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Am Anfang war die Sicherheit. Die Sorge um die Sicherheit einer Menschengruppe gegen Angriffe von außen und gegen Übeltäter in den eigenen Reihen ist der älteste Grund, worum es überhaupt Staaten gibt. Sie ist auch heute noch das wichtigste Staatsziel. Eine Erhöhung dieser Sicherheit wird daher auch von Österreich mit einer ganzen Reihe von Instrumenten angestrebt – solchen mit Einsatz von Gewalt und solchen ohne. Eine Analyse der gewaltfreien Instrumente zeigt, dass sie den Einsatz polizeilich/militärischer Gewalt als Ultima ratio nicht überflüssig machen können.
(Das ist eine etwas längere, grundsätzliche Abhandlung.)
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Gefahr von Kriegen in Europa stark geschrumpft ist. Gleichzeitig sind jedoch teilweise ganz neuartige Bedrohungen der Sicherheit aufgetaucht. Diese Bedrohungen machen auch neue Antworten notwendig. Diese neuen Antworten haben folgende Besonderheiten: Professionalisierung, Technisierung, Internationalisierung sowie Verschwimmen der traditionellen Abgrenzung zwischen Polizei und Militär auf nationaler Ebene und gleichzeitig zwischen den nationalen Armeen auf europäischer Ebene.
Neutralität und Wehrpflicht haben gleichzeitig viel an Bedeutung verloren oder zum Teil ganz eingebüßt. Nationale Sicherheitsstrukturen sind aber absolut unverzichtbar geblieben, schon allein deshalb, weil der europäische Integrationsprozess noch keineswegs irreversibel ist, weil das Gewaltmonopol weiterhin bei den Mitgliedsstaaten liegt.
Warum gibt es überhaupt Staaten, warum gibt es die Republik Österreich? Es ist immer wieder lehrreich, Analysen mit ganz schlichten, aber grundlegenden Fragen zu beginnen. Das ist vor allem dann notwendig, wenn sich ein Staat wie Österreich seit vielen Jahrzehnten nicht mehr mit der Frage nach der eigenen Existenzgrundlage auseinandergesetzt hat.
Auf diese Frage gibt es natürlich viele kreative Antworten[1]. Die Geschichte wie auch die staatsphilosophischen Theorien geben aber vor allem folgende Antwort: Es gibt Staaten dazu, dass sie erstens ihre Bürger gegen Aggressionen von außen schützen, und dass sie zweitens zumindest ein Mindestmaß an Recht und Ordnung im Zusammenleben unter den Bürgern sicherstellen.
Natürlich gibt es noch eine Vielzahl anderer Staatsziele und -aufgaben, die aber von Staat zu Staat, von Epoche zu Epoche sehr unterschiedlich sind. Es gibt Beispiele funktionierender Staaten, die sich in keiner Weise um die Alters- oder Gesundheitsversorgung ihrer Bürger kümmern, die kein staatliches Bildungssystem oder gar Gender budgeting haben. Aber es gibt keine Staaten, die ihre wichtigste Aufgabe ignorieren: sich zumindest mit einigem Erfolg um Sicherheit und Ordnung zu bemühen. Denn sonst würden sie aufhören, Staaten zu sein.
„Failed States“ wie heute etwa Somalia oder auch Afghanistan mögen zwar einen Sitz bei der UNO und eine definierte Fläche auf Landkarten haben: Sie sind aber in Wahrheit nur noch Fiktionen des Völkerrechts; sie sind staatenlose Territorien, auf denen fremde Heere oder auch territoriumseigene Banden und War lords nach eigenem Gutdünken agieren oder Krieg führen.
Wie kann man nun Sicherheit nach außen wie auch die Ordnung nach innen herstellen beziehungsweise verteidigen? In der Folge werden einige Instrumente dafür in ihrer Wirksamkeit untersucht. Dabei zeigt sich, dass es kein einziges Exempel eines dauerhaft funktionierenden Staates gibt, der auf den Einsatz von Instrumenten der Gewaltausübung prinzipiell verzichten konnte, also von militärischen beziehungsweise polizeilichen Mitteln. Wobei wir gar nicht versuchen wollen, eine genaue definitorische Grenze zwischen Polizei und Militär zu ziehen. Weil es die empirisch im weltweiten Vergleich gar nicht gibt[2].
Einige der wichtigsten gewaltfreien Instrumente zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung:
Damit sind wir nahtlos bei der Frage gelandet, ob es derzeit überhaupt wahrnehmbare oder mögliche Bedrohungen der österreichischen Sicherheit gibt. Wird doch selbst von sehr hochrangigen österreichischen Politikern die Frage nach der Notwendigkeit von Landesverteidigungs-Ausgaben mit folgendem scheinbar abschließendem Satz abgetan: „Die Ungarn werden schon nicht einmarschieren.“ Politiker vieler Parteien sehen regelmäßig die Zukunftsberechtigung des Bundesheeres lediglich auf der Ebene von anspruchsvolleren Feuerwehreinsätzen und Katastrophenhilfe. Regionalpolitiker fügen dem noch den unentgeltlichen Einsatz von Präsenzdienern beim Pistenpräparieren hinzu.
In der Tat hat die Wahrscheinlichkeit großer Panzer- oder Infanterieschlachten in Mitteleuropa signifikant abgenommen. Dieser Raum hat seit 1945 bis auf die Balkankriege auch die wohl längste Friedensperiode der Geschichte konsumiert; militärische Auseinandersetzungen sind auf diesem Teil des Kontinents weitgehend außer Mode geraten. Deswegen ist es aber völlig unhistorisch anzunehmen, dass diese Mode ewig anhalten wird, dass konventionelle Kriege nie wieder stattfinden werden. Berühmtestes Beispiel, wie leicht man diesbezüglichem Wunschdenken erliegen kann, ist der britische Premier Chamberlain, der 1938 am Vorabend des zweiten Weltkriegs noch freudig verkündet hat: „Peace in our time.“[10]
Neben der auf Grund aller geschichtlichen Erfahrungen wahrscheinlichen Unausrottbarkeit von Kriegen in welcher Form immer gibt es auch eine ganze Reihe ganz konkreter Entwicklungen, die wieder zu neuen aggressiven Auseinandersetzungen auch in Europa führen können. Wiederum nur einige Schlaglichter auf künftige Bedrohungen:
Für die militärisch-polizeiliche Strategie folgern aus dieser kurzen Analyse einige logische Konsequenzen:
a) Traditionelle Kriegsführung ist unwahrscheinlicher geworden, aber kann dennoch nicht ganz ausgeschlossen werden. Die Vorbereitung darauf muss ein Teil des Auftrags an jede Regierung bleiben.
b) Die traditionellen Grenzen zwischen Polizei und Armee verschwimmen von der Bedrohungslage her immer mehr. Daher sollte man auch die organisatorischen Schnittstellen viel enger zusammenführen (nicht nur, aber auch aus Kostengründen) – auch wenn eine komplette Verschmelzung politisch kaum durchsetzbar ist.
c) Viele dieser Aufgaben brauchen hochgradige – und teure – Spezialisierung, Technisierung und Knowhow. Das erfordert mehr finanzielle Mittel, reduziert aber die Bedeutung der Wehrpflicht. Diese ist freilich nicht ganz sinnlos geworden. Sie bringt eine demokratische Durchdringung der Sicherheitskräfte, und sie ist imstande, für bestimmte Notsituationen einen breiteren Grundstock an einsatzbereiten Menschen zu schaffen. Ähnlich wie es die amerikanische Nationalgarde tut.
d) Angesichts der gravierenden und wachsenden Probleme etwa im Bereich der Pflege ist eine obligatorische Dienstpflicht für junge Männer und Frauen die sinnvollste Lösung. Dies würde sowohl soziale wie auch sicherheitsorientierte Einsätze im Dienst der Allgemeinheit besser absichern. Soweit internationale Verträge einer allgemeinen Dienstpflicht im Wege zu stehen, ist umgehend deren Änderung anzustreben. Schließlich stehen ja viele Länder vor ähnlichen Problemen.
e) Einem Teil der Herausforderungen lässt sich wirksam nur in internationaler Kooperation begegnen. Daher wäre es für Österreich sinnvoll, die letzten ohnedies nur noch formalen Reste der Neutralität zu entsorgen. Deren Bedeutung ist längst nicht mehr erkennbar. So haben sowohl schwedische wie auch österreichische Uniformträger schon am Afghanistankrieg teilgenommen. Die Neutralität dient in Wahrheit nur noch dazu, dass Bedenkenträger bei jeder sicherheitspolitisch sinnvollen Aktion Sand ins Getriebe werfen können.
Interessanterweise zeigen Umfragen zur österreichischen Neutralität ein sehr widersprüchliches Bild: Auf der einen Seite tritt zwar regelmäßig eine massive Mehrheit für die Neutralität ein, kann sie aber in keiner Weise definieren. Auf der anderen Seite gibt es auch eine 75-prozentige Zustimmung zu einer gemeinsamen europäischen Armee, wobei in diesem Fall 42 Prozent sogar auf eine eigene österreichische Armee zu verzichten bereit sind. Was juristisch wie logisch ein eklatanter Widerspruch ist. Freilich: Dass eine Armee bisweilen auch Frieden schaffen, findet nicht mehr eine so klare Zustimmung[15]. Diese sehr widersprüchlichen Umfragen sind zweifellos Folge der Tatsache, dass seit Jahrzehnten kein nationaler Konsens über Sicherheitsfragen besteht. Es gibt in Österreich nicht einmal eine breite Debatte darüber, wie sie etwa die Schweiz regelmäßig führt.
f) Internationale Kooperationsformen – ob nun auf Boden der Nato, der EU, der UNO – sind noch keineswegs vertrauenerweckend. Umso notwendiger und logischer ist es daher, dass sich Österreich – wie jeder andere Staat – vorerst auch weiterhin mit bloß nationalen Mitteln auf die Gefährdungen der eigenen Sicherheit einzustellen versucht.
(Dieser Beitrag ist für den wissenschaftlichen Sammelband „Strategie und Sicherheit 2011. Globale Herausforderungen – globale Antworten“ verfasst worden)
[1] Die von Thomas Hobbes Leviathan über religiöse Gottesstaats-Ideen bis zur marxistischen Klassenstaats-Theorie reichen.
[2] Staaten, die formal kein Militär haben, wie eine Zeitlang Costa Rica, haben dann eben eine gut gerüstete Polizei.
[3] So waren nach 1989 die Debatten von den Fragen „Schocktherapie oder langsamer Übergang?“, „rasche oder langsame Privatisierung?“ beziehungsweise „amerikanische oder europäische Verfassungsmodelle als Vorbild?“ geprägt gewesen.
[4] Besonders relevant war in den Überlegungen der sowjetischen Strategen mehrmals die Idee, über Österreich gegen den abtrünnigen kommunistischen Tito-Staat in Jugoslawien vorzugehen, dessen antisowjetischer Kurs Moskau den lange angestrebten Zugang zum Mittelmeer genommen hat.
[5] Ein solches Aggressionsverbot findet sich im Gewaltverbot der UNO-Charta, aber auch in vielen anderen internationalen Dokumenten des 20. Jahrhunderts.
[6] Eine Fülle von Revolutionen und Bürgerkriegen lässt sich auf Wirtschaftskrisen zurückführen, von der französischen Revolution bis zu den vielen geglückten wie missglückten Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg und den durch ihn ausgelösten sozialen Nöten.
[7] In früheren Geschichtsepochen waren Wirtschaftskriege erfolgreicher: So haben im Mittelalter die Briten mit einer Ausfuhrsperre Richtung Burgund die dortigen Städte zu einer Abkehr von einem Frankreich-freundlichen Kurs zwingen können. So war die britische Kontinentalsperre gegen Napoleon eine durchaus wirksame Waffe.
[8] So steht die Südtirolfrage, die in den 60er Jahren an der österreichischen Grenze sehr explosive Situationen herbeigeführt hatte, auch heute noch außerhalb jeder Kompetenz der EU. Das EU-Recht mit seinem Gleichbehandlungsprinzip könnte sogar den fein austarierten Lösungsmechanismus des sogenannten Südtirolpakets sprengen. Denn dieser Mechanismus beruht primär auf einem ethnischen Proporz zwischen den deutschen, italienischen und ladinischen Einwohnern Südtirols. Er bedeutet daher in formaler Hinsicht eine Diskriminierung anderer EU-Bürger.
[9] Der Autor ist dieser Frage mehrfach ausführlich nachgegangen, etwa in der Europäischen Rundschau 2005/3, Seite 73ff oder in den Conturen 3-4/09 Seite 12ff.
[10] Nach dem Münchner Abkommen, das Hitler in der Tschechoslowakei freie Hand gegeben hat.
[11] Siehe Fußnote 9.
[12] Genau in jenem Jahr hat in Österreich der steile und nie wieder rückgängig gemachte Abstieg der Geburtenrate begonnen, Ursachen waren die Antibabypille und ein völlig gewandeltes Wertebild vor allem in Hinblick auf die Rolle von Familien.
[13] Dementsprechend ist Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ zum meistverkauften Buch der Dekade geworden (auch wenn es die Politik anfangs ignorieren oder verdammen wollte); es zeigt mit einer bedrückenden Fülle von präzisen Daten diese Entwicklung auf.
[14] Ein Musterbeispiel ist etwa Großbritannien, wo Bischöfe von Strafrichtern verurteilt worden sind, weil sie sich geweigert hatten, schwule Jugendbetreuer innerkirchlich anzustellen.
[15] Internationales Institut für liberale Politik Wien, Sozialwissenschaftliche Schriftenreihe, Heft 34: „Brauchen wir eine Europa-Armee?“ Seiten 50ff.