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Was man von den Briten lernen könnte

Ein solches Referendum hätte in Österreich mit Sicherheit den wahlrechtlichen Istzustand nicht bestätigt. Jedenfalls nicht mit so großer Mehrheit wie jene, mit der die Briten ihr Mehrheitswahlrecht verteidigt haben. Deswegen lassen ja unsere Politiker sicherheitshalber gleich gar nicht zu, dass das Volk über das Wahlrecht abstimmt.

Die Briten haben sich ganz klar für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen. Und sie haben gleichzeitig ein überzeugendes Beispiel für das Funktionieren der direkten Demokratie abgelegt. Das sollte auch in Österreich die diesbezügliche Diskussion wieder beleben. Freilich ist klar, dass die Wiener Koalition ein diesbezügliches Gesetz beziehungsweise Referendum nur noch viel schwerer durchbrächte, seit sie keine Zweidrittelmehrheit mehr hat.

Außerdem war ja die SPÖ nie ein sonderlicher Freund von Mehrheitssystemen. Und auch in der ÖVP haben dessen Freunde immer nur eine Minderheit gebildet. Diese sind seit dem Absturz der Volkspartei auf den dritten Platz bei etlichen Umfragen zweifellos noch viel zaghafter geworden. Aber auch in der aufstrebenden FPÖ ist niemand als Anhänger eines Mehrheitswahlrechts bekannt. Und die beiden Kleinparteien sind sowieso und naturgemäß dessen erbitterte Gegner. Sie würden ja dann aus dem Parlament fliegen (höchstens die Grünen könnten in westlichen Studenten- und Künstler-Bezirken innerhalb des Gürtels auf ein Mandat hoffen). Mit anderen Worten: Viele Wähler sind dafür - aber keine einzige Partei.

Die Briten sind jedoch ganz eindeutig für das Mehrheitswahlrecht. Denn sie wissen aus jahrelanger Erfahrung: Ein solches Wahlrecht führt in der Regel zum wichtigsten Ergebnis einer Wahl, nämlich zu einer handlungsfähigen Regierung – auch wenn gerade jetzt in London erstmals notgedrungen eine Koalitionsregierung amtiert. Gerade deren erstes Jahr hat den Wählern aber so viel an regierungsinternen Reibereien und Eifersüchteleien gezeigt, dass sie nun noch weniger Lust denn je auf ein Wahlrecht haben, das mit hoher Wahrscheinlichkeit ständig zu Koalitionen führen würde.

Die Briten gelten zwar als die Erfinder von Prinzipien wie Fairness oder Gerechtigkeit. Sie sehen es aber keineswegs als ungerecht an, dass sie auch noch ein weiteres Prinzip anwenden: The winner takes it all. Das ist durchaus gerecht, solange alle Parteien die gleichen Startchancen haben. Und ein solches Wahlrecht kann ja über Nacht die Parteienlandschaft sehr dramatisch verändern, wie wir knapp davor in Kanada gesehen haben. Dort wurden ja die traditionsreichen und lange machtverwöhnten (Links-)Liberalen wie auch die Quebec-Separatisten fast ausradiert.

Auch das britische Ergebnis ist für die dortigen Liberalen sehr bitter. Sie hatten ihre Regierungsteilnahme ja genutzt, um die Durchführung dieses Referendums zu erzwingen. Das Ergebnis ist umso bitterer, als die Partei bei den diversen regionalen Wahlgängen am gleichen Tag ebenfalls eine deftige Rechnung für ihre Regierungs-Tätigkeit bekommen hat, während die konservativen Koalitionspartner ungeschoren davongekommen sind.

Die Liberaldemokraten haben damit nicht nur den für die kleinere Partei einer Koalitionsregierung häufigen Rückschlag erlitten. Sie sind auch ein Beispiel für eine Partei, die in langen Oppositionsjahren zwar immer mehr unzufriedene Stimmen sammeln kann, diese aber ab dem Tag der Verantwortungsteilhabe rasch wieder verliert.

Das passierte ja gerade der deutschen FDP ebenso, wie es den österreichischen Freiheitlichen nach 2000 gegangen ist. In solchen Oppositions-Gruppierungen sammeln sich offensichtlich allzu heterogene Wählergruppen, die allesamt nur das Nein zu den machthabenden Parteien, aber kein taugliches Regierungsprogramm gemein haben.

Großbritannien zeigt in Hinblick auf die Mehrheitswahlrechts-Diskussion aber noch etwas: Die – auch von mir immer wieder geäußerte – Sorge, dass sich in einem solchen System jeder Wahlkreis-Abgeordnete nur noch um seinen Kirchturmshorizont kümmert, trifft dort nicht wirklich zu. Offenbar ist doch jedem Abgeordneten klar, dass er nur gemeinsam mit der eigenen Gesamtpartei und vor allem dem jeweiligen Spitzenmann siegen kann. Oder dass er untergehen wird, auch wenn er sich noch so populistisch von der eigenen Regierung oder Partei zu distanzieren versucht und auf rein lokale Interessenvertretung macht.

Die Briten zeigen es zumindest regelmäßig vor, wie ein Mehrheitswahlrecht funktionieren kann und soll: Sie wählen immer primär mit dem Blick auf die nationalen Fragen, und sekundär erst mit dem auf die lokalen Themen.

Die Briten haben ebenso vorgezeigt, dass direkte Demokratie auch dann funktioniert, wenn sie nicht so wie in der Schweiz alle 14 Tage trainiert wird. Das ist ja bei uns ein oft gehörtes Gegenargument gegen die direkte Demokratie – es übersieht aber, dass auch die Schweizer damit erst einmal anfangen mussten.

Jetzt müssen die Untertanen von Königin Elizabeth freilich noch etwas viel Schwierigeres zeigen: dass sie auch imstande sind, sich mit ihren scharfen Sparmaßnahmen wieder auf die wirtschaftliche Überholspur zu setzen.

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