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Die neuen Minister müssen in den nächsten Tagen fast Unmenschliches leisten: Sie müssen die bisherige Betätigung plötzlich und dennoch honorig beenden, unzählige „Exklusiv“-Interviews mit den ewig gleichen Fragen geben, sich persönliche Mitarbeiter suchen, den eigenen Schreibtisch übersiedeln, und sich dann auch noch blitzschnell in ein neues, schwieriges Terrain einarbeiten. Da ist es illusorisch, sich gleich wesentliche Weichenstellungen zu erwarten. Parteistrategen sind da schon froh, wenn neue Minister und Staatssekretäre keinen allzu großen Unsinn verzapfen. Dennoch muss das Tagebuch der neuen Innen- wie der neuen Justizministerin wie der neuen Finanzministerin gleich eine ganz heikle Aufgabe vorlegen, die naturgemäß in den Zeitungskommentaren fehlt: Nämlich die Neuordnung der Beziehungen zwischen Medien und Bürgern sowie die Rolle der Exekutive dabei. Hier gibt es ganz unglaubliche Übergriffe. Wie ein bisher noch nie diskutierter Fall zeigt.
Die Reform des Medienrechts ist zwar eigentlich kein neues Thema. Schon die abtretende Claudia Bandion-Ortner hat vor fast zwei Jahren einige Neuregelungen versucht, um die Medien zu etwas zivilisierterem Verhalten zu bringen. Anlass war etwa der Fall Amstetten. Sie hat das Vorhaben nach erstem Widerstand des mächtigen Boulevards aber bald wieder schubladisiert.
Bandion-Ortner hat dafür in den letzten Tagen ihrer Amtszeit noch rasch das Gegenteil versucht, um die medialen Götter gnädig zu stimmen: Sie wollte eine Novelle, durch die politisch interessante Erhebungen der Staatsanwaltschaft ganz legal an die Öffentlichkeit getragen werden können. Was bisher nur ganz illegal geschehen ist. Ihr Vorhaben stand wider jede Kultur von Unschuldsvermutung und Amtsgeheimnis. Es wurde nur deshalb lanciert, weil die Medien noch mehr Material für ihre Vorverurteilungen wollen. Geholfen hat Bandion-Ortner aber dieser Kotau bekanntlich nicht mehr.
Der Fall, der hier in der Folge beschrieben wird, zeigt aber, dass eigentlich das Gegenteil notwendig ist: ein verstärkter Schutz der Bürger. Es geht um ein ganz unglaubliches Verhalten der Wiener Polizei beziehungsweise der Finanzsondereinheit KIAB. Diese wollten offenbar auf Kosten eines Bürgers für sich PR machen oder sich dem Privatsender ATV andienen. ATV hat seit einiger Zeit ein Reality-Format, das die Polizei bei ihren Einsätzen begleitet. Was wohl in jedem Fall die Frage nach dem Amtsgeheimnis aufwirft, welches die Exekutive aber offenbar nicht kümmert. Und den Korruptionsstaatsanwalt auch nicht (den kümmern ja die wirklich argen Sachen in diesem Land offenbar nie).
ATV zeigte in einer Folge seiner Reportagenserie eine unangekündigte und überfallsartig durchgeführte Überprüfung eines Wiener Gärtnereibetriebes. ATV machte im O-Ton ganz brutal klar, worum es geht: „Betrug, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung“. Gleich 17 Mann rückten deswegen aus und ATV filmte den Einsatz an der Seite des Einsatzleiters unbemerkt von einem Hochhaus. Dabei wurden die Namen des Betriebes und des Chefs zwar nicht genannt. Deren Identität war aber für jeden deutlich erkennbar, der je mit ihnen zu tun hatte, ob Kunde oder Lieferant.
Jeder der den Beitrag gesehen hat, musste auch zur empörten Überzeugung kommen, dass da ein Ausbeuter reihenweise illegale Ausländer beschäftigt und rechtswidrig schlecht bezahlt. Was ja in der Tat passieren soll.
Die gesendeten Aussagen von Angehörigen des „Überfallskommmandos“ waren dementsprechend: „Nachdem eine gestrige Datenbankabfrage ergeben hat, dass er im Monat 150 Euro Lohnsteuer zoit und so sich i jetzt 10-14 Arbeiter, kann irgendwas net ganz stimmen. Do fehlt a bissl a Geld in unserer Kassa.“ Oder: „Wird sich weisen der Stundenlohn, aber scheint sowie oftmals a bissl a Ausbeutung zu sein. Und Urlaubs- und Weihnachtsgeld werdns wahrscheinlich a no nie gseng habm.“
Als besonders belastendes Indiz nannten die Superkriminalisten die Oma, die von 6 in der Früh bis 6 am Abend aus dem Fenster schaut und alles genau beobachtet.
Das alles sah man in noch viel ausführlicherer Breite im Fernsehen. Was man freilich nicht mehr sah, war das Ende der zweistündigen Amtshandlung. Denn da teilte die Einsatzleiterin nach Prüfung aller Papiere mit, dass alles in Ordnung sei und dass sie selten einen so mustergültig geführten Betrieb gesehen habe. Alle waren bei der Sozialversicherung gemeldet, und alle Ausländer hatten Beschäftigungsbewilligungen. Und die Lohnsteuer? Die beträgt seit den letzten Steuerreformen bei niedrigen Einkommen Null. Bei Saisonarbeitern erst recht. Daher seien, so der Betriebsinhaber, nicht einmal 150 Euro Lohnsteuer zu zahlen gewesen.
Die angeblich als Spion eingesetzte Oma ist dement und über 90 Jahre alt. Und hat als einzigen Zeitvertreib den Blick aus dem Fenster.
All diese Fakten hätten die Story völlig in sich zusammenbrechen lassen (ganz unabhängig davon, dass auch bei weniger korrekten Betrieben eine solche öffentliche Pranger-Praxis grundrechtlich sehr bedenklich ist). Dennoch wurde der Beitrag vier Monate später ausgestrahlt. Ohne, dass der Betriebsinhaber davon wusste. Er wusste ja nicht einmal, dass gefilmt wurde. Er wurde also auch nicht um seine Stellungnahme gefragt. Es wurde vor allem nicht das im völligen Gegensatz zum Beitrag stehende Ergebnis der Amtshandlung vermeldet.
Eine problematische Seite der Angelegenheit ist das Vorgehen des Fernsehsenders, der ein gerichtliches Nachspiel hat. Der andere Teil ist aber das Verhalten der Exekutive. Diese versucht sich ganz offensichtlich auf Kosten von Staatsbürgern zu vermarkten. Ja, offensichtlich auch auf Kosten völlig unschuldiger Bürger.
Was nun wirklich ein himmelschreiender Skandal ist. Während selbst verurteilte Gewalttäter oft nur unter Nennung des Anfangsbuchstabens in den Medien dargestellt werden dürfen, werden unter intensiver Mitwirkung der Exekutive identifizierbare Privatpersonen und Unternehmer an den österreichweiten Pranger gestellt.
Zurück zur Politik: Der Fall ergibt ganz konkreten Handlungsbedarf für die neue Innen-, die neue Finanz- und die neue Justizministerin. Die ersten beiden müssen allen in die Ausstrahlung involvierten Beamten zumindest eine kräftige und öffentliche Kopfwäsche samt drohender Verwendung des Wortes „widrigenfalls“ verpassen. Die dritte Ministerin muss den gesetzlichen Schutz der Privatsphäre gegen mediale Neugier und eine Verschärfung des Begriffs „Amtsmissbrauch“ ganz oben auf ihre Agenda setzen. Im Interesse der Bürger und ohne Rücksicht auf mediale Proteste.
Oder muss man als gelernter Österreicher statt „muss“ „müsste“ sagen?
Das Beispiel zeigt jedenfalls, dass sich der Bürger nicht so sehr vor Daten- und Vorratsspeicherung (über die sich wie üblich die Journalistengewerkschaft und andere grün-rote Vorfeldorganisationen besonders erregen) fürchten sollte, sondern vor dem ganz gewöhnlichen, vor dem ganz speicherungsfreien Missbrauch der Macht von Medien und Exekutive. Über den sich weder Journalistengewerkschaft noch sonst jemand erregt. Denn er trifft ja nur die Bürger.