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Bitte um neue Kleider für den Kaiser Europa

Seit sich sogar Österreichs einst begeistertster Europäer sehr kritisch über die Entwicklung der EU äußert, können die Alarmsignale vom Zustand der EU nicht mehr ignoriert werden. Dasselbe gilt für Aussagen des weltgrößten Anleihe-Investors, der nun schon öffentlich vor einem Zusammenbruch der Währungsunion und des Euro warnt. Was die Finanzwelt bisher eher nur den Kommentatoren überlassen hatte.

Jene, die sich über den traurigen Zustand der Union freuen, unterliegen freilich einem katastrophalen Irrtum. Österreich wird deutlich schlechter dastehen, müsste es wieder zu einer nationalen Insel-Währung wie dem Schilling zurückkehren. Dieser wäre allen Spekulationen hilflos ausgeliefert; dafür genügt schon der kleinste Anlass, wie es etwa ein Budget ohne irgendwelche strukturelle Spar- oder gar Sanierungsmaßnahme einer ist. Dennoch ist ein Zerfall der Währung eine zunehmend wahrscheinlicher werdende Perspektive. Deutschland und Griechenland passen nicht unter denselben Währungshut.

Noch schlimmer wäre der Zusammenbruch des Binnenmarktes: Hunderttausende exportorientierte Arbeitsplätze würden in Österreich relativ rasch verlorengehen. Denn wer würde noch in einem kleinen Land investieren, das keinen großen und gesicherten Absatzmarkt mehr hat?

Die Träume von einer guten alten Zeit vor EU und Euro sind eine romantische Verklärung der Vergangenheit. Vor allem übersehen solche Träumer, dass sich die Welt seither weitergedreht hat. Osteuropa ist einen steinigen, aber tapferen Weg nach oben gegangen, lediglich Ungarn und der Balkan sind dabei ins Straucheln gekommen. Und noch wichtiger: China, Indien, Brasilien, Vietnam, Thailand, Indonesien und etliche andere sind enorm wettbewerbsfähig geworden und überholen Europa heute links und rechts.

Zur Jahrtausendwende hatte Europa noch von den sogenannten Lissabon-Zielen zu träumen versucht, welche die Union zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt machen sollten. Heute kämpft Europa mit den USA um die Rote Laterne. Und niemand redet noch von jenen Lissabon-Zielen.

Die Ursachen sind bekannt: Unzählige Milliarden wurden jahrzehntelang verschwendet, um die Südeuropäer wie Sozialhilfe-Empfänger ohne Gegenleistung durchzufüttern. Man hat versäumt, diesen Ländern klarzumachen, dass sie – so wie die Osteuropäer – nur mit Leistung und Disziplin eine Chance haben. Aber auch in Mitteleuropa ist bis auf wenige Ausnahmen das Wohlfahrtssystem mit Grundeinkommen und anderen Verirrungen noch weiter ausgebaut worden, statt dass man sich der asiatischen Konkurrenz gestellt und auf die Folgen der demographischen Katastrophe vorbereitet hätte.

Selbst Deutschland steht nur im Vergleich zu den anderen Europäern derzeit glänzend da – und vor dem Hintergrund einer 20-jährigen Krise nach der wirtschaftlich völlig falsch angegangenen Wiedervereinigung. Aber auch auf Deutschland sollte man langfristig nicht allzuviel setzen: Denn es hat sich mit vielen Millionen Zuwanderern aus der Türkei und arabischen Ländern einem mittelgroßen Drittwelt-Staat in die Bundesrepublik geholt, dessen Einwohner sich auf dem weltweit höchsten Niveau von den gleichzeitig rasch aussterbenden Deutschen bequem durchfüttern lassen.

Fast ebenso gefährlich ist die mittelfristige Perspektive: In Deutschland wollen die drei Linksparteien (die bei den Umfragen nach etlichen Patzern der Koalition derzeit eine große Mehrheit haben, also wahrscheinlich Schwarz-Gelb ablösen werden) die schuldenfinanzierten Wohlfahrtsleistungen noch deutlich erhöhen.

Mit anderen Worten: Auch in jenem Land, das durch den neuerdings boomenden Export derzeit am stärksten dazustehen scheint, ist innerlich vieles vermorscht.

Ganz arg steht es um die Fast-Pleite-Staaten. Pimco, der weltgrößte Anleihen-Investor, hält daher ein Ausscheiden von Griechenland, Irland und Portugal aus der Währungsunion für notwendig. Diesen Ländern könne es nicht gelingen, sich innerhalb eines festen Wechselkursmechanismus zu erholen.

Andere Experten meinen wieder, dass solche Krisenländer nur dann überleben können, wenn sie ihre Löhne um ein Viertel reduzieren: Jedoch bringt nicht einmal ein Diktator einen solchen Gewaltakt durch, geschweige denn demokratisch gewählte Parlamente. Mit anderen Worten: Diese Länder werden erst nach einer jahrelangen katastrophalen Krise genesen können. Erst dann werden ihre Bürger einsehen, dass sie kollektiv über die Verhältnisse gelebt haben, und dass ausgabenfreudige Politiker und forderungsfreudige Gewerkschafter die Hauptschuldigen an dieser Katastrophe gewesen sind.

Jedoch laufen auch jetzt noch – natürlich universitäre, also weit weg jeder Realität lebende – Ökonomen herum, die meinen, Deutschland müsse einfach drastisch mehr Schulden machen und die Löhne erhöhen, dann würden sich die Ungleichgewichte im Euroland ausbügeln. Das stimmt schon – nur übersehen sie, dass dann auch Deutschland auf das Niveau der Mittelmeerländer absinken wird. Aber das war immer schon das Ziel sozialistischer Vor-„Denker“: Hauptsache, es geht niemandem besser, da ist es uns viel lieber, es geht allen schlechter, solange das nur gleichmäßig der Fall ist. Das ist so, wie wenn man mit einem Blinden dadurch solidarisch sein will,  dass man sich selbst die Augen aussticht.

Überraschend wie ernüchternd ist auch das kritische Urteil Wolfgang Schüssels über die EU. War er doch lange einer der flammendsten Europäer. Er sprach nun in einem Interview mit dem „Trend“ eine andere böse Fehlentwicklung der Union an: „Die EU regiert zu zentralistisch in die einzelnen Länder hinein.“

Schüssel ist zu Recht empört, dass sich die Kommission mit Tempo 30 in den Städten befasst, mit Rauchverboten und Glühbirnenverboten oder „Natura-2000“-Regeln, also irreversiblen Naturschutz-Großzonen. „Ich meine, man sollte viele Dinge auf der nationalen Ebene belassen oder sogar zurückgeben.“ Manche europäische Länder haben, so Schüssel, derzeit keine Führung, nehmen sich stark zurück und agieren oft nur innenpolitisch.

Komischerweise fällt einem bei diesen Worten vor allem Österreich ein – obwohl Schüssel sich doch seit seinem Rückzug auf parlamentarische Hinterbänke jeder öffentlichen Kritik an der heimischen Regierung penibelst enthält. Und sich nur mit dem Ausland befasst. Scheinbar.

Man kann Schüssel nun zu Recht vorhalten, dass er mit seiner Kritik an den Fehlentwicklungen in der EU spät kommt, und dass manche falschen Weichenstellungen auch schon in seinen Amtszeiten begonnen haben. Aber immerhin ist er immer noch der erste in den beiden Regierungsparteien, der sich traut, die Dinge beim Namen zu nennen. Der es wagt, die Kleiderlosigkeit des Kaisers Europa auszusprechen.

Unsere gegenwärtige Regierungsspitze hat diese Kleiderlosigkeit hingegen noch gar nicht gemerkt, geschweige denn auszusprechen gewagt.

Freilich kann die Erkenntnis seiner Kleiderlosigkeit nicht bedeuten, dass man den Kaiser  tötet, sondern man sollte ihm endlich wieder passende Kleider verpassen. Das würde insbesondere bedeuten, die EU wieder auf ihren Kern zurückzuführen, nämlich erstens auf einen funktionierenden Binnenmarkt. Und zweitens die gemeinsame Währung entweder auf weniger Länder zu reduzieren oder noch besser: jeden Schuldner seinem verdienten Schicksal zu überlassen, wenn er nicht mehr kreditwürdig ist.

 

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