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Im Auslegen seid frisch und munter

Es bleibt einem immer wieder der Mund ob der Frechheit offen, mit der oft Rechtsbrecher ihre Untat als gut und richtig verkaufen. Aktuellstes Beispiel ist Ernst Strasser, der den Verkauf von politischem Einfluss als kriminalistischen Aufdeckungsversuch darzustellen versucht. In den Dimensionen aber noch viel gravierender und skrupelloser ist das Vorgehen der Europäischen Zentralbank. Auch diese erfindet die skurrilsten Begründungen zur Rechtfertigung ihres offenkundigen Rechtsbruchs bei der Verschiebung von Milliarden an die europäischen Schuldenstaaten.

Die EZB kauft ja seit dem Vorjahr Anleihen der bankrotten EU-Staaten auf, um diese vor der formellen Zahlungsunfähigkeit zu retten. Das ist eindeutig verboten. Auch die Österreicherin im EZB-Direktorium, Gertrude Tumpel-Gugerell, gibt zu, dass sich die EZB nicht an Staatsfinanzierungen beteiligen darf. Die Sozialdemokratin verteidigt das Vorgehen der EZB aber dennoch und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen: Die Zentralbank, so sagt sie jetzt wieder in einem Interview, kaufe ja keine Neuemissionen von Anleihen jener Staaten, sondern nur von älteren Anleihen. In der Finanzsprache nennt man das den Sekundärmarkt. Und dort ist eine neue Anleihe halt sofort eine alte, wenn nur eine Sekunde lang jemand anderer sie besessen hat.

Tumpel – die ja am heimischen Herd einen der größten österreichischen Schulden-Liebhaber, nämlich den Chef der Arbeiterkammer, sitzen hat – wörtlich:  „Beim Kauf von Neuemissionen fließt Geld direkt in den öffentlichen Haushalt. Im Gegensatz dazu bedeutet ein Kauf am Sekundärmarkt, dass der Staat in der Vergangenheit bereits einen Käufer für seine Schuldtitel gefunden hatte. Es fließt also kein Geld von der Zentralbank an den öffentlichen Haushalt, sondern an andere Marktteilnehmer.“

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Denn diese Argumentation ist der Zwillingsbruder der Hehlerei. Man lässt einfach einen (gut bezahlten) Dritten tun, was man selber nicht darf. Der Dritte hat dabei jedoch Null Risiko, denn die EZB gibt ihm eine Abnahmegarantie für die von ihm gekauften Staatsanleihen. Dieser Dritte würde sonst höchstwahrscheinlich einen so riskanten Ankauf unterlassen. Das ist eine miese Umgehungskonstruktion. Kein Gericht der Welt würde es etwa einem Steuerbetrüger durchgehen lassen, wenn der ähnliche Tricks versucht. Denn für normale Bürger gilt immer die wirtschaftliche Betrachtungsweise, sie kommen mit einer sophistischen Argumentation nicht durch.

Diese erinnert auch heftig an Goethes Faust: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter.“

Dabei geht es keineswegs nur um juristische Erbsenzählerei, sondern um einen fundamentalen Rechtsbruch. Dieser reduziert das ohnedies schon angeschlagene Vertrauen in die Rechtstreue und Rechtssicherheit in Europa auf ein jämmerliches Minimum. Denn offenbar gibt es im Bananenkontinent Europa Institutionen, die über allem Recht stehen, die sich vor niemandem rechtfertigen müssen.

Dieser Zynismus unterscheidet Europa etwa stark von den USA. Dort muss die Regierung tatsächlich den Laden zusperren, wenn ihr der Kongress, also die Vertretung der Steuerzahler, die notwendigen Gelder verweigert. Dort steht also auch der Präsident nicht über dem Gesetz. Dort sind keine Umgehungsgeschäfte möglich.

In Europa hingegen sind Betrug und Rechtsbruch Teil eines sich hochmütig über alle Regeln hinwegsetzenden Systems geworden. Und kein Europäischer Gerichtshof, kein deutsches Bundesverfassungsgericht (das sonst noch am mutigsten ist) kann oder will offenbar dagegen etwas unternehmen.

Abgesehen davon, dass die Hoffnung der EZB, am Ende würden ohnedies alle Anleihen beglichen, mehr als trügerisch ist, sendet das jedenfalls auch ein katastrophales Beispiel an die Bürger aus, wie unnötig doch Rechtstreue ist. Moral ist nur noch eine Forderung an die Bürger, nie an die Mächtigen.

Zugleich ist der Anleihenkauf natürlich auch ökonomisch mehr als fragwürdig: Diese Hilfe für die Bankrott-Staaten wiegt weitere Schuldnerstaaten in trügerische Sicherheit, sich nicht anstrengen zu müssen. Es gibt ja ohnedies immer einen netten großen Bruder, der sie rettet. Nur hat der große Bruder selber halt keinen großen Bruder mehr.

Auch wenn es manche überraschen mag: Das Verbot einer Kreditvergabe der EZB an Staaten war wohldurchdacht. Es soll, genauer: es sollte die Staaten zu mehr Eigenverantwortung zwingen. Aber das halten Tumpel&Co halt für überflüssig. Weil dann ja die Staaten die Illusionswelt von Gewerkschaften und Arbeiterkammern nicht mehr finanzieren könnten.

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