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Im vergangenen August wäre Josef Klaus hundert Jahre alt geworden. Kaum jemand hat davon Kenntnis genommen. Bruno Kreisky würde am 22. Jänner hundert Jahre alt. Und schon jetzt erbeben die Medien wie auch die Spielplanmacher diverser Bühnen vor Aufregung ob dieses Datums, schon sind die Buchauslagen voll von Kreisky-Büchern und bereitet der ORF eine intensive Heiligenverehrung vor.
Nichts zeigt deutlicher, wer heute die Kultur- und Medienlandschaft kontrolliert, wer in den Buchverlagen diktiert. Nichts zeigt aber auch deutlicher, dass die SPÖ die nun anhebenden Kreisky-Festspiele angesichts ihrer totalen Sinnleere und Faymannisierung wie ein Stück Brot braucht, um noch irgendeine Identität zu haben. Und die braucht jede Partei als inneren Zusammenhalt.
Ebenso keine Frage ist freilich auch, dass die Pröll-ÖVP jeden Sinn für historische Dimensionen verloren hat, sonst hätte sie nicht selbst auf Klaus vergessen. Sie hat ja im Vorjahr beispielsweise auch den zehnjährigen Jahrestag des Amtsantritts des letzten ÖVP-Bundeskanzlers ignoriert. Wer die Geschichtsschreibung kontrolliert, der bestimmt auch, was in der Geschichte wichtig war. Die Fakten sind da viel weniger wichtig. Und wer die Geschichtsschreibung vernachlässigt, der zählt auch zu den Verlierern der Geschichte. Wer aber die Geschichte gewonnen hat, der hat auch für die Gegenwart eine viel schlechtere Ausgangsposition.
Um nur beim ORF zu bleiben: Während Klaus das Rundfunkvolksbegehren ernst nahm und den ORF unter Gerd Bacher in eine vorher ungeahnte Freiheit entließ, verkürzte Nachfolger Kreisky sehr rasch wieder die Zügel des Rundfunks auf ein parteigenehmes Maß. Dass dennoch Bacher dann später noch einmal an die ORF-Spitze kam, hing nicht mit einem Erwachen sozialistischer Liberalität zusammen, sondern mit dem Machtkampf Kreiskys gegen seinen Finanzminister Androsch, dessen Parteigänger im ORF-Kuratorium gegen die Parteilinie stimmten.
Kreisky wie Androsch sind aber gemeinsam für die wohl schwerste Last verantwortlich, die sie der Republik aufgeladen haben: Übernahmen sie die Republik 1970 mit einer traumhaft niedrigen Schuldenquote von 12 Prozent, so betrug diese 1983 bei Kreisky Abtritt 44 Prozent! In absoluten Zahlen war das sogar eine Versechsfachung der Schulden in 13 Jahren. Eine stolze Leistung.
Gewiss wuchs die Staatsschuld auch nach Kreisky weiterhin an. Unter rot-blauen ebenso wie unter rot-schwarzen Regierungen. Erst Wolfgang Schüssel konnte deren Wachstum brechen. Das gelang ihm 1995 durch vorzeitige Neuwahlen (die seiner Partei freilich ziemlich schadeten), die er aus Widerstand gegen einen Budgetentwurf des SPÖ-Finanzministers Staribacher provozierte, und nach 2000 durch eine konsequente und auch in der eigenen Partei unpopuläre Sparpolitik.
Unpopuläre Sparmaßnahmen kamen Kreisky erst ganz am Ende seiner Amtszeit und mit einem neuen Finanzminister in den Sinn. Sonst war seine Finanz- und Wirtschaftspolitik von populistischen Geldverteilungsmaßnahmen nur so geprägt. Diese reichten von Heiratsprämien bis zum Gratisschulbuch. Die Republik verschuldete sich auch deshalb, um Osteuropa (am Ende uneinbringliche) Kredite zu geben, mit denen die kommunistischen Länder wiederum Produkte der marode gewordenen Verstaatlichten Industrie kaufen konnten. Dass er dazwischen auch bisweilen vom Sparen redete und den Beamten Taxifahrten statt Dienstautos verordnete, waren substanz- und wirkungslose Scheinaktionen fürs Schaufenster.
Man kann Kreisky freilich zugutehalten, dass er auf Grund seiner Biographie alles tun wollte, um eine Wiederholung der Arbeitslosigkeit der Dreißiger Jahre samt ihren katastrophalen Folgen (die freilich nur zum Teil mit der Arbeitslosigkeit zusammenhingen) zu verhindern. Er hat nur eines nicht begriffen – und der junge Androsch als Sunny Boy erst recht nicht, der als Aufsteiger die Wünsche jeder wichtigen Parteigruppe erfüllen wollte: Die Schulden der Siebziger Jahre wurden die Hauptursache der Stagnation und Arbeitslosigkeit der Achtziger Jahre; und sie lasten mit den auch nicht ganz geringen Neuverschuldungen der Zeit bis 1995 heute wie ein riesiger Felsbrocken auf den Österreichern.
Kreisky hat sich aber solcherart viel Popularität erkauft. Zugleich kam ihm zugute, dass die SPÖ im Zuge der 68er Bewegung ganz im linken Zeitgeist lag – was Kreisky nicht hinderte, mit seinem teilweise sehr konservativen Auftreten und Lebensstil tief in bürgerliche Schichten hinein Anziehung auszuüben. Er konnte das unbesorgt tun, weil damals der SPÖ die Bedrohung durch eine linke Konkurrenz fehlte, wie sie dann die Grünen wurden, die später viele der linksradikalen Strömungen der 68er auffingen.
Kreisky war auch imstande, Niederlagen wegzustecken, wie etwa das erfolgreichste Volksbegehren der Geschichte, nämlich gegen das Konferenzzentrum an der Donau, das er neben die schon von seinem Vorgänger initiierte UNO-City bauen ließ. Das Konferenzzentrum ist zwar bis heute kein sehr attraktiver Veranstaltungsort – aber dennoch hat Kreiskys Hartnäckigkeit in dieser wie in anderen Fragen auch seinen Gegnern imponiert. Er ließ sich auch durch scharfen Gegenwind nicht von seinem Kurs und seinen Ideen abbringen. Was ihn sehr von vielen anderen Politikern unterschied, die Österreich seither hatte.
Eine noch größere Niederlage war die Volksabstimmung zum Atomkraftwerk Zwentendorf, für das er bis zuletzt gekämpft hatte. Aber gerade seine – dann nicht eingehaltene – Ankündigung eines Rücktritts bei einem Nein zu Zwentendorf hat diese Niederlage erst recht ausgelöst: Denn viele Kreisky-Gegner, die eigentlich nichts gegen Zwentendorf hatten, entschlossen sich daraufhin zu einem Nein bei der Abstimmung. Dennoch war diese Abstimmung für Kreisky hilfreich: Er blieb, und die Abstimmung hat viel von der kritischen Stimmung gegen seine Regierung verdampfen lassen.
Von vielen Kreisky-Biographen wird aus seiner Ära besonders das neue Strafgesetzbuch als Beweis seiner Liberalität angeführt. Darin werden tatsächlich viele alte Zöpfe abgeschnitten. Freilich war dieses Strafgesetzbuch schon von den ÖVP-Justizministern fertig ausgearbeitet, jedoch aus Rücksicht auf die Widerstände der Bischofskonferenz nicht umgesetzt worden. Kreiskys Mehrheit drückte es dann samt der Freigabe der Abtreibung durch, was bis heute eine tiefe Kluft zwischen die SPÖ und die Gläubigen treibt.
Sehr gezielt wurde in den siebziger Jahren personalpolitisch umgefärbt. Dabei waren der SPÖ – was für ihre strategische Intelligenz spricht – die Universitäten wichtiger als die Beamten. Und bei den Unis, vor allem der Wiener Hauptuniversität, konzentrierte sie sich wieder ganz auf die ideologisch relevanten Fächer wie Zeitgeschichte, Verfassungsrecht, Publizistik oder Politikwissenschaft, wo ein totaler Paradigmenwechsel erzwungen wurde.
Am wichtigsten für Kreiskys Erfolg waren aber seine guten Kontakte zu bürgerlichen Journalisten (die es damals noch in relevanter Zahl gab). Er vermittelte ihnen das Gefühl der Wertschätzung. Er war selbst für junge Redaktionsaspiranten am Telefon zu langen Gesprächen erreichbar – was vorher wie nachher völlig undenkbar war, was es auch im Ausland nirgendwo gab oder gibt.
Am liebsten verbreitete sich Kreisky bei Telefonaten, bei Hintergrundrunden, aber auch bei SPÖ-Parteitagen über die Weltpolitik. Da konnte er stundenlang und mit viel Wissen monologisieren. Was vielen Österreichern sehr imponierte. War es doch bis dahin völlig unüblich, dass ein österreichischer Regierungschef zu Dingen Stellung nahm, die mit dem Land selber überhaupt nichts zu tun hatten.
Kreisky war dadurch auch international bald sehr bekannt. Zusammen mit Willy Brandt und Olof Palme hat er dabei – als einer der letzten in der Geschichte – noch an ein sozialistisches Gesellschaftsmodell geglaubt, über das die drei viel publizierten.
Vor allem aber ging Kreisky in Konfrontation mit den USA und noch mehr mit Israel. Für deutschsprachige Politiker war damals jedoch noch jede Kritik an Israel absolutes Tabu. Auf Grund seiner jüdischen Abstammung konnte ihm das aber nur schwer als Antisemitismus ausgelegt werden – obwohl er eindeutig antisemitische Äußerungen machte.
Kreisky hat sich und Österreich dadurch viele Feinde gemacht – aber auch zweifellos viel persönliche Bewunderung errungen. Er hat engste Kontakte mit arabischen Machthabern gepflegt, er hat sich händehaltend mit Libyens Diktator Gadhafi gezeigt, er hat immer wieder den Standpunkt der Palästinenser verteidigt, trotz des von diesen damals praktizierten Terrorismus.
Aber eines hat Kreisky dabei nicht geschafft, obwohl viele seiner Hagiographen das jetzt verbreiten: Er war nie ein Vermittler. Er wurde von Israel und den USA nie als solcher akzeptiert, galt er doch als viel zu araberfreundlich.
Während die SPÖ noch 1955 rund um die Staatsvertragsverhandlungen proamerikanischer als die ÖVP gewesen ist, hat sich auch das unter Kreisky völlig gewandelt. Er setzte ganz auf die parallel in Deutschland von Brandt betriebene Entspannungspolitik und Annäherung an den Ostblock – wobei er freilich einen Kurs fortsetzte, der zum Teil schon unter Klaus und dessen Außenminister Waldheim begonnen hatte, wenn auch damals mit klarer Beschränkung auf einen bilateralen Akzent.
In der Summe hat Kreiskys Außenpolitik den Österreichern sicher viel Befriedigung verschafft, weil sie erstmals wirklich einen Politiker mit Weltgeltung hatten. Einen konkreten Nutzen für die Republik oder ihre Einwohner konnte er aber damit nicht wirklich schaffen. Denn die Sicherheit Österreichs war auch weiterhin durch die konkludenten Garantien der Nato gewährleistet. Und auch wirtschaftlich brachten die Ostkontakte keinen Gewinn. Gleichzeitig hat er zum Schaden für die österreichische Wirtschaft auf die Totgeburt der Efta statt auf die EWG, die Vorläuferin der EU, gesetzt, die seiner Partei damals noch zutiefst suspekt gewesen ist.
Jedenfalls war Kreisky aber eine starke Persönlichkeit mit großer Bildung in Geschichte wie Literatur. Die in den letzten Jahren von der SPÖ zunehmend aufgebaute Heiligsprechung Kreiskys hat aber nur für die Partei, nicht für das Land eine über das für jeden langjährigen Regierungschef angebrachte Ausmaß Berechtigung.
Dennoch zeigen die jahrelangen Bemühungen um die Kreisky-Verehrung offensichtliche Wirkung. Sonst würde nicht sogar ein H.C. Strache wiederholt versuchen, sich irgendwie als Erbe Kreiskys zu profilieren. Was irgendwie schon recht seltsam ist.