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Es ist ein Musterbeispiel, wie sich die Politik zunehmend um ihre Glaubwürdigkeit bringt. Früher sind bei Monsterprojekten der Dimension Brenner-Basistunnel oder Koralm-Tunnel die privaten Investoren meist bankrott gegangen. Bei den Tunnel-Projekten droht das der Politik – oder zumindest ihrer Glaubwürdigkeit.
In dieser Frage sind es ausgerechnet die Grünen, die man auf der Seite der Vernunft findet. Dafür ist ihnen Anerkennung zu zollen – obwohl sie für den Beginn des Brenner-Projekts sehr wohl kausal waren. Denn die seit längerem schwelenden Klagen der Gemeinden im Tiroler Wipptal über die – einst von Tirol mit Stolz beworbene! – Autobahn bekamen erst nach einem Wahlerfolg der Grünen in Tirol politisches Gewicht und die Forderung nach einem Bahntunnel zur Entlastung der Autobahn wurde bald von allen Parteien zum zentralen Programm verwandelt.
Plötzlich wurde der Brenner-Tunnel zur obersten Tiroler Fahnenfrage, wichtiger als Skisiege und Südtirols Selbstbestimmungsrecht zusammen. Ähnlich wurde der Koralm-Tunnel zwischen Graz und Klagenfurt zuerst – unter Jörg Haider – für die Kärntner und dann auch für die Steirer zum zentralen Anliegen, das beiden vorher gar nicht bewusst gewesen war.
Eine wirkliche wirtschaftliche Betrachtungsweise findet da wie dort bis heute nicht statt. Sonst hätte man ja auch private Investoren finden können, die die Tunnels finanzieren, und die dann über die Benützungsgebühren Risiko wie auch Gewinnchancen tragen. Da das EU-Recht es unmöglich macht, Frächter von der Straße auf die Schiene zu zwingen, muss der Brennertunnel eine gewaltige Fehlinvestition werden. Dies auch deshalb, weil Deutschland völlig desinteressiert ist, die Brennerbahn Richtung Norden (etwa durch einen anschließenden zweiten Monstertunnel unter der Innsbrucker Nordkette) auszubauen. Aber natürlich macht die Strecke nur in Hinblick auf Deutschland wirklich Sinn.
Ähnliches gilt für die andere Großbaustelle. Der Personen-Verkehr zwischen Graz und Klagenfurt wird derzeit mit einem gelegentlichen ÖBB-Bus voll abgedeckt, der die Strecke in zwei Stunden bewältigt (der Bahn-Umweg über Leoben dauert 2,30 Stunden). Güterverkehr von Graz in das industriell völlig unbedeutende Klagenfurt ist sowieso keiner zu erwarten. Nicht einmal die – auch wegen der dazwischen liegenden Orte industriell viel wichtigere – Verbindung Graz-Linz ist künftig den ÖBB einen direkten Personenzug wert. Die Kärntner Industriefurche (St. Veit bis Villach samt Anschluss nach Italien) ist sowieso durch die alte Südbahn gut erschlossen. Diese bräuchte nur dringend den von Erwin Pröll aus populistischen Gründen so lange verhinderten Semmering-Tunnel, um noch höhere Kapazitäten zu haben. Bis der mächtige Niederösterreicher zum Glück endlich umschwenkte, ist ausgerechnet das einzige unter den drei Tunnelprojekten, dessen ökonomischer Sinn völlig unbestritten ist, ein Jahrzehnt lang verhindert worden.
Bei allen übrigen Projekten hat die Politik, insbesondere die Landespolitik, seit Jahr und Tag ihre Hauptaufgabe darin gesehen, den Menschen ökonomisch völlig sinnlose Projekte zu versprechen. Obwohl hinten und vorne kein Geld dafür da war. Ähnlich setzen sich ja fast alle Landeshauptleute ständig für Nebenbahnen ein, auf denen nur gelegentlich menschenleere Geisterzüge fahren.
Und niemand, weder Bund noch Länder, hat sich getraut, mit den Menschen Klartext zu reden. Daher wurden seit Jahr und Tag Formalbeschlüsse für den Bau der Tunnels getroffen, ohne dass die Finanzierung geklärt wäre. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch glaubt, dass der Brennertunnel wirklich nur die – ohnedies gewaltigen – 9,7 Milliarden Euro kosten wird, die jetzt dafür veranschlagt werden. Schlauerweise wurde aber dennoch an mehreren Stellen mit Probebohrungen begonnen. Gleichsam um den Steuerzahler vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Irgendwie verständlich, dass sich die ÖBB neuerdings dagegen wehren, dass die Regierung Projekte beschließt, deren Finanzierung aber dann den ÖBB umgehängt wird. Viel weniger verständlich ist, dass sich die ÖBB nun zwar gegen den Brenner, aber für den Koralm-Tunnel positionieren. Das versteht man wohl erst, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass bei den tunnelbegeisterten Tirolern, denen im Norden wie jenen im Süden, die seit 90 Jahren mit den ÖBB innig verbundene Sozialdemokratie völlig bedeutungslos ist. In der Steiermark stellt die SPÖ hingegen seit einigen Jahren den Landeshauptmann und in Kärnten kann sie zumindest auf ein Comeback hoffen.
Die Haltung der ÖBB zu den einzelnen Projekten ist ungefähr so schizophren wie die Haltung der ÖVP. Diese ist in Tirol, der Steiermark und Kärnten für die großen Löcher, auf Bundesebene aber für Sparsamkeit – und dazwischen für das parteiübliche Kommunikations-Vakuum.
Wie geht es weiter? Meine Schätzung: Beide Tunnels werden in den nächsten Jahrzehnten unter dem kombinierten Druck der Bau- und der Regional-Lobby zeitweise weiter vorangetrieben werden, unter dem Druck der Realitäten aber auch zeitweise wieder eingefroren werden. Und wenn sie dann irgendwann einmal doch fertig sein sollten, werden Zeitungen und Politik das Finanzdebakel bejammern. So als ob sie nie die Tunnels verlangt hätten. Und ganz besonders wird die Wirtschaftskammer darüber klagen, die jetzt besonders laut für die zwei Verschwendungsbauten agitiert.