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Pröll: ein Abschied, die Moral und die Zukunft der Volkspartei

Josef Pröll hat richtig entschieden. Er akzeptiert seine Krankheit. Er klammert nicht. Er hofft nicht, ob das eine oder das andere Amt vielleicht doch noch geht. Er tritt vielmehr von allen Ämtern zurück und verbindet das mit ungewohnt deutlichen Worten gegen Strasser & Co wie auch gegen  "Opportunismus" und "Populismus" des Koalitionspartners (für den er trotz seiner sonstigen Abschiedsmilde nicht einmal eine einzige positive Silbe findet). Die Namen der offensichtlich gemeinten nennt er aber nicht. Pröll hat erkannt: Es muss auch ein Leben nach der Politik geben. Er hinterlässt seinem Nachfolger ein schweres, fast nicht zu bewältigendes Erbe.

Dass eine Lungenembolie nicht nach wenigen Wochen überstanden ist, war schon länger im Tagebuch zu lesen gewesen. Gegen schwere Krankheiten ist auch die politikübliche Schönfärberei hilflos. Pröll ist nicht nur dem Tod knapp entronnen, sondern kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ein oder zwei Jahre nicht mehr mit Volldampf arbeiten. Was ihm übrigens eine gute Erholungspause gibt, um dann wohl das Erbe von Raiffeisen-Chef Konrad anzutreten.

Der abgehende ÖVP-Chef ist jedenfalls auch dafür zu loben, dass er nicht wie angekündigt mit seiner Entscheidung auf die Woche nach Ostern gewartet hat, sondern jetzt schon einen klaren Schlussstrich gezogen hat.

Pröll hat bei seinem Abschied aber auch klare Worte gefunden, was die Politik derzeit so belastet: Zu wenig Anstand und zu viel Stillstand.

Das erste trifft primär seine Parteifreunde Strasser und Ranner, aber beispielsweise auch den (noch immer an seinem Sessel festklammernden) Sozialdemokraten Jarolim. Das zweite trifft primär Prölls Koalitionspartner Faymann, über den und dessen absolute Reformunwilligkeit er sich in privaten Gesprächen sehr bitter beklagt hat. Sekundär aber wohl auch die Landeshauptleute aller Couleur.

Kleiner Einschub am Rande: Der ORF-Chefredakteur, der sich zur Kommentierung des Pröll-Abschieds ins Studio gesetzt hat, reduziert diese klaren Pröll-Worte in der nun senderüblich gewordenen Infamie und Manipulation ganz einseitig auf die ÖVP-internen Fälle. Das Pröll-Wort vom Stillstand spricht der SPÖ-Apparatschik hingegen nicht an.

Eine objektive und emotionsfreie Bilanz des Josef Pröll muss ein durchaus gemischtes Bild ergeben: Er war persönlich eine der sympathischsten Erscheinungen in der Politik gewesen. Er war auch persönlich absolut integer (was in Zeiten eines Strasser und eines Faymann schon extra betont werden muss). Er konnte sogar oft eine Stimmung der Fröhlichkeit verbreiten. Er hat sich auch tapfer und klug in das ihm fremde Finanzressort hineingearbeitet.

Er ist aber politisch auch an der Kehrseite dieser Eigenschaften gescheitert: Ihm hat stets die notwendige Härte gefehlt. Diese hat ihm vor allem gegenüber dem ohne Rücksicht auf die Zukunft insbesondere gewerkschaftliche Besitzstände und andere Privilegien verteidigenden Koalitionspartner gemangelt, sodass es zu keinen langfristig relevanten Reformen gekommen ist, obwohl diese dringend nötig wären. Er hat die Verwandlung des ORF in einen Parteisender der SPÖ nicht stoppen können. Er hat den von Faymann eingeführten Brauch der Bestechungsmillionen vor allem für die Boulevard-Zeitungen nicht abstellen können. Er hat als Finanzminister nicht effizient genug die Interessen der Steuerzahler (und der künftigen Generationen) verteidigt. Er hat sich die marode Hypo Alpen-Adria anhängen lassen, statt die Kärntner in ihrer Verantwortung schmoren zu lassen. Er hat nie erkennbaren Widerstand in europäischen Gremien gegen die Schuldenhilfe für die bankrotten Staaten geleistet. Er hat sich in Sachen Reformen auch gegen die ÖVP-Landeshauptleute nicht durchsetzen können.

Auf Prölls Schattenseite stehen aber auch einige personelle Fehlgriffe (die nicht zuletzt auf die krampfhafte Frauenquote zurückzuführen sind). Und schließlich hat sich Pröll – selbst durchaus konservativ gestrickt – von Beratern allzu oft in zeitgeistige Progressivität hineinhetzen lassen. Mit der man zwar einen Tag lang positive Kommentare in den Zeitungen, aber keinen einzigen Wähler gewinnen kann.

Warum keine Urabstimmung über den Nachfolger?

Sein Nachfolger wird es in dieser Situation nicht leicht haben. Er wird mit aller Deutlichkeit dem Koalitionspartner signalisieren müssen: So geht vieles nicht weiter. Er wird eine große Wählerrückholaktion starten müssen: In Richtung der verprellten Konservativen, genauso wie in Richtung der ebenfalls schon über die Gründung einer neuen Partei diskutierenden Wirtschaftsliberalen. Das ist wohl die letzte Chance, wenn es die ÖVP noch verhindern will, dass die Freiheitlichen der dominierende Platzhirsch rechts der Mitte werden.

Die Liste der Nachfolger ist hier schon am Wochenende analysiert, und von vielen Lesern diskutiert worden. Die ÖVP wäre jedenfalls gut beraten, nicht schnell im 24-Stunden-Verfahren der Parteigranden jemanden aus dem Hut zu zaubern, sondern sich einmal wirklich demokratisch zu verhalten und einmal die Mitglieder entscheiden zu lassen. Vielleicht sogar in einer Urabstimmung: Das tut überhaupt nicht weh und würde zeigen, dass die Volkspartei noch lebt. Oder auch nicht. Und ein so bestellter Parteichef wäre viel stärker als ein in Hinterzimmern festgelegter. Das würde in maximal drei Wochen zu erledigen sein – was weniger ist als die Zeit, welche die ÖVP schon auf Pröll verzichten hat müssen.

Nachträgliches PS: Der Zustand der Koalition lässt sich daran ablesen, dass es fast zwei Stunden keine einzige Reaktion von SPÖ-Seite gab, während von der Grünen-Cheflin bis zum Kärntner Landeshauptmann auch durchaus schon parteifremde Politiker einige Worte dazu gefunden haben. Bei Peter Alexander war die SPÖ schneller . . .

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