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Schuldenkrise: Vorboten einer Rückkehr der Vernunft

In den vergangenen Monaten, Wochen und Tagen sind unüberschaubar viele widersprüchliche Aussagen, „Geheiminformationen“ und Einschätzungen zur Lage der europäischen Großschuldenländer auf die Bürger eingeprasselt. Fast könnte man glauben, hinter diesem verwirrenden Trommelfeuer steckt Strategie. Diese könnte etwa so lauten: Wir verwirren die Europäer so lange, bis sie am Schluss gar nicht mehr mitkriegen, was dann wirklich geschieht. Bis sie gottergeben und kritiklos jeden Beschluss hinnehmen.

Ein Ziel hat man jedenfalls mit dieser Strategie schon erreicht: Kaum jemand spricht noch davon, was für ein schwerer Fehler es war, in den vergangenen Monaten Hunderte Milliarden Euro Richtung Griechenland, Irland und Portugal versickern zu lassen.

Das heißt nun freilich nicht, dass es irgendeinen schmerzfreien Weg aus dem Schlamassel heraus gibt oder gegeben hätte. Die einzigen strategischen Alternativen bestanden zwischen viel Realitäts-Verdrängung und weniger Verdrängung, zwischen einem großen Schaden und einem geringen Schaden.

Eine der wirksamsten Lügen, die uns im Vorjahr aufgetischt worden sind, war jene von der Bedrohung des Euro. Die Wahrheit ist: Dieser war nie bedroht. Denn selbst wenn er um einige Cent im Wert gegenüber dem Dollar fallen würde, bekäme er damit nur ein Austauschverhältnis, das er schon des öfteren hatte – ohne dass jemand von einer Bedrohung der Währung gesprochen hätte.

Ein niedrigerer Euro-Kurs würde sogar die Exporte erleichtern. Er würde allerdings Öl- und andere Importe verteuern. Das würde aber wiederum die EZB zu einer weiteren Zinserhöhung veranlassen. Was wiederum den Euro-Kurs stärken würde.

Den Euro sollte man also als Argument vergessen. Ebenso vergessen sollte man das Gerede, dass etwa die Griechen bald aus dem Euro-Raum ausscheiden werden. Das werden sie nie und nimmer. Weil dann müssten sie mit ihrer rasch schwach werdenden Währung ihre alten Dollar- und Euro-Kredite bedienen. Dass freilich von allem Anfang an die Aufnahme der Griechen oder Portugiesen in den Euro-Raum ein schwerer Fehler war, das wissen heute alle. Und das müssen diese beiden ebenso wie die anderen Euro-Länder heute bitter büßen.

Nur: Man kann erstens die Geschichte nicht mehr rückgängig machen. Und zweitens war nicht nur im Falle Griechenlands die Aufnahme in den Euro ein schwerer Fehler. Denn auch etliche andere Länder haben vom ersten Tag an die sogenannten Stabilitätskriterien grob verletzt. Das sind nicht nur die heute an der internationalen Herz-Lungen-Maschine hängenden Patienten. Das sind etwa auch Belgien und Italien.

Zu Belgien beispielsweise habe ich in einem EU-Dokument aus 1998 den bezeichnenden Satz gefunden: „Die Kommission empfiehlt dem Rat, die Entscheidung über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Belgien aufzuheben. Folgt der Rat dieser Entscheidung, so gilt das Kriterium, das die Finanzlage der öffentlichen Hand betrifft, in Belgien als erfüllt.“

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Belgien hat nicht etwa die Kriterien erfüllt – sein Schuldenstand lag über 120 Prozent des BIP anstelle der als Höchstgrenze vorgeschriebenen 60 Prozent! – sondern Rat und Kommission haben politisch einfach beschlossen, das Kriterium als erfüllt anzusehen. Obwohl das Kriterium nie geändert worden ist. Man wollte ja glaubwürdig bleiben – und wurde natürlich das Gegenteil.

Entsprechend gering war die Ernsthaftigkeit fast aller EU-Staaten in Sachen Gelddisziplin. Österreich etwa hat erst am Ende der Sparperiode Schüssel-Grasser, also lange nach Euro-Einführung seine Schulden auf die vorgeschriebenen 60 Prozent drücken können – es nähert sich aber inzwischen schon schnell sogar den 80 Prozent!

Mit der Aufnahme von Belgien&Co war jedenfalls vom ersten Tag an klar, dass die Euro-Regeln nicht so ernst gemeint sind. Was man als vorsätzliche Anstiftung zu vielen danach folgenden Vergehen gegen die europäische Finanzdisziplin interpretieren kann.

Die Euro-Regeln hat man jedenfalls auch von oberster Stelle mindestens noch einmal brutal verletzt: Indem man sich im Vorjahr über die ausdrückliche „No-Bailout“-Regel hinweggesetzt hat. Diese verbietet es ja sowohl den EU-Institutionen wie auch den anderen Euro-Ländern ausdrücklich, einem verschuldeten Staat mit Krediten beiseitezustehen. Das tut man seit dem Vorjahr aber dennoch in kaum getarnter Form und in beängstigend großen Dimensionen.

Auch ein Zerfall des Euro in die Gegenrichtung ist politisch übrigens absolut undenkbar, also ein Ausscheiden von Deutschen, Österreichern und Niederländern. Das wäre zwar technisch eine Spur leichter, das würde aber dennoch den weitestgehenden Zerfall der EU bedeuten. Diese Verantwortung nimmt zu Recht keine Regierung auf sich.

Was aber jetzt tun? Irgendetwas muss ja geschehen. Denn wider alle offiziellen Beteuerungen ist es absolut undenkbar, dass insbesondere Griechenland all seine Verpflichtungen einhalten kann. Diese Beteuerungen sind lediglich ein Lügenvorhang, hinter dem verzweifelt an Lösungen gebastelt wird. Und diese Lösung wird wohl in einer Mischung bestehen.

Erstens wird dem schlechten (also schon abzuschreibenden) Geld noch einmal gutes, frisches Geld nachgeworfen werden. Das wird wahrscheinlich genausowenig zurückbezahlt werden. Zweitens wird es aber endlich auch zu dem kommen, was schon im Vorjahr geschehen hätte müssen. Nämlich zu einer Umschuldung Griechenlands, also zu einer Abschreibung beziehungsweise Entwertung eines Teils der alten Forderungen an die Griechen.

Da werden beispielsweise die Rückzahlungsdaten einzelner Anleihen nach hinten erstreckt werden. Das schädigt natürlich die Gläubiger schädigt. Man wird es halt elegant auf Anraten einer teuren PR-Agentur „weiche Umschuldung“ oder so ähnlich nennen.

Das ist aber trotzdem zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Endlich – nach einem Jahr voller schlimmer Patzer und Lügen. Je mehr der Umgang mit (nicht nur kurzfristig zahlungsunfähigen, sondern auch nachhaltig) überschuldeten Staaten dem Umgang mit überschuldeten Firmen ähnelt, umso größer ist die Chance auf eine Rückkehr der wirtschaftlichen Vernunft.

Deren Eckstein ist nun einmal die Insolvenz eines Bankrotteurs. Wer dieser Konsequenz ausweichen will, verstrickt sich nur immer tiefer in eine Schuldenwirbel.

Freilich haben jene auch recht, die auf die Konsequenzen einer solchen Umschuldung, also eines teilweisen Forderungsverzichts, hinweisen. Dennoch ist die Umschuldung richtig und notwendig.

Was sind denn diese Konsequenzen? Erstens werden natürlich alle Gläubiger leiden. Das sind etwa Lebensversicherungen, Banken, Pensionsfonds, Sparer im Westen. Die müssen viel Geld abschreiben. Es käme aber immer noch billiger, solchen Anlegern zu helfen – natürlich nur teilweise! –, statt immer weiter Geld ins griechische Loch zu schütten.

Zweitens würden die anderen Euro-Staaten auch direkte Folgen sparen: Jeder einzelne von ihnen könnte, wenn er nicht extrem sparsam ist, von Geldgebern künftig viel kritischer angeschaut werden. Plötzlich wird klar, dass auch EU-Länder zahlungsunfähig werden können. Das bedeutet die Gefahr höherer Zinsen und damit noch mehr Druck auf die Staatsfinanzen der bisher scheinbar noch ungefährdeten Länder.

Aber das ist ein absolut unverzichtbarer Preis für die Einkehr der Vernunft! Denn es ist absurd, dass derzeit Kredite, die man einzelnen Staaten gibt, nach nationalen wie internationalen Regeln als absolut sicher gelten, dass Banken Staatsanleihen kaufen können und dafür im Gegensatz zu Krediten selbst an bombensichere Unternehmen keine Eigenkapital in der Bilanz rückstellen müssen.

Wenn diese Bevorzugung der Staaten einmal gefallen ist, werden Gläubiger künftig vorsprechende Finanzminister viel weniger freigiebig behandeln. Das aber wieder würde in allen Ländern den Druck in Richtung auf geordnete Staatsfinanzen erhöhen.

Und nichts wäre gesünder als ein solcher Druck. Auch im Interesse unserer Kinder. Denn auch Österreich oder Deutschland stehen ja lediglich deshalb als scheinbare Felsen in der Brandung da, weil sie relativ stabiler sind als Griechenland oder Portugal. Vor 40 Jahren wären nämlich Deutschland wie Österreich mit ihren heutigen Schuldenquoten rettungslos in eine jahrelange Krise gestürzt.

Wir lernen: Vieles ist relativ, aber Schulden sind absolut schlecht. 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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