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Zu Tode alimentiert

Jetzt gibt es also auch für Portugal europäisches Geld. 80 Milliarden oder so sollen es sein. Und wie auch bei anderen Schuldnerstaaten wird man wohl noch auf den einen oder anderen Grund kommen, weshalb es am Ende noch ein bisserl mehr sein darf. Überall knirschen die Staatsbürger der Zahlernationen mit den Zähnen, weil sie das alles nun zahlen müssen – und weil sie nur geringe Chancen haben, jemals ihr Geld wiederzusehen. Aber es wird ihnen nichts nutzen. Den amtierenden Regierungsparteien wird es freilich massiv schaden.

Viele kritisieren, dass der europäische Rettungsschirm für Portugal einen allzu bequemen Ausweg bietet, dem Staatskonkurs und der dann nötigen Umschuldung – also einer teilweisen Schuldenstreichung unter dem Diktat der Gläubiger – zu entkommen. Andere wieder meinen, dass Portugal nun beim Eintritt unter den Rettungsschirm ohnedies viel härtere Bedingungen diktiert bekommen wird, als sie das vom portugiesischen Parlament abgelehnte Sparpaket enthalten hat. Offen bleibt freilich, wie viel von diesen Bedingungen nur auf dem Papier stehen werden.

In Wahrheit ist es aber gar nicht die wichtigste Frage, ob nun der Rest Europas für Portugal via Rettungsschirm zahlt oder dadurch, dass bei einem Staatsbankrott die im Rest Europas beheimateten Gläubiger in Probleme geraten und Geld verlieren. Diese Gläubiger haben fast alle einen bekannten Namen: Lebensversicherungen, Pensionsfonds, Banken, Sparer. Manche meinen nun, das seien ja ohnedies alles „Spekulanten“, die ruhig bluten sollen. Was freilich eine kühne Behauptung ist, außer man bezeichnet schon die Erwartung als Spekulation, dass ein Schuldner seine Schulden auch zurückzahlen sollte.

Letztlich aber ist es klar, dass es immer die sparsameren Europäer treffen wird. Wobei der Konkurs aus zwei Gründen vorzuziehen wäre: Erstens weil in diesem Fall immer ein mehr oder weniger großer Teil der Gläubiger im Schuldnerland selber daheim ist; und zweitens, weil das derzeit nicht gegebene Risiko eines solchen Staatsbankrottes Anleger gegenüber leichtfertigen Staaten viel vorsichtiger machen würde. Deshalb sind im Gegensatz zu den Steuerzahlern alle Regierungen ja massive Gegner einer solchen Umschuldung. Denn wenn erstmals ein EU-Staat auch offiziell bankrott geht, würden sich andere Regierungen nur noch viel schwerer durch neue Anleihen verschulden können. Was Politiker jedoch nicht so sehr lieben. Denn ohne die Möglichkeit, sich scheinbar problemlos immer mehr zu finanzieren, fürchten sie, rasch an Popularität zu verlieren.

Sie fürchten das vielleicht gar nicht zu Unrecht. Haben sie doch in den meisten Ländern die Menschen immer mehr an die Einstellung gewöhnt: Brot und Spiele gibt es gratis und jedes Jahr mehr. Da werden die Menschen zweifellos protestieren, wenn ihnen eines Tages die Wahrheit zugemutet wird. Und je mehr von der Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelogen worden ist, umso mehr werden die Menschen protestieren.

Der Rettungsschirm hat daher durchaus auch für Regierungen wie jene in Deutschland und Österreich eine rettende Funktion, obwohl sie viele Milliarden auf den Tisch Europas legen müssen. Diese rettende Funktion gibt es freilich nur sehr befristet. Aber mit ihrer Hilfe können sie wenigstens für sich selbst die Stunde der Wahrheit noch ein wenig hinausschieben. Auch wenn diese dann umso brutaler sein wird. Jedoch trifft das dann wohl erst die nächste oder übernächste Regierung.

So erhoffen es zumindest die heutigen Regierungschefs. Worin ich mir freilich nicht so sicher wäre. Denn so manche Experten meinen, dass etwa Österreich auf Grund seiner gegenwärtigen Schuldenpolitik schon 2012 eine Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit hinnehmen wird müssen. Das bedeutet deutlich höhere Zinslasten nicht nur schon für diese Regierung, sondern auch für österreichische Unternehmen. Das bedeutet dann in der Folge das Ausbleiben von Investitionen und die Abwanderung von Betrieben.

Zu Recht werden all diese Aspekte nun europaweit heftig diskutiert. Was aber interessanterweise überhaupt nicht diskutiert wird, wäre eigentlich viel wichtiger, spannender und für die Zukunft lehrreicher. Das ist nämlich die Frage: Was hat die Krisenländer überhaupt in die Zahlungsunfähigkeit geführt, beziehungsweise an deren Rand?

Und da gibt es über alle geographischen und politischen Unterschiede hinweg eine Gemeinsamkeit unter allen PIIGS-Staaten, also Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien: Sie alle lassen sich seit Jahrzehnten von den restlichen EU-Ländern alimentieren. Sie alle haben viel mehr EU-Geld abgecasht, als es den Osteuropäern gelungen ist – obwohl die zum Großteil wirklich arm sind, ärmer jedenfalls als die PIIGS. Das Geld ist auf vielfältige Weise geflossen, vor allem über Kohäsions- und Strukturfonds.

Europa müsste endlich die zentrale Lektion erkennen, die viel wichtiger ist als alle Argumente rund um den Rettungsschirm: Man wollte helfen, hat in Wahrheit aber geschadet. Man hat den Menschen und Regierungen generationenlang vermittelt, dass sie jemand anderer alimentiert. Dadurch haben jene Nationen aber die zentrale Grundlage jeder Volkswirtschaft verlernt: nämlich das Bewusstsein der Eigenverantwortung.

Wenn man immer jemand anderen findet, der einem Geld zuschießt, dann wird man halt wie ein junger Mensch nie wirklich lebenstüchtig werden. Wozu sich anstrengen, wozu lernen, wozu sich in einem Beruf durchbeißen, wenn man eh immer die Oma anpumpen kann? Das führt dann sogar dazu, dass die liebe Oma aus Brüssel sogar Dinge finanziert, auf die selbsthaltungsfähige Nationen in der Regel verzichten. Etwa auf Autobahnen, die von kaum jemandem genutzt werden, wie jene auf der Iberischen Halbinsel.

Warum hat die EU das aber überhaupt getan? Aus mehreren Motiven: Erstens weil überzeugte Anhänger einer antiautoritären Erziehung die skizzierten Folgen gar nicht begreifen; zweitens weil Politiker fast genetisch zwingend Unsinn anstellen, wenn sie über Geld verfügen; drittens weil die Politik fälschlicherweise geglaubt hat, durch Geldspritzen den Wohlstandsabstand zwischen den „reichen“ und „armen“ Europäern ausgleichen zu können, während sie diesen in Wahrheit einzementiert; viertens, weil exportorientierte Länder wie Deutschland sich dadurch Abnehmer ihrer Industrieprodukte züchten  wollten; fünftens weil es den Nehmerländern immer wieder geglückt ist, den Geberländern schlechtes Gewissen wegen angeblicher Unsolidarität einzujagen.

Sechstens aber, weil die Nehmerländer die anderen Mitgliedsstaaten oft genug erpresst haben: damit sie in die EU kommen (es sind ja bis auf Italien lauter Spätberufene); damit sie in die Währungsunion kommen; damit sie weiter alimentiert werden. Die bei den Erpressungen verwendeten Drohungen hatten unterschiedliche Inhalte. Am Anfang hieß die Erpressung etwa Nato. Also: Wenn ihr uns nicht in die EU nehmt und alimentiert, dann treten wir aus der Nato aus. Diese direkte oder indirekte Drohung aus Athen, aus Madrid, aus Lissabon war für die Westeuropäer in den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation sehr bedrohlich. Sie war aber auch glaubwürdig, weil dort nach den Jahren der Diktaturen sehr linke Regierungen amtierten.

Viele andere Drohungen nutzten etwa das Vetorecht jedes einzelnen EU-Mitgliedsstaates aus. So war etwa rund um die Osterweiterung zu hören: Wenn wir nicht mehr Geld bekommen, dann legen wir ein Veto gegen jedes neue Mitglied ein.

Aus all dem kann man zwei Lehren ziehen: Erstens, es lohnt sich nie, einer Erpressung nachzugeben. Zweitens: Je mehr ich ein Land alimentiere, umso weniger wird es selbsterhaltungsfähig. Das zeigt sich im übrigen auch in der Entwicklungshilfe – aber das ist eine andere Geschichte.

(Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.)

 

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