Warum das Ende der Wehrpflicht falsch wäre
01. Februar 2011 02:56
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 7:30
Norbert Darabos hat in den letzten Monaten so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Inhaltlich, strategisch, taktisch. Schon aus diesem Grund brächte nicht einmal der konsensversessene Josef Pröll in seiner Partei eine Bundesheer-Reform durch, die auch nur annähernd an Darabos erinnern würde. Aber man sollte sich doch auch jenseits aller Parteipolitik mit dem Thema Berufsheer befassen, und mit den gewichtigen Argumenten für eine Wehrpflicht.
Die Berufsheer-Idee ist nicht deshalb falsch, weil sie von Darabos kommt. Oder weil sie durch sein Vorgehen schwer beschädigt worden ist. Vielmehr lassen diese Pläne wie auch viele Diskussionsbeiträge durchaus seriöser Persönlichkeiten grundlegende Probleme außer Acht.
Das zentrale Argument der Heeresabschaffer lautet: Österreich drohe seit einiger Zeit ohnedies kein Krieg. Deshalb könne man bis auf ein paar Einheiten für internationale friedensherstellende Operationen auf alle militärischen Vorbereitungen verzichten (und müsse nur einen Ersatz für die wegfallenden Zivildiener suchen). Das ist viel zu kurz gedacht. Aus vielerlei Gründen.
- Niemand weiß, ob sich nicht doch eines Tages im mitteleuropäischen Raum wieder eine Kriegsgefahr entwickelt. Der Verlauf der Geschichte hat sich seit Jahrhunderten als unberechenbar erwiesen. Wer „Peace in our time“ verkündet, hat aus der Weltgeschichte nichts gelernt. Und wenn das auf Zuruf der Kronenzeitung geschieht, die seit Jahren insbesondere gegen die tschechischen und slowakischen Nachbarn schürt, ist das besonders absurd.
Daher sollte man sich immer bewusst sein, dass sich auch in Zukunft wieder neue Konflikte bilden können und werden. Auch wenn diese natürlich ganz andere, nur schwer vorhersehbare Auslöser haben. Jedoch: Wird das Bundesheer auf Grund der momentan tatsächlich sehr stabil scheinenden regionalen Lage auf das diskutierte Minimum zurückgefahren, dann kann es nicht mehr hochgefahren werden. Jedenfalls geht das nicht einmal annähernd so schnell, wie sich eine neue Konfliktgefahr entwickeln kann.
Für die Wiederherstellung einer vollen Landesverteidigung würde es nach Expertenansicht mindestens drei bis fünf Jahre dauern. Wenn ganze Truppengattungen zugesperrt werden, noch länger. Es fehlen ja nicht nur die Köpfe, sondern auch das spezifische Knowhow in diesen Köpfen.
Überdies würde jede Regierung zögern, mitten in einem neuen Konflikt die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu verkünden. Denn das könnte als ein besonders riskantes und provozierendes Signal interpretiert werden, das einen potentiellen Unruhestifter erst recht zu beschleunigtem Losschlagen veranlasst, bevor sich eine solche Wiedereinführung der Wehrpflicht auswirkt. Das löst sehr riskante Erinnerungen an die Mobilisierungs-Spirale vor den Weltkriegen aus.
- Schon in den letzten Jahren gab es immer wieder Aufgaben, die nur mit einem Heer in Wehrpflicht-Dimension bewältigt werden können. Man denke etwa an den Grenzschutz-„Assistenzeinsatz“. Dieser war angeordnet worden, weil die Exekutive außerstande war, den illegalen Immigrantenstrom ohne Heereshilfe zu bewältigen. Dass dieser Einsatz inzwischen längst obsolet ist, aber trotzdem aus parteipolitischem Opportunismus weitergeführt wird, ändert nichts an der Beweiskraft dieses Beispiels.
- Andere Bedrohungen, die jederzeit aktuell werden können, sind noch viel ernsthafter und brauchen noch viel mehr Mann. Da geht es weniger um klassische Landesverteidigung, sondern um militärische Aufgaben im Inneren der Republik, insbesondere um den Schutz gegen Terrorismus. Das Innenministerium hat eine Liste von rund 1000 Objekten erstellt, die im Fall terroristischer Umtriebe unter Schutz zu stellen sind. Dabei geht es nicht nur um Regierungsgebäude, sondern auch um die wichtigsten Bahnhöfe und Flughäfen, und insbesondere um Pipelines, die großen Stromleitungen und die Wasserleitungen der großen Städte, die gegenüber chemischen, biologischen oder schmutzig-nuklearen Vergiftungen besonders exponiert sind. Experten wissen, dass schon jetzt nur noch ein Teil dieser Anlagen effektiv zu schützen ist, künftig aber wird gar nichts mehr schützbar sein. Obwohl terroristische Bedrohungen zwischen Moskau, London und Madrid fast schon europäischer Alltag geworden sind. Obwohl schmutzige (also keine besondere Technik erfordernde) Atombomben zum Alptraum vieler Sicherheitsexperten geworden sind. Obwohl die gegenwärtige rapide Destabilisierung der gesamten islamischen Welt zu besonderer Vorsicht mahnen sollte.
- Eine der Allgemeinheit viel mehr bewusste Aufgabe des Bundesheeres ist der Katastrophenschutz. Dazu braucht es einen funktionierenden Apparat mit vielen Spezialisten und eingeübter Logistik. Selbst wenn man überoptimistisch davon ausgeht, dass sich im Ernstfall genug Freiwillige für Katastropheneinsätze melden werden, übersieht man das hohe Ausmaß an dabei notwendiger Professionalität. Dabei geht es nicht nur um Lawinen, Waldbrände, Chemieunfälle oder Hochwasser, sondern etwa auch um den Fall einer atomaren Katastrophe in der Nachbarschaft. Nur ein Wehrpflichtigen-Heer hätte beispielsweise eine nennenswerte Anzahl von Milizärzten auf Abruf bereit.
- Nur ein Bundesheer mit einer Luftwaffe kann das Land gegen Terrorflieger schützen, sonst könnten in Österreich, aber auch im angrenzenden Mitteleuropa keine Großveranstaltungen wie das Weltwirtschaftsforum stattfinden (bei dem sich erst dieser Tage die Herren Faymann und Spindelegger als Advokaten der mittelasiatischen Diktaturen versucht haben).
- Worüber niemand spricht, woran vielleicht auch niemand denkt, weil Tabu-Themen hierzulande sowieso verdrängt werden: Was tut Österreich bei revolutionsähnlichen Umtrieben der Hunderttausenden jungen Migranten, die oder deren Eltern in den letzten Jahren ins Land gekommen sind, wenn diese eines Tages von halbgebildeten Imamen zu einem Aktionismus nach tunesisch-ägyptischer Art aufgepeitscht werden? Wie reagiert da die Republik, sobald es kein Bundesheer mehr gibt?
- Worüber ebenfalls ungern gesprochen wird: Auch in sonstigen Krisenfällen ist für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Inneren der künftige Bedarf an einer Armee möglich. Man denke nur an das Risiko großflächiger Plünderungen im Gefolge von Großdemonstrationen oder nach einem mehrtägigen Zusammenbruch der Versorgung.
- Tatsache ist auch, dass bisher alle Pläne gescheitert sind, die davon ausgehen, dass sich genug Freiwillige für wichtige Aufgaben melden.
a. In den 70er Jahren war bei der umstrittenen Kreisky-Reform eine professionelle 15.000-Mann-Bereitschaftstruppe beschlossen worden. Diese 15.000 haben sich aber nur maximal zur Hälfte eingefunden. Der Rest musste wieder mit Wehrpflichtigen angefüllt werden, um den Anschein einer Bereitschaftstruppe aufrechtzuerhalten. Bis diese dann unter Platter ganz verschwunden ist.
b. Es haben sich auch für die Miliz nie genügend Freiwillige gefunden, die als Gruppenkommandanten die untere Führungsebene bilden könnten. An freiwilligen Milizübungen haben sich nur fünf Prozent der geplanten Zahl beteiligt
c. Auch die jetzigen Auslandseinsätze sind – im Gegensatz zu großspurigen früheren Ankündigungen – nur zur Hälfte mit Berufssoldaten bestreitbar. Der Rest kommt aus der Miliz.
d. Zählt man jene Österreicher zusammen, die sich derzeit freiwillig dem Bundesheer für eine berufliche Soldatenkarriere auf irgendeiner Hierarchieebene zur Verfügung stellen, dann sind das jährlich weniger als 1000. Das ist nicht einmal die Hälfte der Darabos-Wunschziffer.
- In Deutschland, wo man den Schritt zum Berufsheer bereits gesetzt hat, hat man erst dieser Tage zugeben müssen, dass das 1,2 Milliarden Euro mehr kostet als geschätzt. Damit wird eine Maßnahme, die eigentlich aus Gründen der Budgeteinsparung beschlossen worden ist, zumindest vorerst zum gegenteiligen Effekt führen. In vielen Ländern haben sich bei weitem nicht die geplanten Menschenmengen für den Soldatenberuf gemeldet. Das wird sich auf Grund der Demographie auch nicht bessern. Mäßige Bezahlung, niedriges Sozialprestige führen außerdem überall zu einer negativen sozialen Auslese, wie wir sie etwa in der britischen Berufsarmee schon lange kennen.
- Aber selbst wenn alles an dem Darabos-Modell so wie vorgesehen funktionieren sollte, selbst wenn sich wirklich – trotz der vom Minister aus taktischen Motiven deutlich reduzierten Soldzahlungen – alljährlich 2000 Freiwillige als Milizsoldaten finden sollten, hat das Modell eine katastrophale und bisher kaum diskutierte Lücke: Es würde 20 bis 30 Jahre dauern, bis aus diesen freiwillig einrückenden Soldaten dann die vorgesehene Miliz gebildet ist, um die versprochene Mobilmachungsstärke von 55.000 Mann zu erreichen (die wir derzeit haben). Denn von den jetzigen Wehrpflichtigen steht ja bei Abschaffung der Pflicht über Nacht kein einziger mehr zur Verfügung. Und die Miliz würde dem Darabos-Plan zufolge nur aus jenen Männern und Frauen gebildet, die freiwillig sechs Monate bis sechs Jahre gedient haben, und die dann 15 bis 30 Jahre zu Übungen und Einsätzen bereitstehen müssten. Und natürlich kann auch keiner der 1,8 Millionen Wehrpflichtigen mehr einberufen werden, die jetzt noch für den allerernstesten Ernstfall theoretisch zur Verfügung stehen.
Das heißt: Wir haben in der Tat einen Verteidigungsminister, der auf Jahrzehnte die Erfüllung der Aufgaben des Heeres zu unterbrechen beabsichtigt.
Übrigens, bei all diesen Überlegungen ist noch keine Zeile die Rede von Auslandseinsätzen oder der vielbeschworenen europäischen Solidarität gewesen. Obwohl derzeit rund um Europa alle Pfeiler der Stabilität zusammenzubrechen drohen. Bei all diesen Überlegungen ist auch noch keine Zeile die Rede vom dann natürlich ebenfalls wegbrechenden Zivildienst gewesen. Obwohl das Rote Kreuz katastrophale Konsequenzen befürchtet.
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