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Das schlechte Personal und die große Herausforderung

Noch sollte man nicht alle Hoffnungen für dieses Land fahren lassen. Diese erfreuliche Perspektive eröffnet zumindest ein neues Buch. Es jammert nicht nur, sondern zeigt ganz konkrete Maßnahmen auf, wie Österreich wieder besser funktionieren könnte.

Diese Möglichkeiten zeigte Herwig Hösele, der aus der Steiermark stammende Politikberater, als Herausgeber schon bei der Präsentation (Herwig Hösele: „Was ist faul im Staate Österreich?“ Molden-Verlag). Auch wenn er durch den zungenbrecherischen Versuch, politisch korrekt das Binnen-I zu verwenden und auszusprechen, seine Glaubwürdigkeit stark reduzierte. Dennoch ist fast jeder seiner Vorschläge ernst zu nehmen – nicht nur, weil ihm weise alte Männer wie Gerd Bacher oder Heinrich Neisser sekundierten. Hier eine kleine, aber besonders relevant scheinende Auswahl an Reformnotwendigkeiten:

-         Mehrheitswahlrecht zur Erhöhung der Chance auf handlungsfähige Mehrheiten;

-         Einführung eines Supersonntages nach amerikanischem Muster, an den alle Wahlen zusammengelegt werden, um die lange Lähmung der Politik durch Wahlkämpfe zu reduzieren;

-         Mehr direkte Demokratie;

-         Volksbegehren auch via Internet;

-         Sanktionierung einer Schubladisierung von Volksbegehren;

-         Stärkung des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF;

-         Ersetzung des teuren Bund-Länder-Wirrwarrs durch einen echten neuen Föderalismus;

-         Gesetzgebung weg von den Ländern, weil von dieser ohnedies nichts übrig geblieben ist;

-         Mitwirkung der Länder an den Zielvorgaben des Bundes;

-         Verfassungsrechtliche Defizit- und Schuldenbremse;

-         Zusammenlegung von Ausgaben und Aufgaben in eine Hand;

-         Abbau der Verschwendung im Sozial- und Gesundheitsbereich, wo am meisten Geld versickert;

-         Abschied von der Lebenslüge Neutralität und Ersetzung durch eine europäische Sicherheitspolitik;

-         Ein Konklave von Bundes- und Vizekanzler sowie der Landeshauptleute aus Wien und Niederösterreich über eine solche neue Verfassung, wobei die vier tagen müssten, bis sie sich auf einen großen Wurf geeinigt haben, der dann einer Volksabstimmung zu unterziehen ist.

Freilich macht gerade der letzte Punkt bange, eben der Blick auf jene Menschen, die all das in die Wege leiten müssten. Denn wie Bacher anmerkte: „Wir haben das schlechteste politische Personal seit langem. Und der Souverän, das Volk, lässt sich alles gefallen.“ Als besonders schlimmes Beispiel nannte Bacher die schlechte Vertretung Österreichs in der EU-Kommission, wo von den Namen Schüssel bis Gusenbauer, von Molterer bis Plassnik viele offenbar zu gut gewesen seien.

Den leichtfertigen Umgang mit der Verfassung zeigte Neisser etwa an den ständigen anlassbetonten Debatten auf: So sei etwa die – sekundäre – Frage der Art der Bundespräsidentenwahl wenige Tage nach der letzten Wahl wieder völlig eingeschlafen. Ähnliches sehe man beim Thema Grundrechte: „Das Land verweigert sich der Diskussion über Meinungsfreiheit und journalistische Freiheit.“

Wie wird es also weitergehen? Wird Höseles Veränderungs-Dynamik obsiegen? Oder der realistische Pessimismus von Bacher und Neisser? Der Tagebuchautor wäre gern ein Optimist, findet es aber wahrscheinlich, dass diese beiden recht behalten werden. Zumindest kurzfristig.

Denn irgendwann wird unweigerlich der große Crash kommen, etwa durch einen wirtschaftlichen Kollaps, wo plötzlich Vieles möglich wird, was jetzt noch unmöglich erscheint. Was dann freilich viel schmerzhafter sein wird, als wenn man Hösele schon jetzt folgte.

 

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