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Ausgerechnet dort, wo die EU goldrichtig liegt, ist sie zu schüchtern

Schade, dass ausgerechnet die besten, wichtigsten und klügsten Aussagen der EU-Kommission nur in Form zarter Empfehlungen daherkommen. Die EU ist ja bei anderen, viel problematischeren Themen durchaus mit voller Härte der rechtlichen Verbindlichkeit von Verordnungen, Richtlinien oder Gerichtserkenntnissen unterwegs. Das reicht vom Glühbirnenverbot über die Rechte der deutschen Medizinstudenten in Österreich bis zur Umsetzung von Basel 3. (Mit einer nachträglichen Ergänzung am Ende)

Die jüngsten Empfehlungen der EU an Österreich haben jedoch leider keine rechtliche Qualität. Sondern sie haben nur die Qualität der Vernunft. Sie werden daher von der Regierung so unbeachtet bleiben, wie sie auch von den meisten Medien weitgehend ignoriert worden sind. Was – im Interesse Österreichs! – sehr traurig ist. Dabei sind die Empfehlungen aus Brüssel ohnedies schon viel zu schwach gegenüber dem, was wirklich nottäte. Und möglich ist.

Die EU rät der Republik völlig zu Recht, die Budgetkonsolidierung zu verstärken. Die jährlichen Einsparungen sollten der Kommission zufolge in den nächsten zwei Jahren jeweils ein dreiviertel Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. In der österreichischen Budgetplanung ist jedoch nicht einmal ein halb so schnelles Tempo vorgesehen.

Brüssel sieht sogar das von der Wiener Regierung selbst gesetzte Ziel gefährdet, das Defizit von 4,6 Prozent des BIP (im Jahr 2010) auf 2,4 Prozent im Jahr 2014 zu reduzieren. Die Maßnahmen zur Reduktion des „übermäßigen Defizits“ Österreichs seien „zu unspezifisch“. 

Ins Allgemeinverständliche übersetzt heißt das: Die Regierung produziert nur heiße Luft und wird wahrscheinlich nicht einmal die eigenen ohnedies völlig unzureichenden Einsparvorhaben schaffen. Die groß propagierte Antisteuerhinterziehungs-Kampagne wird nach Überzeugung Brüssels ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg bringen. Was ähnliche Kampagnen ja auch in anderen Ländern nicht geschafft haben.

Gleichzeitig kritisiert die Kommission die hohe Abgabenquote in Österreich (das ist im wesentlichen der Anteil unserer Einkommen, den uns Steuern plus Pflichtversicherungen gleich wieder wegnehmen). Diese Abgabenquote zählt zu den höchsten in der ganzen EU, bestätigt die Kommission. Zugleich haben die sehr hohen Sozialversicherungsabgaben auch einen negativen Effekt auf die Beschäftigung im Niedriglohnbereich. Sie machen Arbeit unqualifizierter Arbeiter zu teuer.

Diese Erkenntnisse sind zwar an sich nicht neu. Aber dennoch wünsche ich mir, dass die sonst so freigiebige EU auch in diesem Zusammenhang einmal ein bisschen Geld in die Hand nimmt und diese Erkenntnisse und Empfehlungen landauf, landab plakatiert. Denn ganz offensichtlich denkt die österreichische Politik nicht daran, den als „Einladung“ umschriebenen Ratschlägen der EU nachzukommen. Die Regierung beschloss zuletzt sogar wieder lauter neue Ausgaben. Und Bundeskanzler wie Bundespräsident haben nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der europäischen Empfehlungen sogar ungeniert schon wieder nach weiteren Steuererhöhungen gerufen.

Natürlich sollen diese laut der ewig gleichen Rhetorik der Politik wie immer nur die „Reichen“ treffen. Und nie wird zugegeben, dass eine solche Unterscheidung nicht funktionieren kann. Erstens wachsen auch die Nicht-so-Reichen auf Grund der Inflation oder ihres beruflichen Aufstiegs immer rasch in jene Einkommensbereiche beziehungsweise „Vermögen“ hinein, die kurz davor noch als Reservat der „Reichen“ gegolten haben. Zweitens vertreibt man damit immer extrem rasch alle jene Menschen aus dem Land, die wirklich Geld haben. Und die anderen Arbeit geben könnten.

Steuererhöhungen leeren die Kassen und Börsen

Ein neues dramatisches Beispiel für die negativen Konsequenzen von Steuererhöhungen ist die seit heuer geltende Ausdehnung der Kursgewinnsteuer (man muss der Neuregelung zufolge nun Kursgewinne immer versteuern, früher war das nur während des ersten Jahres nach Aktienkauf notwendig). Diese Steuerausdehnung war zwar damals auch von einem vermeintlichen Wirtschaftsspezialisten wie dem Spitzenmanager Claus Raidl gefordert worden. In der wirklichen Welt hat diese Steuererhöhung aber eine Katastrophe für den Finanzplatz Wien ausgelöst.

Im vergangen Monat, also im Mai 2011, hat sich nämlich das Handelsvolumen an der Wiener Börse um 42 – in Worten: zweiundvierzig! – Prozent reduziert. Das lässt befürchten, dass die Steuererhöhung am Schluss ein Minus in der Staatskasse auslösen wird. Was ja wohl nicht ganz der Zweck der Übung war. Ganz besonders schnell haben sich ausgerechnet die österreichischen Anleger von ihrer Börse abgewendet. Sie trauen dieser Regierung alles Üble zu. Das alles demoliert nebstbei natürlich auch die langfristige Überlebenschance der Börse.

Der von der Politik total ignorierte Kollaps der Börse bedeutet logischerweise auch, dass künftig weniger Investitionskapital für österreichische Betriebe zur Verfügung steht. Und dass derzeit schon viel Geld über die Landesgrenzen hinausfließt. Wenns nicht anders gegangen ist, halt im Koffer.

Nicht mit Zahlen belegbar, aber in gewichtigen Einzelfällen nachweisbar ist auch eine weitere massiv negative Wirkung der Steuerpolitik der letzten zwei Jahre: Sowohl die Verschlechterung der Stiftungsbesteuerung wie das Gerede über weitere Steuerattacken auf Stiftungen und Banken vertreiben Kapital aus Österreich. Man sollte sich für die Zukunft auch bewusst sein: Selbst die großen Banken sind nicht dauerhaft gezwungen, in Österreich zu bleiben, sind sie doch längst schon internationale Akteure. Und Bratislava oder Prag sind wunderschöne Städte mit einer sich rasch verbessernden Infrastruktur.

Mit Sicherheit die gleiche negative Wirkung, wie sie schon die Kursgewinnsteuer hatte, würde auch eine Einführung der von allen österreichischen Politikern geforderten europaweiten Finanztransaktionssteuer haben. Derzeit scheitert diese ja zum Glück noch am Widerstand klügerer Regierungen wie etwa der britischen. Diese Finanztransaktionssteuer (die jede simple Geldüberweisung verteuert) würde nämlich massiv Investoren und Geldgeschäfte aus dem EU-Raum vertreiben. Und außerdem würden viele komplizierte Umgehungskonstruktionen zur Vermeidung der Steuer entstehen, die nur Steuerberatern etwas nützen.

Die goldenen Worte der EU-Kommission haben nur einen Fehler (abgesehen davon, dass sie sowieso von der Regierung ignoriert werden): Sie sind noch viel zu wenig ambitioniert. Denn es gibt in Wahrheit im gegenwärtigen Konjunkturboom keinerlei Grund, überhaupt ein Defizit zu machen. In Wahrheit sollte und müsste Österreich heuer oder spätestens im kommenden Jahr sein Defizit komplett abbauen. Die Schulden werden ja sowieso gewaltig bleiben. Ein solcher Defizitabbau würde halt eine Einsparungsanstrengung von 2 bis 3 Prozent des BIP bedeuten und nicht nur von 0,75 Prozent (EU-Empfehlung) oder 0,35 Prozent (das erwähnte Ziel der Regierung).

Ein solches Sparprogramm wäre gewiss nicht schmerzfrei oder gar populär. Nur ein physisch schon schwer angeschlagener Hannes Androsch kann behaupten, der Staat könne 20 bis 30 Milliarden einsparen, „ohne dass Leistungen gekürzt werden müssen“. Selbstverständlich müssen viele überflüssige oder luxuriöse Leistungen, Subventionen und Programme radikal gekürzt werden. Was immer laute Schmerzensschreie der derzeitigen Nutznießer auslösen wird. Aber andererseits sind die 2 bis 3 Prozent Einsparung nur die Hälfte der 5 Prozent Einsparung, die Griechenland in den letzten zwölf Monaten geschafft hat – obwohl das Land ringsum ob seiner viel zu geringen Einsparbereitschaft getadelt wird.

Es ist wohl so: Ein EU-Land, das zu Konjunkturzeiten nicht einmal einen Bruchteil der griechischen Anstrengungen auf sich zu nehmen bereit ist, wird selbst einmal ein Griechenland werden.

PS. Bestürzend ist auch der Vergleich mit Italien, einem weiteren notorischen Krisenkandidaten: Italien hat sich in seiner Budgetplanung fest vorgenommen, 2014 ein Nulldefizit zu haben. Österreich hingegen will in jenem Jahr noch immer ein Defizit von 2,4 Prozent produzieren. Und wenn eine neue Krise kommt, wird man dieses Ziel halt leider, leider auch nicht erreichen.

PPS. Nur zur technischen Information: Das oft zitierte BIP Österreichs wird heuer über 290 Milliarden Euro ausmachen.

(Nachträgliche Ergänzung: Wenige Tage danach fordert jetzt auch der Währungsfonds Österreich zu den gleichen Maßnahmen wie die EU auf: Schulden sollten "ehrgeiziger" abgebaut werden. Dabei solle sich Österreich vor allem auf Pensionen, Gesundheitsvorsorge und Subventionen konzentrieren, etwa durch eine schnellere Reform der Hacklerregelung. Bei den Subventionen wird insbesondere auf die ÖBB und die Wohnbauförderung verwiesen. Alles altbekannt - aber immer wichtig!)

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

 

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