Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

30 Mal das japanische Erdbeben

Die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels haben sich zwar schon seit Tagen und Wochen abgezeichnet. Sie sind aber dennoch bedrückend. Denn sie bedeuten, auf den Punkt gebracht: Wenn all die Haftungen schlagend werden, welche die noch stabilen Länder Europas nun eingehen, wenn auch von dem nunmehr bar aufzubringenden Geld nichts zurückfließt, was viele Experten prophezeien, dann wird das Österreich und Deutschland in eine ganz schwere Wirtschaftskrise stürzen. Gegen die dann ausbrechende Krise wird sich die letzte der Jahre 2008/09 geradezu harmlos ausnehmen.

Um nur die Zahlen für Österreich zu nennen: Das Land muss nicht weniger als 17,3 Milliarden an Haftungen für den sogenannten Euro-Stabilisierungsfonds übernehmen. Dazu kommen weitere 2,2 Milliarden Euro an Bargeld. Denn offenbar halten die Finanzmärkte nicht einmal mehr die gemeinsame Haftung selbst der stärksten europäischen Länder für glaubwürdig, sie wollen statt dessen lieber zunehmend Bares sehen. Die Geldgeber wissen nämlich, auch diese „stärksten“ Europäer sind alle selbst nur im Vergleich zu den meistverschuldeten Staaten stark. Unter objektiven Gesichtspunkten müssten auch sie als schwer krank gelten.

Insgesamt geht es um einen 700-Milliarden-Euro-Fonds. Zum Vergleich der Größenordnungen: Die Folgen des japanischen Erdbebens und Tsunamis für alle Versicherungen werden derzeit auf 20 bis 25 Milliarden geschätzt. Mit anderen Worten: Europa geht Risiken für rund 30 Mega-Katastrophen ein.

Skurrilerweise hat die EU zugleich beschlossen, dass die zur Finanzierung (zumindest) des Bargelds notwendigen neuen Schulden nicht auf die Schuldenquote der einzelnen Länder angerechnet werden. Das wird die Glaubwürdigkeit der diversen europäischen Statistiken wieder einmal ungemein erhöhen – so wie das ja schon die Betrügereien Griechenlands geschafft haben. Die Märkte – das sind alle jene, die den EU-Staaten weiteres Geld borgen sollen, – werden offenbar für eine Ansammlung von Dummköpfen gehalten. Was sie aber nicht sind.

Daher werden die Österreicher, die Deutschen und alle anderen künftig für die Finanzierung ihrer Staatsdefizite deutlich höhere Zinsen zahlen müssen. Denn sie liegen ja in Sachen Schuldenmacherei nur um wenige Jahre hinter den Griechen. Die Kosten dieser höheren Zinsen kommen jedenfalls noch zu den Kosten der Haftungen und Kreditaufnahmen hinzu.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen gehen alle internationalen Analysen davon aus, dass Griechen und Iren (und in Zukunft auch die Portugiesen und Spanier) niemals die Kredite zurückzahlen werden, die sie jetzt auf Grund der Haftung der Miteuropäer jetzt wieder aufnehmen können.

In den Stunden seit dem Gipfel werden wir mit einer Flut von Propaganda eingedeckt, dass es parallel zu diesen unpopulären Haftungen und Krediten ja auch positive Beschlüsse gäbe. So drohen den Defizitsündern künftig harte Strafen. So werde die Sozial-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik viel enger abgestimmt werden.

Beides kostet den gelernten Europäer aber nur einen Lacher. Diese politische Abstimmung ist eine fromme Absichtserklärung ohne jede Konsequenz, wenn sie nicht stattfindet. So hat der österreichische Bundeskanzler typischerweise sofort die Forderung von Angela Merkel abgelehnt, dass das Pensionsalter (die Schuldenlasten durch das Pensionssystem wachsen ja am raschesten) automatisch angehoben werden muss, oder dass zu hohe Lohnsteigerungen (die für den Standort Europa schädlich sind) verboten werden. Mit dem Njet Werner Faymanns und einiger anderer ist bereits klar bewiesen, was von diesen Absichtserklärungen zu halten ist.

Noch unglaubwürdiger sind die angekündigten Strafen für Defizitsünder. Denn so wie bisher werden die Strafen erst fällig, wenn die Minister der Mitgliedsländer zugestimmt haben. Und diese Minister haben schon in der Vergangenheit immer gegen Strafen gestimmt. Eine Schulden-Krähe kratzt bekanntlich der anderen kein Auge aus. Sonst hätten ja schon fast alle EU-Länder längst Strafen zahlen müssen und in Zukunft müssten sie erst recht alle zahlen. Sind doch die Kriterien gleich streng geblieben, aber inzwischen noch viel realitätsferner geworden: drei Prozent maximale Neuverschuldung, 60 Prozent maximale Gesamtverschuldung.

Außerdem: Wenn es einem Land finanziell schlecht geht, dann erhöht eine Geldstrafe ja nur die Finanzprobleme dieses Staates. Sie ist daher nicht wirklich sehr logisch. Vor allem aber ist es unlogisch, wenn man durch Haftungen und Kredite diesem Schuldenland Geld zuschiebt, das man ihm gleichzeitig über solche Strafen wieder abzunehmen droht. Irgendwer muss da die Menschen für sehr dumm halten. Nein, nicht irgendwer, sondern die europäischen Regierungschefs sind es, die vor uns diese Luftburg aufgebaut haben. Die sie aber als eine funktionierende europäische Architektur bezeichnen.

Wie ernst es den Schuldenländern mit dem Sparen ist, sieht man nach dem Scheitern des portugiesischen Sparpakets etwa auch ganz aktuell an Spanien: Dort haben die Mitarbeiter der Flughäfen in den vergangenen Stunden mit Streik gedroht, und prompt haben sie von der Regierung eine Garantie bekommen, dass ihre Tarifverträge nicht angetastet werden, und dass es auch keine Entlassungen gibt, selbst wenn die Flughäfen aus Geldnot verkauft werden sollten. Was die spanische Politik offenbar nicht begreift: Erstens, wer sich einmal erpressen lässt, wird noch viel öfter erpresst. Zweitens, Spanien wird natürlich nun bei einem Verkauf der Flughäfen deutlich weniger Geld bekommen. Denn jeder Käufer zieht diese teuren Garantien vom Kaufpreis ab. Das ist nur ein kleines von vielen Beispielen, dass die politische Klasse Europas noch immer nichts verstanden hat.

Hätten die Regierungschefs die angekündigten Strafen für die Defizitsünder ernst genommen, dann hätten sie diese ja auch gleich der natürlichen Strafe überlassen können. Dann ist es auch absolut unverständlich, warum die Regierungschefs solche gewaltigen Risiken eingehen, nur um die Sünderländer vor der gleichsam automatischen Strafe bewahren. Denn die Marktwirtschaft hat ja längst klare Konsequenzen entwickelt, wenn jemand seine Schulden nicht mehr bezahlen kann: nämlich Konkurs, Ausgleich, Umschuldung.

Das sind gewiss auch für deren Gläubiger unangenehme  Konsequenzen. Sie sind aber tausend Mal klüger und besser als der nun in Europa angesagte Schrecken ohne Ende, der noch viel mehr Opfer fordern wird als eine solche Umschuldung.

Was würde denn bei einer so gefürchteten Umschuldung, einem „Haircut“ eines Landes nun wirklich passieren? Dem Euro würde trotz aller Schreckensmeldungen nichts passieren; das Land müsste sich mit den Gläubigern an einen Tisch setzen und einen genauen Plan einer Umschuldung aushandeln, der meist in Fristerstreckungen und einem teilweisen Forderungsverzicht besteht; das wiederum würde etliche Banken und Fonds in den Gläubigerländern treffen – aber die haben in den letzten Jahren ohnedies schon durch hohe Zinsen viel von dem verborgten Geld zurückbekommen; außerdem wäre selbst eine eventuelle neue Bankenhilfe weit billiger als der 700-Milliarden-Fonds; die Regierungen der Schuldnerländer bekämen eine sehr gute Argumentationsbasis gegenüber den Gewerkschaften, und könnten all die angeblich wohlerworbenen Rechte und Privilegien in Frage stellen, die unsere Zukunft bedrohen.

Das wichtigste an einem solchen Staatsbankrott (oder mehreren) wäre die Vorwirkung auf andere Staaten. Denn dann müssten alle sofort viel sparsamer agieren. Dann würde sich jeder Gläubiger seine Kreditnehmer viel genauer anschauen. Dann müssten Banken auch Kredite an Staaten als Risikopapiere behandeln und zum Unterschied von heute so wie jeden anderen Kredit mit Eigenkapital unterlegen. Dann würden auch die Menschen spüren, dass die Lage weiterhin, trotz Zwischenkonjunktur, eine ernste ist.

Aber die europäischen Regierungschefs haben diesen konsequenten Weg vermieden. Sie gleichen einem an Lungenkrebs Erkrankten, der weiter raucht – oder an die Heilung durch eine Diät glaubt, aber auf die (vielleicht) lebensrettende Operation oder Chemotherapie verzichtet. Sie sind damit kurzfristig Unangenehmem ausgewichen, haben aber langfristig ein umso größeres Risiko eingegangen.

Freilich: Noch ist der Beschluss der Regierungschefs rechtlich nicht Realität. Vorher muss es noch eine – scheinbar kleine – Änderung der EU-Verträge geben. Denn bisher ist ja ein Bailout, also die Übernahme der Schulden eines anderen EU-Landes, europarechtlich verboten. Das dürfte auch der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe vermutlich bald der Berliner Regierung klarmachen.

Diese Vertragsänderung muss daher noch durch die Parlamente. Sie braucht etwa in Österreich sogar eine Zweidrittelmehrheit. Daher darf man gespannt sein, ob diese Änderung in allen EU-Ländern wirklich zustandekommt. Welche Oppositionspartei wird in Österreich die Hand zum 30fachen Erdbeben reichen? Am ehesten stehen die Grünen im Verdachtsverhältnis. Aber auch sie werden sich die Zustimmung teuer abkaufen lassen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung