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Es war einmal ein kleiner österreichischer Chefredakteur, in dessen Büro eine ganz hochrangige amerikanische Botschaftsdelegation einmarschierte. Sie war durchaus höflich und freundlich – tat aber genau das, worüber sie später bittere Beschwerde-Depeschen verfasste (die jetzt an die Öffentlichkeit gelangten), wenn Österreich dasselbe macht: Es ging bei diesem Besuch nämlich um diplomatisches Engagement für handfeste Wirtschaftsinteressen.
Der Anlass war der Versuch, Österreich zum Kauf von amerikanischen F-16-Flugzeugen zu veranlassen. Dabei kann man den Amerikanern durchaus zubilligen, dass ihre Flugzeuge weit billiger als die Eurofighter gewesen wären. Allerdings waren sie gebrauchte und generalüberholte Maschinen, hatten daher eine deutlich kürzere Lebenserwartung als die Eurofighter.
Dass die amerikanischen Maschinen auch technisch nicht so viel konnten wie die europäische Konkurrenz, ist inzwischen freilich irrelevant. Hat doch der unheilvolle Norbert Darabos bei der teuren Neuverhandlung des Kaufvertrages sich hinten und vorne über den Tisch ziehen lassen – und daraufhin viel schlechtere Flugzeuge bekommen, die am besten mit dem Adjektiv „kastriert“ zu qualifizieren sind.
Daher ist es aber jedenfalls eine Chuzpe, wenn sich die Amerikaner in der vor wenigen Stunden über Wikileaks veröffentlichten Depesche aus dem August 2009 über diesen Aspekt der Wiener Politik beklagen. Lateiner würden sagen: Quod licet Iovi . . .
Dennoch ist das Dokument überaus aufschlussreich und ein präzises Porträt der gegenwärtigen politischen Akteure in Wien. Es deckt sich weitestgehend mit dem, was die (recht wenigen) unabhängigen Journalisten über Faymann&Co geschrieben haben. Aber als Bericht einer großen Botschaft, die auch mit nicht ganz offiziellen Informationsmethoden arbeitet, bekommt das Urteil doch zusätzliches Gewicht. Daher nun die wichtigsten Passagen in (eigener) Übersetzung:
„Aus vielen Gründen hat die gegenwärtige österreichische Regierung seit ihrer Bildung im Dezember 2008 die Außenpolitik weitestgehend ignoriert. Einige der Gründe – Wirtschaftskrise, Budgetkürzungen, Desinteresse der Minister – sind für die neue Regierung spezifisch. Andere Gründe haben hingegen viel tiefere Wurzeln – das Fehlen langfristiger Ziele und ein populärer Isolationismus.“
„Weder Kanzler Faymann (SPÖ) noch Außenminister Spindelegger (ÖVP) hatten eine signifikante außenpolitische Erfahrung. Seither ist auch klar geworden, dass Faymann kein persönliches Interesse für internationale Angelegenheiten hat – wir hörten dies von xxxxxx (Anmerkung: Während das Dokument sonst viele Informanten mit Namen nennt, gibt es offenbar eine besonders schützenswerte Quelle in der heimischen Politikszene, deren Name entweder von Wikileaks oder von den Autoren dieser – scheinbar – internen Depesche geheimgehalten wird) und von höheren Mitarbeitern in der Präsidentschaftskanzlei und im Außenministerium. Bei Außenminister Spindelegger, dem weithin gute Absichten zugebilligt werden, gilt als unsicher, in welche Richtung er das Ministerium führen möchte.“
„Der dritte potenzielle außenpolitische Mitspieler auf Ministerebene, Verteidigungsminister Darabos, gilt ebenfalls als uninteressiert in Fragen der Außenpolitik und internationalen Sicherheit; er zeigt sich offen feindlich zur Entsendung österreichischer Truppen in gefährliche Missionen (wie etwa nach Afghanistan). Wenn andere Ministerien, beispielsweise das Innen- und das Justizressort, um Unterstützung für internationale Programme gebeten worden sind (wie polizeiliches und richterliches Training in Afghanistan), haben diese die Idee sofort abgelehnt, und zwar wegen Budgetknappheit, der Zunahme von innerösterreichischen Aufgaben und der damit verbundenen Gefahr.“
„Wenn man das Führungsproblem zusammenfasst, dann hat die politische Führung wegen der Wirtschaftskrise wenig Zeit gehabt, sich der Außenpolitik zu widmen, außer diese hat direkte innenpolitische Bedeutung (wie die Aufrechterhaltung des österreichischen Banns gegen genveränderte Landwirtschaft oder EU-Fragen wie die vorgeschlagene gemeinsame Asylpolitik).“
„Die Österreicher möchten aber auch dann in Sachen Außenpolitik ambivalent bleiben, wenn die genannten Probleme gelöst sind. Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 und seit dem EU-Beitritt 1995 habe Österreich laut Politologen wie Erich Froeschl vom SPÖ-Renner-Institut kein zentrales außenpolitisches Ziel mehr. Die Bevölkerung spürt keine Bedrohungen von außen, und der internationale Status ist sicher. In Auseinandersetzung mit politischen Initiativen aus Brüssel, die den Eindruck erwecken, lokale Interessen zu verletzen (wie beim Gen-Verbot) und der verspürten kulturellen Bedrohung und Kriminalitäts-Steigerung durch die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern und der Türkei, sei Österreich seit 1995 isolationistischer geworden. Diese Analyse wird durch den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien bestätigt. Österreichs größte und einflussreichste Zeitung, die Kronenzeitung (mit einer täglichen Leserschaft zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung), vertritt regelmäßig und polemisch isolationistische, Anti-EU- und antiamerikanische Positionen. Sie hat sich jedoch zu Präsident Obama gemäßigt und positiv gezeigt.“
„Die Entwicklung des Neutralitäts-Verständnisses der Österreicher hat die isolationistischen Gefühle verstärkt. Die Neutralität war dem Land 1955 als Bedingung für die Wiedererlangung der Souveränität auferlegt worden; in den 60er Jahren begann man, sie als Tugend zu sehen, die Österreich ermöglichte, Dinge zu tun, die Mitglieder der Nato oder des Warschauer Paktes nicht konnten. Dazu gehört ein netter Vorteil als Gastgeber vieler internationaler Organisationen oder eine Vermittlungsrolle in Nahost. Am Ende des Kalten Krieges versuchten die Konservativen, einen Nato-Beitritt zu betreiben, aber sie konnten nicht die Anhänglichkeit der Öffentlichkeit an die „immerwährende Neutralität“ überwinden. Und seither ist jede Infragestellung der Neutralität beinahe ein Tabu. Dennoch hat sich deren Konzept weiterentwickelt, und sie wird nun von Gegnern jedes auswärtigen Engagements benutzt. Sobald die Neutralität angerufen wird, ist jede weitere Debatte fast unmöglich.“
Vieles andere in der Depesche berührt zum Teil schon überholte Fragen; dort findet sich dann im Gegensatz zur generellen Kritik aber auch manches Lob für Österreichs Kooperation bei kleineren diplomatischen Initiativen.