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Spät, aber doch hat die ÖVP-Führung erkannt, dass die Funktion eines Lobbyisten mit der eines Abgeordneten unvereinbar ist. Das ist freilich auch dann der Fall, wenn ein Lobbyist nicht so plump in eine Falle torkelt wie der EU-Gruppenchef der ÖVP, Ernst Strasser. Wir sollten aber darüber hinaus über Korruption in der Politik sehr grundsätzlich diskutieren. Denn wenn wir die Demokratie noch retten wollen, dann braucht es eine Generalwäsche, die wieder ein Stück mehr Sauberkeit herstellt.
Es ist ja schon diskutierenswert, weshalb ein Mann, der nicht nur einfacher Abgeordneter, sondern auch Delegationsleiter seiner Partei im EU-Parlament ist, überhaupt einen Nebenberuf braucht (der von den nun bekanntgewordenen Umsätzen her sogar der eigentliche Hauptberuf Strassers gewesen sein dürfte).
Jedoch: Bei einem generellen Berufsverbot für Abgeordnete (europäische wie nationale) entsteht sofort die Frage, wer dann überhaupt noch in die Politik geht. Niemand kann es nämlich wünschen, dass dann – neben ganz reichen Menschen – fast nur noch Beamte Politiker werden, weil diese als einzige Gruppe ein garantiertes Rückkehrrecht in ihren Beruf haben (oder sogar schon während der Mandatszeit pro forma als Teilzeit-Beamte weiterarbeiten und kassieren). Das würde die Weltfremdheit der Gesetzesbeschlüsse und die unerträgliche Überreglementierung des produktiven Teils der Menschheit durch eine präpotente Klasse an privilegierten Mandarinen nur noch mehr erhöhen.
Im Prinzip wäre eine proportionale Vertretung aller Interessen im Parlament ein durchaus spannendes Ideal. Nur gibt es leider kaum Mechanismen, diese herzustellen. Denn selbst die zuletzt vielzitierte Frauenquote brächte nicht mehr Gerechtigkeit, sondern in Wahrheit nur noch mehr Verzerrung zugunsten einer sehr spezifischen Minderheit unter den Frauen. Ist doch die politisch-feministische Aktivistinnenklasse alles andere als repräsentativ für ihr Geschlecht. Die primär für die eigenen Interessen (siehe Aufsichtsratsposten, siehe Förderungen für feministisch-politische Vereinchen usw.) kämpfenden Politikerinnen sind zum Beispiel viel öfter kinderlos, als es Frauen im Durchschnitt sind. Was aber die Perspektiven total ändert.
Aber auch jenseits der Geschlechterfrage sind die repräsentativen Parlamente keineswegs repräsentativ. In diesen sind nämlich neben den Beamten vor allem Kammermitarbeiter und -funktionäre massiv übervertreten. Es gibt weit mehr Bauernfunktionäre und Gewerkschafter in den diversen Parlamenten als normale Angestellte und kleine Unternehmer. Daher hat im Parlament auch nie eine Initiative eine Chance, bei der die Privilegien von Kammern und Gewerkschaften angegriffen würden. Etwa die Pflichtmitgliedschaften, etwa die skandalöse Geheimhaltung des Abzugs der mehr als saftigen Arbeiterkammer-Pflichtbeiträge von jedem Lohn (nur damit die Menschen glauben, die Leistungen der fürstlich bezahlten Arbeiterkämmerer wären gratis).
Im Grund gibt es nur zwei Modelle, die diesen strukturellen Missstand der repräsentativen Systeme beheben oder zumindest mildern. Das eine ist die direkte Demokratie, mit der die Bürger die Macht wieder an sich reißen. Das andere wären nicht gewählte, sondern durch einen Zufallsgenerator bestellte Milizparlamente.
Das zweite Modell wäre zwar hoch repräsentativ – ist aber nirgendwo ausgeprobt worden. Wohl nicht grundlos.
Denn es öffnet viele unbeantwortete Fragen: Was ist, wenn ein solcherart durch Los bestellter Abgeordneter um keinen Preis die Aufgabe übernehmen will? Wie kann man sicherstellen, dass sich da nicht erst recht viele kleine Leute als korrumpierbar erweisen, wenn sie plötzlich die Macht eines Gesetzgebers haben? Wo findet dann die politische Diskussion im Vorfeld statt, die derzeit von vielen Vereinen und Organisationen geleistet wird? Wird dann etwa die Willensbildung noch mehr durch die extrem einseitigen Hetzkampagnen in Kronenzeitung und ORF beeinflusst werden?
Das heißt: Wenn wir uns nicht einem in der Regel erst recht raffgierigen Diktator samt seiner Entourage ausliefern wollen, wird es wohl niemals eine ganz korruptionsfreie Politik geben.
Dennoch ist der Kampf gegen die Korruption keineswegs sinnlos. Denn es gibt ja Länder mit einem sehr schlimmen Ausmaß an Korruption (etwa im Südosten Europas) und solche mit einem sehr geringen Ausmaß (etwa jene im Norden). Also muss schon der Unterschied das Engagement wert sein.
Österreich befindet sich aber sicher auf einem absteigenden Pfad. Das beweist nicht nur der Fall Ernst Strasser, das beweist nicht nur die skandalöse Verankerung der Sozialpartner in der Bundesverfassung, sondern auch die seit dem Wechsel Werner Faymanns in die Regierung unglaublich angewachsene Bestechung von Zeitungen aus Steuergeldern. Mit diesem Modell liegt Österreich ja weltweit in einem negativen Spitzenfeld. Und die Behebung dieser Korruptionsmühle durch eine gerade geplante Gesetzesnovelle ist ja nur ein Scherz, um nicht zu sagen, eine Einbetonierung dieser Korrumpierungsmethode.
Österreich sollte auch noch etwas weiteres ernsthaft diskutieren: nämlich die Berufsperspektiven von Abgeordneten nach der Mandatszeit. Denn da gibt es für Nicht-Beamte kaum andere interessante Möglichkeiten als die Tätigkeit eines Lobbyisten, wie sie nicht nur Strasser nach seiner Ministerzeit (und dann durch das Versagen der ÖVP-Führung auch während seiner Abgeordnetenzeit) ausgeübt hat, sondern etwa auch die ehemaligen sozialdemokratischen Regierungschefs Gusenbauer und Schröder. Die ziehen dann heftig hinter den Kulissen die Drähte.
Das Drängen der Ex-Politiker in die Berater/Lobbyisten-Karriere hängt freilich auch damit zusammen, dass sich zwei wichtige Bereiche, in denen sie eine große Bereicherung wären, durch formalistische, aber inhaltliche bedeutungslose Qualifikationshürden komplett abgemauert und in geschützte Werkstätten verwandelt haben: die Diplomatie und die Wissenschaft. Es gibt keinen Zweifel, dass die meisten Ex-Abgeordneten bessere Botschafter und bessere Professoren wären als das dort heute überwiegend dominierende graue Mittelmaß.
Um etwa im Bereich der Linken zu bleiben: Um wieviel mehr könnte ein Alfred Gusenbauer jungen Politologiestudenten beibringen als eine Eva Kreisky, deren einzige auffallende Leistung vor ein paar Jahrzehnten die Eheschließung mit dem Sohn eines damals amtierenden Bundeskanzlers gewesen ist!