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Die ÖVP hat ein Führungsproblem

Die ÖVP hat ein Führungsproblem. Und zwar ein gewaltiges. Dabei geht es längst nicht nur um die Frage: Wer könnte es besser machen als Josef Pröll? Bietet sich doch hinten und vorne keine Alternative an, von der man sich eine Besserung erwarten könnte. In Wahrheit treibt das Parteischiff als Ganzes ungesteuert dahin. Das zeigt sich an der Unprofessionalität ihres gesamten Apparats wie auch an einer tiefgehenden Identitätskrise – Wer bin ich? Was will ich? Wofür steh ich?

Auf der Kommandobrücke ist genauso wie beim letzten Matrosen blutige Amateurhaftigkeit eingekehrt. Ein scheinbar kleines, aber überaus anschauliches Beispiel für die Unprofessionalität der Partei aus den letzten Tagen: Nach dem Tode des beliebtesten Künstlers des Landes am vergangenen Wochenende sind im Stundentakt die „tief betroffenen“ Aussendungen der Herrn Faymann, Häupl, Ostermayer, Mailath-Pokorny und der Frau Schmied hinausgegangen. Von ÖVP-Seite findet sich hingegen lediglich goldene Worte der Burgenländerin Silvia Fuhrmann, die auf Grund ihrer Unbekanntheit von kaum jemandem wahrgenommen worden ist.

Dabei wäre für Pröll & Co nichts leichter als eine solche Gelegenheit, um mit ein paar schönen Sätzen auch bei jenen vielen Österreichern zu punkten, die sich nicht für die hohe Politik interessieren. Niemand möge jetzt einwenden, dass halt am Wochenende (nach der Ferienwoche) alle ÖVP-Granden irgendwo auf Pisten oder Straßen unterwegs gewesen wären. Denn in professionell organisierten Parteien geben längst routinemäßig die diensthabenden Mitarbeiter im Parteisekretariat und im Ministerkabinett solche wenig heiklen Erklärungen heraus, ohne lang beim zitierten Politiker nachzufragen. So wie auch viele Ministerbriefe nie vom Minister selbst stammen. Es ist ja auch so gut wie sicher, dass ein guter Teil der über den Tod Peter Alexander ergriffenen Sozialdemokraten den Text „ihrer“ Beileids-Erklärung erst im nachhinein erfahren haben. Was aber nur zeigt: Die Sozialdemokratie mag zwar inhaltlich eine noch viel ärgere Identitätskrise haben als die ÖVP – ihr Apparat funktioniert aber noch immer exzellent.

Dabei stand in den letzten Jahrzehnten kein österreichischer Künstler so sehr für einen „konservativen“, betont österreichischen Kulturbegriff wie Peter Alexander, auch wenn er natürlich nie Parteipräferenzen geäußert hat. Dementsprechend haben sich die üblichen Altlinken dieser Tage im Fernsehen auch furchtbar über ihn erregt. Das, wofür der Entertainer gestanden ist – nämlich für den schlichten Anspruch der Menschen, sich gut unterhalten zu wollen –, war ja das genaue Gegenteil jener Kultur, für die etwa ein Mailath-Pokorny in Wien unser Steuergeld hinauswirft.

Bürgerliche Hilflosigkeit bei Dirty Campaigning

Der ÖVP hat aber auch von den brutaleren Methoden politischer Taktik absolut keine Ahnung, in denen Europas Sozialdemokraten nach wie vor perfekt sind. Dass bürgerliche Parteien wie die ÖVP auch in Sachen Schmutzkübel den linken Strategien recht hilflos gegenüberstehen, macht sie zwar wieder sympathisch, aber auch zum wehrlosen Opfer: Die Beispiele reichen von der Denunziation Kurt Waldheims durch Abgesandte der SPÖ beim Jüdischen Weltkongress über die erfundene Pflegerin in Wolfgang Schüssels Familie bis zu den seit Jahr und Tag von linken Staatsanwälten gezielt hinausgeleakten Halbfakten über Karl-Heinz Grasser. Dies geschieht mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem deshalb, weil Grasser seit Haiders Tod und Schüssels Ausgedinge als einziger Politiker rechts der Mitte eine starke Wählerwirkung hat.

Was zwar nicht heißt, dass Grasser unschuldig wäre. Aber Tatsache ist jedenfalls, dass nach dem Tod Jörg Haiders bei keinem anderen heimischen Politiker seit Jahr und Tag mit so unglaublicher Aggressivität jede Kleinigkeit durchforscht wird. Kein Mensch würde sich für die Biographie oder das Privatleben der Herrn Mitterlehner oder Berlakovich interessieren. Sie sind politisch viel zu ungefährlich.

Ist aber ein Politiker, der rechts von der Mitte steht, erfolgreich, dann gerät er sofort in professionell konzertierter Aktion ins Fadenkreuz. Diese Aktionen sind auch international koordiniert. Jedes kleinste Detail seines Lebens, Studiums und Privatlebens wird durchsucht und sofort auch über parteitreue Staatsanwälte an die Linksmedien hinausgespielt. Ob der Mann nun Sarkozy oder Berlusconi, ob er Orban oder Guttenberg heißt.

Das bedeutet nun nicht, dass ich die Geschäftsmethoden oder den Sex-Tick von Berlusconi gutheißen würde. Ich beobachte nur, dass sich kein Mensch jemals für den Lebenslauf, das Studium oder das Privatleben - beispielsweise - eines Werner Faymann interessiert hätte. Sind dessen Studentenjahre weniger belastend als die eines von und zu Guttenberg? Und der Sturm der vereinigten Linken Europas wegen des ungarischen Mediengesetzes steht in seltsamen Kontrast zum völligen Desinteresse für den totalen parteipolitischen Durchgriff der Linken etwa im ORF oder für das gigantische Korruptionsmodell zur Bestechung der österreichischen Boulevard-Zeitungen. Was alles viel schlimmere Fakten sind als die wenigen Fehler, welche die EU-Kommission beim ungarischen Gesetz gefunden hat.

Wie sehr die SPÖ bis in die untersten Gliederungen auf Schmutzarbeit ausgerichtet ist, zeigt auch ein Brief der SPÖ-Bezirksorganisation St. Pölten, der mir ins Haus geflattert ist. Darin werden die "Lieben Genossen" von einem "STR Robert Laimer" unter dem Betreff "Gegnerbeobachtung" aufgefordert, nicht nur die Namen sämtlicher ÖVP-Funktionäre bis auf Gemeindeebene zu erheben, sondern auch deren Privatadressen, Mail- und Handy-Nummern. Diese privaten Daten braucht man aber wohl nur, wenn man politische Gegner einschüchtern, beschimpfen oder bedrohen will, oder wenn man gegen sie einen Überwachungsapparat einsetzen kann. Blumen zum Valentinstag will man ihnen ja wohl nicht schicken.

Inhaltliches und personelles Vakuum

Die Unprofessionalität der ÖVP zeigt sich aber nicht nur in der Hilflosigkeit gegenüber schmutzigen Kampagnen, sondern auch in den riesigen schwarzen Löchern im Inhaltlichen. An der Parteiakademie etwa findet nicht einmal mehr der Hauch einer Grundlagenarbeit statt, wie sie die SPÖ auf mehreren Ebenen betreibt. Es ist auch geradezu eine skurrile Vorstellung, dass irgendwer aus der gegenwärtigen ÖVP-Führung ein kluges Buch schreibt, wie es viele in der CDU zusammengebracht haben; gar nicht zu reden etwa von einem Thilo Sarrazin. Man trifft nur noch auf tiefe geistige Provinz.

Medienpolitik, Kultur, Landesverteidigung, Justiz, Bildung – in allen ideologisch relevanten Bereichen gibt es derzeit bei der ÖVP nur ein Vakuum und Orientierungslosigkeit. Oder die blanke Peinlichkeit, wie sie sich etwa in den Ministerinnen Karl und Bandion-Ortner zeigt. Die Chaos-Politik der beiden ist ja hier schon des öfteren behandelt worden. Sie macht aber trotzdem immer wieder sprachlos: Etwa wie Frau Karl in selbstbeschädigender Dummheit die von der Mehrheit der Österreicher und fast allen ÖVP-Wählern (in Zeiten der Massenimmigration mehr denn je) abgelehnte Gesamtschule durch die Hintertür doch wieder Schritt für Schritt einzuschleusen versucht. Was zwar der recht weltfremde Parteiobmann nicht merkt, aber sehr wohl die Wähler.

Nicht nur diese beiden Frauen sind Beweis für die schlechte Personalauswahl – oder die total ausgetrockneten Humanressourcen der ÖVP. Die ebenfalls von Pröll selbst zu verantwortende Zumutung, den Wiener Bürgerlichen allen Ernstes eine Christine Marek vorzusetzen, ist ja schon von den Wählern heftig bestraft worden. Bis auf Fekter, Lopatka und mit aktuellen Abstrichen Spindelegger löst die gesamte ÖVP-Mannschaft nur noch Kopfschütteln aus.

Ein weiteres signifikantes Detail dieser Situation: In der Spitze der ÖVP – vom Parteiobmann über den Klubobmann bis zum Generalsekretär – gibt es zum erstenmal seit ihrer Gründung keinen Juristen. Es findet sich auch kein Diplomat oder Ökonom, also jemanden, der sich in den noch immer staatspolitisch wichtigsten Disziplinen fundiert auskennen würde. Die einzigen Studien, die man in den dortigen Lebensläufen überhaupt findet, sind jene der Landwirtschaft. Was bei einem Bauernanteil von drei Prozent ein wenig überdimensioniert sein dürfte.

Die Programm-Groteske

Erstaunlich ist auch die Unprofessionalität bei den wenigen von der ÖVP-Spitze offensiv betriebenen Prozessen. Da  hat der Parteiobmann im Herbst 2009 eine großangelegte Erarbeitung eines neuen Parteiprogrammes angekündigt – die aktuellste Meldung auf der ÖVP-Homepage dazu stammt jedoch aus dem November 2009. Seither total tote Hose. Es finden sich auch sonst nirgendwo Meldungen dazu.

Aber es ist kein Wunder, dass da niemand mehr mittun will: Denn kaum glaubt man, dass die ÖVP für irgendetwas steht (etwa gegen Steuererhöhungen und für eine Absage an die Neutralität), steht sie kurz darauf schon wo ganz wo anders. Spätestens immer dann, wenn Pröll sich von seinem Freund im Bundeskanzleramt und den fast durchgängig weit links der Mitte stehenden Raiffeisen-Medien auf den Kurs „Nur nicht streiten und lieber SPÖ-Positionen übernehmen“ zwingen hat lassen.

Das Desinteresse der – verbliebenen – Parteimitglieder an einem neuen Programm hängt natürlich auch damit zusammen, dass Pröll selbst 2007 bis 2008 einen großen programmähnlichen Vorgang geleitet hat, der in der Basisarbeit ganz klare Ergebnisse für die Perspektiven der ÖVP gebracht hat, wie etwa die Absage an die Schwulenehe. Im groß verkündeten Schlusspapier hat Pröll dann daraus ohne weitere Rücksprache das Gegenteil, nämlich ein fast vollständiges Ja zur Schwulenehe gemacht. Offenbar war ihm der Beifall bei den überwiegend linken Journalisten wichtiger als jener bei den Wählern.

Ähnliches ist gerade jetzt bei anderen Themen in Gang, wo man der ÖVP beim Umfallen geradezu zuschauen kann: von den Frauenquoten bis eben zur Gesamtschule. Und in Sachen Islam und Türkei nimmt der ÖVP-Pensionistenchef Andreas Khol überhaupt jedem kritischen Ansatz anderer Schwarzer sämtliche Glaubwürdigkeit. Tritt er doch ständig als begeisterter Lobpreiser der türkischen Immigranten auf. Er fordert ein türkisches ORF-Programm und brandmarkt Thilo Sarrazin als Vertreter "widerlicher" Thesen (während die CDU längst begriffen hat, dass ihre anfängliche Sarrazin-Schelte einer ihrer schwersten Fehler war).

Kein Gespür für Taktik

Völlig absurd ist aber auch die ÖVP-Haltung in Sachen Landesverteidigung. Nachdem die Partei jahrelang erfolglos für eine Aufgabe der völlig überholten Neutralität eingetreten war, wirft sie nun der SPÖ Neutralitätsverrat vor, weil einige SPÖ-Politiker ein wenig offener (was eh noch lange nicht offen bedeutet) über die Neutralität nachgedacht haben. Glaubt da jemand wirklich, mit einem so unglaubwürdigen Zickzack punkten zu können?

Ähnlich die Haltung zur Wehrpflicht. Da  sprechen sich nun nach der Reihe ÖVP-Politiker dafür aus, eine Volksbefragung darüber zu veranstalten. Warum bitte? Nur weil die SPÖ auf Befehl der Kronenzeitung plötzlich im Gegensatz zu ihrer bisherigen Politik eine solche Befragung - zum Zwecke eines Zwischenwahlkampfs statt echter Reformen - machen will? Warum verpflichtet sich die ÖVP zu einer Befragung, wenn sie selbst nicht weiß, wofür sie eigentlich ist? Steht davon etwas im Regierungsprogramm?

Sie sagt aber auch nicht: Wenn schon Volksbefragungen über die Dinge, wo wir uns uneinig sind, dann bitte doch auch über einige andere Fragen, wo sich die Koalition schon viel länger uneinig ist: über Studiengebühren; über die Gesamtschule; über die Nichtaufnahme von Kindern in den Regelunterricht, die noch nicht ordentlich Deutsch können; über Aufnahmsprüfungen für Unis und AHS; über einen Stopp der Flut von Regierungs- und ÖBB- (usw) Inseraten; über die Hacklerregelung; über das Grundeinkommen; über die Luxusgehälter der Wiener Rathausbeamten (und einiger anderer); über eine wirksame verfassungsrechtliche Schuldenbremse (nach der Österreich in einem Konjunkturjahr wie 2011 eindeutig einen Überschuss erzielen müsste).

All das macht den katastrophalen Zustand der in den letzten Jahren schon halbierten bürgerlichen Partei besonders auffällig.

Gratisprofit für die FPÖ

Längst geht es nicht mehr um „Pröll oder wer sonst?“ sondern darum, dass die große liberalkonservative Partei Österreichs Selbstmord auf offener Bühne betreibt. Die Freiheitlichen müssen da nur noch das tun, womit schon Jörg Haider in seinem letzten Wahlkampf das eigentlich tote BZÖ noch einmal wiederbelebt hat: eine aufgegebene ÖVP-Position nach der anderen aufgreifen und übernehmen. Und schon strömen ihnen die Wähler in Massen zu.

Vielleicht sollte die ÖVP einmal einen Kurs bei der eigenen Parteiakademie belegen, damit sie nach der ersten Hälfte ihrer Wähler - die sie vor allem in Zeiten des Busek-Riegler-Linkskuses angebaut hat - nicht auch noch die zweite Häfte verliert. Die ÖVP-Akademie bietet nämlich gerade an: „Wir bringen Ihre Persönlichkeit auf den Punkt!“

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