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1789, 1848, 1917, 2011

Die spontanen, von niemandem gelenkten und wohl auch nicht lenkbaren Aktionen und Reaktionen emotionalisierter Massen im ägyptischen Drama sind ein historisches Exempel und extrem spannend. Nichts ist in der Geschichte aufregender als die Paarung "Macht und Masse". Vorerst scheint dabei nur eines sicher, nämlich was die wirre nächtliche Rede von Hosni Mubarak für die ägyptischen Massen bedeutet. (Mit aktuellem PS)

Sie war das absolut falsche Mittel, um die Lage in irgendeiner Weise zu beruhigen. Mubarak lügt allzu offensichtlich, wenn er neben pathetischem Selbstmitleid und düsteren Anschuldigungen gegen das Ausland plötzliche Krokodilstränen des Mitleids und der Solidarität für die Demonstranten zu zeigen versucht, die seine Anhänger gerade noch brutal niederzukämpfen versucht haben.

Vor allem aber signalisiert sein Zickzack-Kurs Unsicherheit. Was erst recht wieder die Volksmassen zu neuen Eskalationsstufen anstacheln wird, die schon erste Ermattungserscheinungen gezeigt haben. Er wirkt wie ein angeschossenes Wild, dessen Blutspur die Jagdgesellschaft so richtig scharf macht.

Kein Mensch kann rational erklären, weshalb den ganzen Tag über von ägyptischen Offiziellen angedeutet wurde, Mubarak werde zurücktreten, wenn er dann lediglich bürokratisch von Kommissionen und der Änderung einzelner Verfassungsartikel spricht. Wenn er vage von irgendwelchen Kompetenzverschiebungen zugunsten des Vizepräsidenten spricht. Selbst wenn sich dieser Machttransfer an den Vize als inhaltlich substantiell erweisen sollte, erfüllt er weder die Forderungen der Straße noch ist er ein Zeichen der Stärke, das die Demonstranten noch einschüchtern und entmutigen könnte. Dazu ist auch Omar Suleiman viel zu unbeliebt.

Mubarak hat endgültig seine kleine Chance verspielt, die Demonstranten ins Leere laufen zu lassen, indem er sie zu ignorieren versucht. Statt dessen biedert er sich an – und ignoriert doch zugleich die zentrale Forderung der Massen nach seinem Rücktritt. Sein Verhalten wird daher in Lehrbücher der Macht eingehen im Kapitel „Wie mache ich am Ende meiner Karriere alles falsch.“

Freilich: Die Fassungslosigkeit ob Mubaraks Verhalten wird gepaart von der anhaltenden Sorge, weil sich die protestierenden Massen im Grund nur auf Eines einigen können: auf das „Weg mit Mubarak.“ Eine ermutigende Antwort, wie es in Ägypten weitergeht, haben sie hingegen auch in den vergangenen Wochen nicht zustandegebracht. Sie haben keine Führungspersönlichkeiten und klaren Zukunftskonzepte. Außer den islamistischen Organisationen gibt es keine Strukturen, die das Machtvakuum füllen können.

Also bleibt es bei dem hier schon am ägyptischen Anfang geäußerten Argwohn, dass diese Revolution so wie viele große Umstürze der Weltgeschichte, etwa 1789, 1848, 1917, zwar noch etliche Etappen und dramatische Wendungen haben wird. Dass in den vergangenen Wochen die Hoffnung aber in keiner Weise gewachsen ist, dass der Aufruhr zu einem guten Ende führen wird. Dass in Ägypten ein halbwegs demokratischer Rechtsstaat entsteht, vor dem sich weder die christliche Minderheit (die in Ägypten länger daheim ist als die Moslems!) noch die Israelis fürchten müssen. Im Gegenteil: Die Israelis sind schon Hals über Kopf abgereist und die Kirchen brennen. Was die revolutionsgeilen Journalisten natürlich kaum zur Kenntnis nehmen.

Die Wellen des arabischen Tsunamis erreichen bereits die Küsten Europas: Schon sind wieder die Flüchtlingsboote mit schwarzafrikanischen Migranten massenweise über das Mittelmeer unterwegs, die in den letzten Jahren durch diverse transmediterrane Arrangements etwa des - zufällig ebenfalls gleichzeitig vor dem Abschuss stehenden - Silvio Berlusconi gestoppt worden waren. Ja gewiss, das waren Abkommen mit autoritären und diktatorischen Machthabern. Mit dem, was nachkommt, werden aber wohl für Europa gar keine Abkommen mehr möglich sein. Weder gute noch üble.

PS: Nachtrag am Freitagabend: Der nun doch erklärte Rücktritt Mubaraks bestätigt nur das in der vergangenen Nacht skizzierte Szenario. Nur sehr naive Menschen können jetzt meinen, dass die Unruhe zu Ende wäre und dass in Ägypten neue Stabilität einkehren wird.

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