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Vor einem Jahr ist der Wiener Akademikerbund unter Druck der damaligen ÖVP-Führung mit viel öffentlichem Aufsehen und medialem Beifall aus dem österreichischen Akademikerbund hinausgeworfen worden. Das Delikt der Wiener: Sie hatten das NS-Verbotsgesetz in Frage gestellt. Jetzt können die Wiener triumphieren: Der österreichische Akademikerbund hat sie wieder voll rehabilitiert. Von den Printmedien wurde das jedoch bisher nicht zur Kenntnis genommen.
In einer offiziellen Erklärung heißt es nun: „Der Österreichische Akademikerbund schließt sich nach neuerlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage der Meinung des Wiener Akademikerbundes und des Schiedsgerichtes des Österreichischen Akademikerbundes an, wonach die Beschlüsse, mit welchen die Amtsenthebung des gesamten Vorstandes des Wiener Akademikerbundes und die Ausschlüsse von Sen.Rat. Prof. Josef Müller und Mag. Christian Zeitz betrieben wurden, statutenwidrig und sowohl mangels Zuständigkeit als auch inhaltlich rechtswidrig waren. Der diesbezügliche Beschluss des Präsidiums des Österreichischen Akademikerbundes vom 26.03.2010 ist daher nichtig. Der Österreichische Akademikerbund bedauert, dass dem Wiener Akademikerbund und seinen Funktionären durch die Vorwürfe und unberechtigten Ausschlüsse ein beträchtlicher Schaden im öffentlichen Ansehen entstanden ist.“
Das ist eine hochinteressante Wendung – auch wenn der österreichische und der Wiener Bund weiterhin getrennte Wege gehen werden. Der österreichische sieht sich als „befreundete Organisation“ der ÖVP. Der nun ganz eigenständige Wiener Bund will sich hingegen in „Äquidistanz gegenüber allen demokratischen Kräften“ positionieren. Er definiert sich als „dem klassischen, konservativ fundamentierten Liberalismus und der Christlichen Kultursubstanz verpflichtet“.
Ein Kollateralschaden jenes Konflikts war übrigens auch der damalige (österreichische) Akademikerbund-Präsident Franz Fiedler. Dieser trat zurück, nachdem er sich an der Frontalattacke einiger Bundesländer und der ÖVP auf die Wiener nicht beteiligt hatte. Er wurde von dem vielfach als Scharfmacher am linken ÖVP-Rand eingeschätzten Andreas Schnider aus Graz abgelöst. Inzwischen allerdings hat sich Schnider aber – auch in anderen Fragen – auf einen versöhnlicheren Kurs der Mitte begeben. Sonst wäre ja auch dieses Versöhnungspapier nicht zustandegekommen.
Offen ist noch, wie es mit dem damals von Christine Marek über die Medien verkündeten Ausschluss der beiden Wiener Spitzenfunktionäre aus der ÖVP weitergeht. Denn bisher hat es – zumindest nach Angabe der Ausgeschlossenen – in einem Fall nicht einmal eine Zustellung des Ausschlusses und im anderen noch nicht das beantragte Schiedsgerichtsverfahren gegeben. Das Zögern zeigt wohl auch das Bauchweh der unter Mareks Führungsschwäche leidenden Wiener Partei, die sich 2010 von der damaligen Parteispitze wie auch einem SPÖ-nahen Gratisblatt unter Druck setzen hat lassen. Dieses Blatt hatte im Präsidentschaftswahlkampf ein mehr als ein halbes Jahr altes Schreiben des Wiener Akademikerbundes zum Thema Verbotsgesetz thematisiert, das ursprünglich an mehr als 60 Adressaten gegangen ist, ohne dass das eine Reaktion ausgelöst hatte.
Das Thema Verbotsgesetz hatte aber dann durch den diesbezüglichen Zickzack-Kurs der FPÖ im Präsidentschaftswahlkampf besonderen Stellenwert bekommen. Die Wiener ÖVP glaubte – ganz offensichtlich auch auf Verlangen der Bundespartei –, im darauffolgenden Wiener Wahlkampf durch den Akademikerbund in Probleme zu kommen und wählte deshalb besonders scharfe Tönen gegen diesen. Der Wiener Parteisekretär Walter sprach gar von „homophober, islamophober NS-Diktion“ im Wiener Akademikerbund, für die in der ÖVP kein Millimeter Platz sei.
Dass ihre gesamte Wahlkampfstrategie der Wiener ÖVP nicht gerade genutzt hat, ist bekannt. Mit solchen Äußerungen wie der zitierten sind ja beispielsweise auch Kritiker des Islam und Gegner der von Josef Pröll durchgedrückten Schwulenehe aus dem Kern der ÖVP-Wählerschaft noch stärker Richtung FPÖ abgedrängt worden. Ganz abgesehen davon war der Nationalsozialismus keineswegs islamophob. Die Nazis hatten vielmehr in den Moslem sogar Verbündete gesucht und oft auch gefunden. Aber solche historischen Details sind einem Parteisekretär ja nicht wirklich zumutbar.
Und was ist von der Sache selbst zu halten? Das Programm des Wiener Akademikerbundes ist ein durchaus interessante Sammlung von zum Teil sehr wertkonservativen Positionen. Zum Teil aber sind es auch völlig unhaltbare Positionen (die interessanterweise im Gegensatz zu den Meinungsfreiheits-Passagen von Marek&Co nicht kritisiert wurden). Das gilt insbesondere für die Forderung nach einem totalen Einwanderungsstopp. Diese Forderung ist absurd, nicht nur weil dann bald im Gegenzug die Frage auftauchen würde, ob eigentlich Österreicher noch irgendwo anders hin wandern dürfen. Ohne Einwanderung würde das Land auch wissenschaftlich und in vielen wirtschaftlichen Spitzenpositionen verarmen.
Das Thema kann bei einigem Nachdenken nur sein: Warum wandern nach Österreich vor allem die falschen ein? Warum schaut sich etwa niemand viel kritischer das größte Einfallstor für völlig unqualifizerte Anwärter auf lebenslange Sozialhilfe-Karrieren an, nämlich die Familienzusammenführung? Muss man nicht auch die Arbeitgeber an den gesellschaftlichen Kosten hereingeholter Arbeitskräfte beteiligen, die von den Schulen bis ins Sozialsystem reichen?
Das NS-Verbotsgesetz wird in dem Wiener Akademikerbund-Papier hingegen nur mit einem eher dürren Satz kritisiert: „Es verstößt eindeutig gegen das Recht freier Meinungsäußerung und bezieht sich zusätzlich nur auf bestimmte politische Positionen, was einer unzulässigen Gleichbehandlung entspricht.“ Damit ist offensichtlich gemeint, dass die anderen Totalitarismen der letzten Jahrzehnte, also der Kommunismus wie der islamische Fundamentalismus, nicht mit einem solchen Meinungsäußerungsverbot bekämpft werden.
Eine objektive Bewertung müsste aber natürlich auch prüfen, ob nicht eine Rückkehr des Nationalsozialismus vielleicht eine im Vergleich zu diesen beiden Ideologien größere und vor allem existenzbedrohende Gefahr für Österreich und die Österreicher darstellt. Eine solche Gefahr wäre zweifellos ein starkes Argument, das seit der Aufklärung für alle westlich-liberalen Gesellschaftsordnungen zentrale Grundrecht auf Meinungsfreiheit auszuhebeln.
Ich persönlich sehe eine solche Gefahr durch Neonazismus freilich nicht einmal ansatzweise. Allerdings sehen das andere anders. Freilich ist es auch Tatsache, dass insbesondere die politische Linke die Bedrohung durch Nationalsozialismus ganz bewusst viel drastischer malt, um sich dadurch eine moralisierende Argumentationsbasis für einen schablonenartigen „Kampf gegen Rechts“ zu verschaffen. Tatsache ist es ebenso, dass diese Moralisierung umso intensiver wurde, je mehr von den einstigen (oder noch immer) Nazis weggestorben sind, die damit heute nicht mehr als Wähler interessant sind.
Dennoch muss man es in einer Demokratie aushalten, dass die Mehrheit diese Gefahr – aus welchen Motiven immer – nach wie vor zu sehen meint. Das aber sollte es in einer demokratischen Gesellschaft oder Partei keinesfalls zum Delikt machen, eine sachliche Debatte über jenes Meinungsverbot zu führen. Denn jede Einschränkung der Meinungsfreiheit ist eine extrem problematische Sache, deren Berechtigung immer wieder penibelst geprüft werden muss. Solche Einschränkungen sind oft viel gefährlicher für eine freie Gesellschaft als die Übel, vor denen sie angeblich schützen.
Gegen die Verschärfung des Verbotsgesetzes zu seiner heutigen Form ist übrigens etwa auch Bruno Kreisky gewesen. Er warnte auf Grund seiner Lebenserfahrung davor, durch Verbote der rechtsextremen Szene „Märtyrer“ zu verschaffen.
Und jedenfalls gibt es von Amerika bis Großbritannien Staaten, die ohne solche Gesetze auskommen, und die dennoch – oder gerade deshalb? – als demokratisch und rechtsstaatlich viel entwickelter gelten als Österreich. Wobei nicht einmal das Argument stimmt, dass es dort in der Geschichte oder in der Gegenwart keine Nazi-Sympathien gegeben hätte. Insbesondere in den USA waren die Nazi-Sympathisanten bis zum Kriegseintritt sogar sehr stark und politisch relevant. Heute jedoch sind trotz – oder gerade wegen? – der viel liberaleren Haltung des US-Rechts alle dortigen Neonazi-Gruppen längst in die unbedeutende Lächerlichkeit abgesunken. Gegen sie sind in den USA heute sogar Hexenglauben und Satanskulte relevanter.
Aber vielleicht war dieses Nachdenken einer sich immer als liberal sehenden Organisation über Meinungsfreiheit gar nicht so entscheidend für die vorjährige ÖVP-Empörung? Vielleicht ärgerte es Pröll und Marek insgeheim mehr, dass jenes Positionspapier des Akademikerbundes die Faymann-Pröll-Regierung als Rückschritt gegen die „Ambitionen der Vorläuferregierungen“ bezeichnet hat? Von denen sind nämlich einige vom Gottseibeiuns Schüssel geführt worden . . .