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Österreichs Rolle in der Welt

Am Anfang war die Sicherheit. Die Sorge um die Sicherheit einer Menschengruppe gegen Angriffe von außen und gegen Übeltäter in den eigenen Reihen ist der älteste Grund, worum es überhaupt Staaten gibt. Sie ist auch heute noch das wichtigste Staatsziel. Eine Erhöhung dieser Sicherheit wird daher auch von Österreich mit einer ganzen Reihe von Instrumenten angestrebt – solchen mit Einsatz von Gewalt und solchen ohne. Eine Analyse der gewaltfreien Instrumente zeigt, dass sie den Einsatz polizeilich/militärischer Gewalt als Ultima ratio nicht überflüssig machen können.

(Das ist eine etwas längere, grundsätzliche Abhandlung.)

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass  die Gefahr von Kriegen in Europa stark geschrumpft ist. Gleichzeitig sind jedoch teilweise ganz neuartige Bedrohungen der Sicherheit aufgetaucht. Diese Bedrohungen machen auch neue Antworten notwendig. Diese neuen Antworten haben folgende Besonderheiten: Professionalisierung, Technisierung, Internationalisierung sowie Verschwimmen der traditionellen Abgrenzung zwischen Polizei und Militär auf nationaler Ebene und gleichzeitig zwischen den nationalen Armeen auf europäischer Ebene.

Neutralität und Wehrpflicht haben gleichzeitig viel an Bedeutung verloren oder zum Teil ganz eingebüßt. Nationale Sicherheitsstrukturen sind aber absolut unverzichtbar geblieben, schon allein deshalb, weil der europäische Integrationsprozess noch keineswegs irreversibel ist, weil das Gewaltmonopol weiterhin bei den Mitgliedsstaaten liegt.

Wozu gibt es Staaten?

Warum gibt es überhaupt Staaten, warum gibt es die Republik Österreich? Es ist immer wieder lehrreich, Analysen mit ganz schlichten, aber grundlegenden Fragen zu beginnen. Das ist vor allem dann notwendig, wenn sich ein Staat wie Österreich seit vielen Jahrzehnten nicht mehr mit der Frage nach der eigenen Existenzgrundlage auseinandergesetzt hat.

Auf diese Frage gibt es natürlich viele kreative Antworten[1]. Die Geschichte wie auch die staatsphilosophischen Theorien geben aber vor allem folgende Antwort: Es gibt Staaten dazu, dass sie erstens ihre  Bürger gegen Aggressionen von außen schützen, und dass sie zweitens zumindest ein Mindestmaß an Recht und Ordnung im Zusammenleben unter den Bürgern sicherstellen.

Natürlich gibt es noch eine Vielzahl anderer Staatsziele und -aufgaben, die aber von Staat zu Staat, von Epoche zu Epoche sehr unterschiedlich sind. Es gibt Beispiele funktionierender Staaten, die sich in keiner Weise um die Alters- oder Gesundheitsversorgung ihrer Bürger kümmern, die kein staatliches Bildungssystem oder gar Gender budgeting haben. Aber es gibt keine Staaten, die ihre wichtigste Aufgabe ignorieren: sich zumindest mit einigem Erfolg um Sicherheit und Ordnung zu bemühen. Denn sonst würden sie aufhören, Staaten zu sein.

„Failed States“ wie heute etwa Somalia oder auch Afghanistan mögen zwar einen Sitz bei der UNO und eine definierte Fläche auf Landkarten haben: Sie sind aber in Wahrheit nur noch Fiktionen des Völkerrechts; sie sind staatenlose Territorien, auf denen fremde Heere oder auch territoriumseigene Banden und War lords nach eigenem Gutdünken agieren oder Krieg führen.

Mögliche Sicherheitsinstrumente

Wie kann man nun Sicherheit nach außen wie auch die Ordnung nach innen herstellen beziehungsweise verteidigen?  In der Folge werden einige Instrumente dafür in ihrer Wirksamkeit untersucht. Dabei zeigt sich, dass es kein einziges Exempel eines dauerhaft funktionierenden Staates gibt, der auf den Einsatz von Instrumenten der Gewaltausübung prinzipiell verzichten konnte, also von militärischen beziehungsweise polizeilichen Mitteln. Wobei wir gar nicht versuchen wollen, eine genaue definitorische Grenze zwischen Polizei und Militär zu ziehen. Weil es die empirisch im weltweiten Vergleich gar nicht gibt[2].

Einige der wichtigsten gewaltfreien Instrumente zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung:

  1. Der Rechtsstaat: Recht zu sprechen ist in fast allen real existierenden Staaten eine zentrale Aufgabe der Machthaber gewesen, weil sonst Chaos und Faustrecht regieren. Das gilt sogar für Diktaturen, die alles andere als Rechtsstaaten sind. Die Verfassungsstaaten mit Gewaltentrennung haben diesen Auftrag einer eigenen, betont unabhängigen Staatsgewalt zugewiesen. Der 1989 eingetreten Zusammenbruch der realsozialistischen Vorstellungswelt und die Reformbemühungen der Jahre danach zeigen ganz deutlich: Das Funktionieren der „Rule of law“ hat sich als wichtigerer Faktor für das Funktionieren eines Staates erwiesen denn die konkreten Arten der Demokratie, des Wirtschafts- oder Sozialsystem. Obwohl sich die Reformdebatten in den ersten Jahren nach 1989 vor allem um diese drei Fragen gedreht haben[3], zeigte sich inzwischen, dass das saubere Funktionieren des Rechtsstaats eine viel entscheidendere Rolle spielt.
    Wenn Richter bestechlich sind, wenn man sich Verwaltungs-Bescheide kaufen kann, wenn es kein eindeutige Antworten gebendes Grundbuch gibt, wenn die Gesetzesstrukturen chaotisch sind, helfen die beste Marktwirtschaft und die beste Demokratie nichts. Umgekehrt gibt es sogar viele Beispiele, wo ein funktionierender Rechtsstaat am Ende auch fast zwangsläufig zu einer funktionierenden Demokratie und einer boomenden Wirtschaft geführt hat.
    In unserem Zusammenhang ist aber vor allem festzuhalten, dass jede Justiz an ihrem Ende doch die Gewaltausübungs-Instrumente des Staates braucht. Anders wären ihre Urteile, Bescheide und Erkenntnisse nicht durchsetzbar, sondern nur ein Stück Papier. Umgekehrt gibt es – wenn auch menschenunwürdige – Beispiele von Staaten, die nicht einmal ansatzweise als Rechtsstaaten anzusprechen sind, aber dennoch Staaten sind: Als krassestes Beispiel ist zweifellos heute Nordkorea zu bezeichnen. Aber auch totalitäre Willkür ist letztlich ein Ordnungsinstrument.
     
  2. Diplomatie: In Österreich wurde während des Kalten Krieges eine Zeitlang die Diplomatie als ein taugliches Substitut für einen Gewalteinsatz im Fall von Aggressionen von außen angesehen. So glaubten manche Politiker, dass der Bau eines großen Amtssitzes der Vereinten Nationen in Wien die Sicherheit des Landes signifikant erhöhen würde. Dies war aber in Wahrheit eine Selbsttäuschung, welche die Ohnmacht Österreichs im Fall einer Bedrohung verdeckte. Zwar sind äußere Angriffe auf Österreich im Kalten Krieg ausgeblieben. Das war aber durch externe Faktoren bedingt gewesen: Erstens blieb der Kalte Krieg zum Glück eben eben immer kalt. Zweitens stand Österreich de facto unter dem Schutz der Nato. Der Warschauer Pakt musste trotz seiner Hochrüstung immer damit rechnen, dass eine Verletzung der österreichischen Souveränität eine Gegenreaktion der Nato auslösen würde. Daher ist ein solcher Angriff auch in hochexplosiven Zeiten trotz diverser östlicher Planspiele, welche keinerlei Rücksichten auf die Souveränität Österreichs übten, ausgeblieben[4].
     
  3. Neutralität: Für diese gilt Ähnliches wie für die Diplomatie. Obwohl die Durchschnittsösterreicher der Neutralität bei Umfragen regelmäßig große Wirksamkeit zuschreiben, ist sie sicherheitsmäßig irrelevant: Denn seit  jeder unprovozierte Angriff auf jeden souveränen Staat verboten ist[5], bringt das zusätzliche Verbot eines Angriffs auf einen neutralen Staat keinen zusätzlichen Schutz für den Neutralen. Wenn sich ein Angreifer aus welchem Grund immer über das eine Verbot hinwegsetzt, wird ihn das andere auch nicht abhalten.
     
  4. Sozialstaat: Vor allem in Hinblick auf die innere Sicherheit – die sich nie scharf von der äußeren abgrenzen lässt – spricht vieles dafür, dass die Vermeidung sozialer Unzufriedenheit ein Beitrag zur Ruhe und Ordnung ist[6]. Freilich muss klar sein, dass das nur dann sinnvoll ist, wenn die soziale Stabilität mit nachhaltig aufrechterhaltbaren Strategien angestrebt wird. Wenn der soziale Friede hingegen durch eine Zunahme der Staatsverschuldung erreicht wird, dann schadet das langfristig der kurzfristig erkauften Stabilität umso mehr. Das Gleiche gilt auch dann, wenn kurzsichtige Politik versucht, die soziale Stabilität durch eine konfiskatorische Steuerpolitik auf Kosten der wirtschaftlichen Leistungsträger zu erkaufen, die dann aber ins Ausland ausweichen.
     
  5. Wirtschaftswachstum, Umweltschutz, sichere Altersversorgung, hohes Bildungsniveau: Für all diese im 21. Jahrhundert dominierenden Politikfelder gilt in Hinblick auf die fundamentale Aufgabe eines Staates dasselbe klare Prinzip wie beim Sozialstaat: Sie können ein wichtiger positiver Beitrag für die Sicherheit eines Staates sein – aber immer nur dann, wenn sie ohne Belastung der Zukunft finanziert werden. Führen sie hingegen zu einer Schuldenbelastung, dann wirken sie sich langfristig destabilisierend aus.
     
  6. Autarkie: Die wirtschaftliche Autarkie eines Staates galt lange als wichtiger Beitrag zu dessen Sicherheit. Dabei war einst insbesondere die Landwirtschaft als weitaus wichtigster Produktionszweig gemeint, später auch wichtige Rohstoffe und insbesondere die Energieversorgung. Heute hat sich die Sichtweise total geändert: Kein Staat der Welt bis auf Nordkorea versucht heute noch, autark zu leben. Die globalisierte Arbeitsteilung hat sich als die effizienteste Strategie der letzten Jahrzehnte erwiesen, den Wohlstand in vielen Ländern und damit auch die globale Sicherheit zu erhöhen. Und wenn in Österreich manche Politiker von „Energieautarkie“ reden, dann ist das lediglich Öko-Populismus, beziehungsweise ein geschickter Versuch der Solar- und Wind-Industrie, ihre Umsätze weiter zu steigern.
    Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen allen Völkern der Welt sind darüber hinaus heute an Stelle eines veralteten Autarkie-Denkens sogar ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit. Länder, die voneinander wirtschaftlich abhängig sind, sind seltener aggressiv. Daher sind auch Wirtschaftskriege relativ selten geworden, oder zumindest rasch vorbei. Das konnte man an den (unblutigen) Gaskriegen zwischen der Ukraine und Russland genauso ablesen wie an dem relativ raschen Ende des arabischen Ölboykotts in den 70er Jahren.[7]
     
  7. Integration: Der Zusammenschluss in der Europäischen Union gilt neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung vor allem als großes Friedenswerk. Das ist grundsätzlich durchaus richtig. Denn die enge wirtschaftliche Verflechtung macht den Gedanken an Aggressionen selbstbeschädigend. Dazu trägt auch die weitgehende Verrechtlichung vieler innereuropäischer Beziehungen bei. Freilich hat die EU gerade für jene Fragen, die historisch immer wieder bewaffnete Konflikte ausgelöst haben, kein wirklich effizientes Instrumentarium entwickelt. Ein solches gibt es weder für Grenzkonflikte noch für Minderheitenfragen[8]
    Vor allem aber sollte man sich von der Vorstellung lösen, das Zusammenwachsen in einer Union wäre ein irreversibler Prozess[9]. Gerade weil die EU keine Gewaltmittel in Händen hat, geschweige denn ein Gewaltmonopol, kann letztlich jeder Mitgliedsstaat, wenn auch meist unter großen wirtschaftlichen Kosten, die EU sprengen. Dies könnte insbesondere dann passieren, wenn die EU mehr als Last denn als Nutzen gesehen wird. Oder wenn sich Meinungsverschiedenheiten unter den Großen vertiefen sollten; sowohl Frankreich wie auch Großbritannien, zum Teil auch Deutschland verfolgen ja immer noch einen Kurs betont nationaler Interessen.
    Eine noch größere und zuletzt deutlich angewachsene Gefahr für die Zukunft der EU stellt die Möglichkeit eines Scheiterns des Euro dar. Die Manöver zur Rettung der Währung in der Griechenlandkrise im Mai 2010 waren so riskant und gefährlich, dass man seither intensiv um die Zukunft des augenfälligsten innereuropäischen Bindemittels, also der gemeinsamen Währung, bangen muss.

Bedrohungsfelder

Damit sind wir nahtlos bei der Frage gelandet, ob es derzeit überhaupt wahrnehmbare oder mögliche Bedrohungen der österreichischen Sicherheit gibt. Wird doch selbst von sehr hochrangigen österreichischen Politikern die Frage nach der Notwendigkeit von Landesverteidigungs-Ausgaben mit folgendem scheinbar abschließendem Satz abgetan: „Die Ungarn werden schon nicht einmarschieren.“ Politiker vieler Parteien sehen regelmäßig die Zukunftsberechtigung des Bundesheeres lediglich auf der Ebene von anspruchsvolleren Feuerwehreinsätzen und Katastrophenhilfe. Regionalpolitiker fügen dem noch den unentgeltlichen Einsatz von Präsenzdienern beim Pistenpräparieren hinzu.

In der Tat hat die Wahrscheinlichkeit großer Panzer- oder Infanterieschlachten in Mitteleuropa signifikant abgenommen. Dieser Raum hat seit 1945 bis auf die Balkankriege auch die wohl längste Friedensperiode der Geschichte konsumiert; militärische Auseinandersetzungen sind auf diesem Teil des Kontinents weitgehend außer Mode geraten. Deswegen ist es aber völlig unhistorisch anzunehmen, dass diese Mode ewig anhalten wird, dass konventionelle Kriege nie wieder stattfinden werden. Berühmtestes Beispiel, wie leicht man diesbezüglichem Wunschdenken erliegen kann, ist der britische Premier Chamberlain, der 1938 am Vorabend des zweiten Weltkriegs noch freudig verkündet hat: „Peace in our time.“[10]

Neben der auf Grund aller geschichtlichen Erfahrungen wahrscheinlichen Unausrottbarkeit von Kriegen in welcher Form immer gibt es auch eine ganze Reihe ganz konkreter Entwicklungen, die wieder zu neuen aggressiven Auseinandersetzungen auch in Europa führen können. Wiederum nur einige Schlaglichter auf künftige Bedrohungen:

  • In den letzten zehn Jahren ist die Gefahr gewachsen, dass die EU auf Grund vieler Fehlentwicklungen zerbricht[11]. Das wiederum kann leicht zu Feindseligkeiten zwischen einzelnen (Ex-)EU-Staaten führen.
  • Viele Signale zeigen uns, dass sich die überregulierten modernen Staaten im utopischen Streben, eine perfekte Gesellschaft zu bilden, total überheben und verzetteln („Overstretching“). Dass sie nicht mehr wichtige von nebensächlichen Aufgaben unterscheiden können. Dass ihre politischen Führungen in ihrer Handlungsfähigkeit, aber auch intellektuell immer schwächer werden. Dass sie dadurch zunehmend außerstande sind, sich den wirklich großen Herausforderungen zu stellen.
  • Man denke an den maßlos überbeanspruchten Sozialstaat, der in absehbarer Zeit drastisch beschränkt werden müsste, wenn er und damit das ganze Staatsgefüge nicht kollabieren sollen. Aber auch der Rückbau des Sozialstaats könnte trotz aller Notwendigkeit explosive Folgen haben. So konnte Frankreich im Oktober 2010 bei wilden Gewerkschaftsprotesten gegen an sich relativ harmlose Maßnahmen im Pensionssystem einige Tage lang die Raffinerien nur noch mit Zwangsverpflichtungen betreiben. Bei den zweifellos noch bevorstehenden weiteren wirtschaftlichen Krisen kann es auch anderswo in der EU zu solchen und noch viel härteren bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen kommen, die mit gewaltfreien Mitteln nicht mehr bewältigt werden können. Vom Libanon bis Somalia gibt es Staaten, die als Folge von Bürgerkriegen oft jahrzehntlange unter Gesetzlosigkeit, unter Anomie zu leiden haben.
  • Auch andere Bedrohungen können offensichtlich nicht mehr mit trraditionellen Mitteln gelöst werden. Etwa jene durch die Organisierte Kriminalität. Musterbeispiel ist Mexiko, wo Drogenbanden nicht nur untereinander Krieg führen, sondern auch die Staatsmacht direkt und unmittelbar herausfordern. Ohne Einsatz der Armee wäre dieser theoretisch rein kriminelle Konflikt noch viel heftiger eskaliert.
  • Jedenfalls auch sicherheitspolitisch hochriskant sind die Entwicklungen von Demographie und Migration. Alle Fakten sprechen dafür, dass sie in absehbarer Zeit nicht mehr bewältigbar sein werden. Auf der einen Seite wird es am Ende dieses Jahrhunderts nur noch weniger als 20 Prozent jener Österreicher (genauer natürlich: deren Nachfahren) geben, die es 1970 gegeben hat[12]. Gleichzeitig ist es keinem europäischen Land gelungen, jenen Teil der Zuwanderer, der aus islamischen Ländern kommt, mehrheitlich auf eine stabile Art und Weise zu integrieren. Es bilden sich vielmehr zunehmend Subgesellschaften, welche die Rechts- und Werteordnung der Gastländer in wichtigen Elementen nicht teilen, welche einen islamischen Gottesstaat wünschen. Das kann man etwa in Deutschland in einem noch stärker fortgeschrittenen Stadium sehen[13].
    Viele um die Besänftigung diesbezüglicher Ängste bemühte Analysen übersehen, dass die Rechtsordnung aller EU-Staaten spätestens seit den Weltkriegen auf zwei axiomatischen Grundlagen beruht: Erstens auf einer klaren Trennung von Religion und Staat; wobei der Staat im Konfliktfall immer die Oberhand hat, ja sogar ungestraft in innerkirchliche Strukturen eingreifen kann[14]. Zweitens auf der inneren Zustimmung der Bürger zur staatlichen Rechtsordnung, also auf deren Legitimität. Beide Grundlagen fehlen bei einem Großteil der zugewanderten Moslems, wie immer mehr Studien und Umfragen zeigen. Da die Moslems aber zum Unterschied von den Österreichern eine viel höhere Geburtenfreudigkeit haben, erscheint eine Konfrontation zwischen dem laizistischen Rechtsstaat und der künftigen moslemischen Bevölkerungsmehrheit vorprogrammiert. Da braucht es gar nicht die zusätzliche Gefahr, dass sich auch noch eine ausländische islamische Macht in einen solchen Konflikt einmischen könnte.
  • Last not least ist daran zu erinnern, dass selbst sehr kleine terroristische Gruppen mit den Mitteln der modernen Technik Schläge austeilen können, welche die Dimensionen von Kriegen erreichen. Der Anschlag auf die New Yorker Zwillingstürme war ein erster Hinweis, was da alles drohen kann. In zahlreichen islamischen Ländern, aber auch in Madrid oder London haben Selbstmordattentäter schon vorgezeigt, wie leicht ein aus religiösem Fanatismus sein eigenes Leben opfernder Mensch eine bestürzende Vielzahl von Opfern mit sich in den Tod reißen kann. Dabei sind die noch viel gefährlicheren chemischen, bakteriologischen oder atomaren Waffen terroristisch noch gar nicht eingesetzt worden. Man denke nur an die Möglichkeiten, die Trinkwasserversorgung ganzer Städte zu vergiften, oder mit Bakterien große Menschenmassen zu töten, oder mit schmutzigen Atombomben ganze Staaten zu erpressen.
  • All diese Beispiele zeigen, dass unsere Gesellschaften nur dann eine Überlebenschance haben, wenn sie sich dieser Gefahren überhaupt bewusst sind, sie also nicht verdrängen. Und wenn sie sich zweitens jeder einzelner dieser Gefahren stellen –  mit unbewaffneten oder wenn nötig auch bewaffneten Mitteln.

Konsequenzen für die Sicherheitspolitik

Für die militärisch-polizeiliche Strategie folgern aus dieser kurzen Analyse einige logische Konsequenzen:

a)    Traditionelle Kriegsführung ist unwahrscheinlicher geworden, aber kann dennoch nicht ganz ausgeschlossen werden. Die Vorbereitung darauf muss ein Teil des Auftrags an jede Regierung bleiben.

b)    Die traditionellen Grenzen zwischen Polizei und Armee verschwimmen von der Bedrohungslage her immer mehr. Daher sollte man auch die organisatorischen Schnittstellen viel enger zusammenführen (nicht nur, aber auch aus Kostengründen) – auch wenn eine komplette Verschmelzung politisch kaum durchsetzbar ist.

c)     Viele dieser Aufgaben brauchen hochgradige – und teure – Spezialisierung, Technisierung und Knowhow. Das erfordert mehr finanzielle Mittel, reduziert aber die Bedeutung der Wehrpflicht. Diese ist freilich nicht ganz sinnlos geworden. Sie bringt eine demokratische Durchdringung der Sicherheitskräfte, und sie ist imstande, für bestimmte Notsituationen einen breiteren Grundstock an einsatzbereiten Menschen zu schaffen. Ähnlich wie es die amerikanische Nationalgarde tut.

d)   Angesichts der gravierenden und wachsenden Probleme etwa im Bereich der Pflege ist eine obligatorische Dienstpflicht für junge Männer und Frauen die sinnvollste Lösung. Dies würde sowohl soziale wie auch sicherheitsorientierte Einsätze im Dienst der Allgemeinheit besser absichern. Soweit internationale Verträge einer allgemeinen Dienstpflicht im Wege zu stehen, ist umgehend deren Änderung anzustreben. Schließlich stehen ja viele Länder vor ähnlichen Problemen.

e)    Einem Teil der Herausforderungen lässt sich wirksam nur in internationaler Kooperation begegnen. Daher wäre es für Österreich sinnvoll, die letzten ohnedies nur noch formalen Reste der Neutralität zu entsorgen. Deren Bedeutung ist längst nicht mehr erkennbar. So haben sowohl schwedische wie auch österreichische Uniformträger schon am Afghanistankrieg teilgenommen. Die Neutralität dient in Wahrheit nur noch dazu, dass Bedenkenträger bei jeder sicherheitspolitisch sinnvollen Aktion Sand ins Getriebe werfen können.
Interessanterweise zeigen Umfragen zur österreichischen Neutralität ein sehr widersprüchliches Bild: Auf der einen Seite tritt zwar regelmäßig eine massive Mehrheit für die Neutralität ein, kann sie aber in keiner Weise definieren. Auf der anderen Seite gibt es auch eine 75-prozentige Zustimmung zu einer gemeinsamen europäischen Armee, wobei in diesem Fall 42 Prozent sogar auf eine eigene österreichische Armee zu verzichten bereit sind. Was juristisch wie logisch ein eklatanter Widerspruch ist. Freilich: Dass eine Armee bisweilen auch Frieden schaffen, findet nicht mehr eine so klare Zustimmung[15]. Diese sehr widersprüchlichen Umfragen sind zweifellos Folge der Tatsache, dass seit Jahrzehnten kein nationaler Konsens über Sicherheitsfragen besteht. Es gibt in Österreich nicht einmal eine breite Debatte darüber, wie sie etwa die Schweiz regelmäßig führt.

f)      Internationale Kooperationsformen – ob nun auf Boden der Nato, der EU, der UNO – sind noch keineswegs vertrauenerweckend. Umso notwendiger und logischer ist es daher, dass sich Österreich – wie jeder andere Staat – vorerst auch weiterhin mit bloß nationalen Mitteln auf die Gefährdungen der eigenen Sicherheit einzustellen versucht.

(Dieser Beitrag ist für den wissenschaftlichen Sammelband „Strategie und Sicherheit 2011. Globale Herausforderungen – globale Antworten“ verfasst worden)



[1] Die von Thomas Hobbes Leviathan über religiöse Gottesstaats-Ideen bis zur marxistischen Klassenstaats-Theorie reichen.

[2] Staaten, die formal kein Militär haben, wie eine Zeitlang Costa Rica, haben dann eben eine gut gerüstete Polizei.

[3] So waren nach 1989 die Debatten von den Fragen „Schocktherapie oder langsamer Übergang?“, „rasche oder langsame Privatisierung?“ beziehungsweise „amerikanische oder europäische Verfassungsmodelle als Vorbild?“ geprägt gewesen.

[4] Besonders relevant war in den Überlegungen der sowjetischen Strategen mehrmals die Idee, über Österreich gegen den abtrünnigen kommunistischen Tito-Staat in Jugoslawien vorzugehen, dessen antisowjetischer Kurs Moskau den lange angestrebten Zugang zum Mittelmeer genommen hat.

[5] Ein solches Aggressionsverbot findet sich im Gewaltverbot der UNO-Charta, aber auch in vielen anderen internationalen Dokumenten des 20. Jahrhunderts.

[6] Eine Fülle von Revolutionen und Bürgerkriegen lässt sich auf Wirtschaftskrisen zurückführen, von der französischen Revolution bis zu den vielen geglückten wie missglückten Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg und den durch ihn ausgelösten sozialen Nöten.

[7] In früheren Geschichtsepochen waren Wirtschaftskriege erfolgreicher: So haben im Mittelalter die Briten mit einer Ausfuhrsperre Richtung Burgund die dortigen Städte zu einer Abkehr von einem Frankreich-freundlichen Kurs zwingen können. So war die britische Kontinentalsperre gegen Napoleon eine durchaus wirksame Waffe.

[8] So steht die Südtirolfrage, die in den 60er Jahren an der österreichischen Grenze sehr explosive Situationen herbeigeführt hatte, auch heute noch außerhalb jeder Kompetenz der EU. Das EU-Recht mit seinem Gleichbehandlungsprinzip könnte sogar den fein austarierten Lösungsmechanismus des sogenannten Südtirolpakets sprengen. Denn dieser Mechanismus beruht primär auf einem ethnischen Proporz zwischen den deutschen, italienischen und ladinischen Einwohnern Südtirols. Er bedeutet daher in formaler Hinsicht eine Diskriminierung anderer EU-Bürger.

[9] Der Autor ist dieser Frage mehrfach ausführlich nachgegangen, etwa in der Europäischen Rundschau 2005/3, Seite 73ff oder in den Conturen 3-4/09 Seite 12ff.

[10] Nach dem Münchner Abkommen, das Hitler in der Tschechoslowakei freie Hand gegeben hat.

[11] Siehe Fußnote 9.

[12] Genau in jenem Jahr hat in Österreich der steile und nie wieder rückgängig gemachte Abstieg der Geburtenrate begonnen, Ursachen waren die Antibabypille und ein völlig gewandeltes Wertebild vor allem in Hinblick auf die Rolle von Familien.

[13] Dementsprechend ist Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ zum meistverkauften Buch der Dekade geworden (auch wenn es die Politik anfangs ignorieren oder verdammen wollte); es zeigt mit einer bedrückenden Fülle von präzisen Daten diese Entwicklung auf.

[14] Ein Musterbeispiel ist etwa Großbritannien, wo Bischöfe von Strafrichtern verurteilt worden sind, weil sie sich geweigert hatten, schwule Jugendbetreuer innerkirchlich anzustellen.

[15] Internationales Institut für liberale Politik Wien, Sozialwissenschaftliche Schriftenreihe, Heft 34: „Brauchen wir eine Europa-Armee?“ Seiten 50ff.

 

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