern klar, dass Freiheit, Leistung und Rechtsstaat ständig verteidigt und neu erkämpft werden müssen? Ich fürchte: Nein.

Der Wert der Freiheit – von der Meinungs- bis zur Erwerbsfreiheit – war für die Europäer nach den beiden mörderischen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts offenkundig. Jedoch sind heute die allermeisten dahingestorben, die noch eine eigene Erfahrung mit diesen Systemen hatten. Eine der Folgen: Die Freiheit wird immer mehr durch Regeln und Gesetze, aber auch die einengende Herrschaft einer Politischen Korrektheit reduziert.

Noch rascher schwindet das Bewusstsein der Notwendigkeit von Leistung. Jahrzehntelange Gehirnwäsche hat uns suggeriert: Wir müssten nur die Partei X wählen, dann verdienen wir mehr, dann gehen wir immer früher in Pension, dann gibt es immer mehr gratis. Jahrzehntelang hat der öffentlich-rechtliche(!) Rundfunk nach derselben Masche Witzchen gemacht: „Furchtbar, heute ist Montag! Wann kommt endlich das Wochenende?“

Der Traum von der Leistungslosigkeit schlägt sich auch in harten Daten nieder: 1970 dauerte ein durchschnittliches Arbeitsleben 42 Jahre, heute nur noch 35 Jahre – trotz der um rund ein Jahrzehnt gestiegenen Lebenserwartung. 1970 betrug die Staatsverschuldung 12 Prozent des (damals noch dazu viel niedrigeren) Bruttoinlandsprodukts, heute liegt sie über 70 Prozent. Wobei die steil gestiegenen Pensionszusagen, für die nichts zurückgelegt worden ist, noch gar nicht einberechnet sind.

Nur ein immer kleiner werdender Teil der Bürger trägt noch die Leistungsanstrengungen. Der Rest ruht sich im morschen Wohlfahrtsstaat auf welken Lorbeeren einer verblichenen Vergangenheit aus. Das erinnert lebhaft an die Griechen, die seit mehr als 2000 Jahre nur von der Erinnerung an ihre große Vergangenheit leben. Mehr schlecht als recht.

Inder, Chinesen, Vietnamesen, Koreaner, Thais wollen hingegen das Match der Zukunft gewinnen, und zwar durch eine unglaubliche Leistungsorientierung. In ihren Schulen wird gebüffelt und gestrebert, dass sich die Balken biegen. Wettbewerb und beinharte Auslese regieren vom Kindergarten bis zum Berufsende. Arbeitszeitregelungen, Umweltschutz, Pensionssystem, Urlaubsansprüche, Gesundheitsversorgung: Überall stößt man in Asien auf eine total andere Welt.

Manche Leser werden jetzt denken: Will der Autor bei uns asiatische Verhältnisse haben? Natürlich will er das nicht. Es gibt aber keine angenehme Alternative zu einer starken Wiederbelebung des dahinsterbenden Leistungsprinzips. Wer glaubt, aus lauter Mitleid mit den wenig gewordenen Kindern (auch deren Zeugung gilt ja schon vielen als unzumutbare Mühe) und aus Angst vor den Wählern den Österreichern Anstrengungen und Wettbewerb ersparen zu können, der begeht in Wahrheit ein historisches Verbrechen. Nur über das Leistungsprinzip auf allen Feldern vom Beruf bis zum Sozialsystem können wir – zusammen mit Freiheit und Recht – unsere Zukunft sichern.

Die Geschichte ist erbarmungslos: Sie ist nämlich voll von untergegangenen, verarmten oder marginalisierten Kulturen.

(Dieser Text erscheint in ähnlicher Form auch in den ÖPU-Nachrichten der Österreichischen Professoren-Union.)

 

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