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Das Problem mit Griechenland, Portugal & Co lässt sich auf zwei Sätze konzentrieren. Erstens: Solange es einen Ausweg zu geben scheint, werden viele Regierungen nicht ernsthaft mit der Sanierung beginnen. Zweitens: Die nötige Ernsthaftigkeit besteht in einem Gesinnungswandel der gesamten Bevölkerung, der vom Forderungs- und Wohlfahrtsstaat abgeht und eine gemeinsame Kraftanstrengung startet, die der Energie der Wiederaufbaujahre nach 1945 gleicht.
Je früher und stärker dieser Gesinnungswandel eintritt, umso weniger ist er auch mit dem äußeren Elend jener Jahre, mit Hunger und Not verbunden. Ich finde jedenfalls in keiner Aufzeichnung aus dem Jahr 1945 Berichte über Demonstrationen und Streiks, mit denen die Bevölkerung irgendwo geglaubt hätte, ihr arges Los verbessern zu können (Erst 1950 haben etwa in Österreich die Kommunisten das versucht, sie wurden aber von den sozialdemokratischen Arbeitern in die Schranken gewiesen). Ich finde auch nirgendwo in jener Zeit das selbsttäuschende Argument, dass ja jemand anderer schuld an der Krise sei, weshalb man selber nicht sparen müsse. Obwohl das damals viel richtiger war als heute. Stattdessen hat jeder – auch ohne staatliche Subventionen – angepackt, wo auch immer Not am Mann (und damals ganz besonders: an der Frau) war.
Von dieser Gesinnung sind vor allem die Südeuropäer heute weit entfernt. Der spanische Ministerpräsident Zapatero etwa hat vor den Wahlen vom vergangenen Sonntag ganz offiziell angekündigt (er „garantierte“ das sogar), dass es keine weiteren Einsparungen mehr geben wird. Er hat sich zu dieser wahnwitzigen Zusage hinreißen lassen, weil ein paar Tausend Studenten dagegen protestiert haben.
In Portugal wiederum fand das Sparpaket der Regierung keine parlamentarische Mehrheit. Und in Griechenland vertreiben ständige Streiks insbesondere bei Fähren und im Luftverkehr viele Touristen, sodass der Fremdenverkehr als wichtigster Wirtschaftszweig ein zehnprozentiges Minus hinnehmen musste.
Dabei wären viele Nord- und Westeuropäer prinzipiell durchaus bereit, aus Solidarität jetzt sogar ganz bewusst nach Griechenland zu kommen. Sie haben aber verständlicherweise keinerlei Lust, während des Urlaubs tagelang in Luft- und Seehäfen herumzuhängen.
Der Streik der griechischen Luftlotsen erinnert übrigens an Amerikas Ronald Reagan, der einst streikende Fluglotsen gefeuert und durch Armeeangehörige ersetzt hat. Das war in der Folge für den sozialen und wirtschaftlichen Frieden der USA sehr dienlich – bis dann Bush und Obama die große Schuldenkrise ausgelöst haben.
Schuld an dieser Malaise in Südeuropa sind aber auch die falschen und verwirrenden Signale aus den anderen Ländern Europas. Denn die diversen Hilfspakete haben zwar einen kurzfristig harten und in seinen Konsequenzen schwer abschätzbaren Schock vermieden, sie haben aber den Einwohnern der bankrotten Länder eine völlig falsche Botschaft vermittelt: Man müsse zwar jetzt so tun, als ob man ein bisschen spart und heftig darüber wehklagen, aber wirklich wehtun dürfe und werde das Sparen nicht, gibt es doch die reichen Onkel in Deutschland und Umgebung. Die müsse man nur ein wenig unter Druck setzen, dann zahlen sie schon weiter.
Daher glauben die Griechen auch nicht wirklich den Drohungen Angela Merkels, dass erst die üppigen Urlaubs- und Frühpensionsregeln in Südeuropa abgeschafft werden müssen, bevor es neues deutsches Geld gibt. Denn ganz offensichtlich denken viele Menschen im Süden: Wer einmal umgefallen ist, so wie die Deutschen im Frühjahr 2010, der wird auch ein zweites Mal umfallen.
Freilich steht Merkel heute daheim unter einem stark gewachsenen Druck: Die schlechten Wahlergebnisse und Umfragewerte der Regierungsparteien haben ihr eine deutliche Botschaft geschickt, wie unbeliebt die Griechenland-Hilfe ist. Vor allem drohen schon Dutzende Koalitionsabgeordnete mit einem Nein, wenn es bald um weitere Griechenland-Milliarden gehen soll. Ganz abgesehen von der Gefahr, dass diese Hilfen demnächst vom deutschen Verfassungsgericht als Rechtsbruch gegeißelt werden könnten.
Peinlich ist jedenfalls das Verhalten der Gewerkschaften: Denn diese haben sowohl auf österreichischer wie europäischer Ebene gegen „exzessive Sparvorgaben“ für Griechenland zu protestieren begonnen. Glauben sie damit wirklich, ihre zahlenden Mitglieder hinter sich zu haben? Das wäre mehr als erstaunlich. Wie kann man vom „Totsparen“ Griechenlands reden, wenn dort die im letzten Jahrzehnt erzielten Gehaltszuwächse der Beamten jene in Deutschland übertreffen?
Aber die Gewerkschaften kämpfen natürlich gar nicht so sehr für die Griechen, sondern verzweifelt um ihren eigenen Existenzsinn: Wenn einmal klar wird, dass viele der von ihnen erkämpften „Errungenschaften“ absolut unfinanzierbar sind und auch in Ländern wie Deutschland oder Österreich zurückgeschraubt werden müssen, dann werden auch die Gewerkschaften für ihre Mitglieder zu unnötigem Ballast. Daher sind sie gegen jede konsequente Politik gegen Griechenland.
Dabei gibt es in Europa durchaus Beispiele für gelungene Sanierungen, ohne dass Not und Elend ausgebrochen ist. Musterbeispiel sind die nordischen Länder wie Finnland, Dänemark oder Schweden, die alle in den letzten zwei Jahrzehnten auf Grund der Kosten für ihren viel zu teuren Wohlfahrtsstaat in Wirtschaftskrisen geraten waren. Sie haben jedoch alle drei mit großem Erfolg Sozialleistungen abgebaut und ihre Länder wieder auf gesunde Beine gestellt. Seither wird allerdings Schweden von Gewerkschaftsseite nicht mehr wie in den Jahrzehnten vorher als Musterland propagiert, sondern total ignoriert. Dafür ist dort die bürgerliche Regierung triumphal wiedergewählt worden, während anderswo die Regierungsmehrheiten zerbröckeln.
Nur ein paar Fakten aus Schweden: Dort gehen die Menschen heute im Schnitt um vier Jahre später in Pension als in Österreich – und zwar nicht nur auf dem Papier. Schweden hat die Schulden auf den niedrigsten Stand seit 35 Jahren gesenkt; diese werden im kommenden Jahr nur noch 27 Prozent des BIP betragen – Österreich hingegen hat seine Schuldenquote, also den Anteil der Staatsschulden am BIP, gleichzeitig versechsfacht! Schwedens Wirtschaft wuchs trotzdem im Vorjahr mit 5,5 Prozent so stark wie noch nie seit 40 Jahren. Was die bei Politikern beliebte Mär widerlegt, man müsse für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze Schulden machen: Schulden sind in Wahrheit der Tod jedes langfristigen Wachstums. Schweden wird heuer auch einen saftigen Budgetüberschuss schaffen.
Ein anderes Beispiel ist Belgien. Das schaffte es, zwischen 1993 und 2007 seine Staatsverschuldung von brandgefährlichen 135 auf (freilich noch immer zu hohe) 84 Prozent zu drücken; es brachte auch mehrmals einen Budgetüberschuss zusammen. Zusätzliche Steuereinnahmen wurden strikt für die Schuldentilgung gebunden und nicht zur Befriedigung neuer Ausgabenideen. Bei der Budgetplanung wurde auch die wachsende Überalterung einkalkuliert. Unabhängige Institutionen überwachten die Einhaltung der Sparziele. Marode Staatsbetriebe wie die Sabena wurden verkauft.
Freilich ist Belgien auch ein Beweis, dass Sparanstrengungen rasch wieder verebben können: Denn in den letzten Jahren hat die Ausgabendisziplin stark nachgelassen. Und die Verschuldung nähert sich wieder der 100-Prozent-Grenze. Die Belgier leisten sich freilich zweierlei Luxus: Erstens haben sie seit über einem Jahr keine handlungsfähige Regierung. Und zweitens finden sie über die grundlegende Frage jedes Staates keinen Konsens, ob die zwei tragenden Nationalitäten, also Flamen und Wallonen, überhaupt noch in einem gemeinsamen Staat bleiben werden.
Die Beispiele zeigen: Sanierungen sind durchaus möglich. Es braucht aber immer erst eine Krise, dann einen langen und mutigen Atem und vor allem den Konsens zwischen Politik und Bürgern. So wie es auch in Mitteleuropa nach 1945 auf noch unvergleichlich niedrigerem Niveau der Fall war.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.