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Millionen Unschuldsvermutungen

Wie oft hat man über die Volten des Jörg Haider gelacht oder sich gewundert, geärgert, gestaunt: „Ich bin weg – ich bin schon wieder da“. Kaum hatte er sich von der einen Seite der politischen Bühne mit großem Aplomb verabschiedet, da trat er aus einem anderen Eck schon wieder auf.

 Jetzt gibt es die ominösen 45 Millionen und die haidern nur so vor sich hin: Sie sind da, und schon wieder weg. Irgendwer hat von 45 Millionen so viel verspekuliert, dass nur mehr fünf da sind.

 Und noch viel schlimmer: Da tauchen sie im „profil“ in Liechtenstein auf, sind also da, doch kaum wird bei den Liechtensteiner Staatsanwälten nachgefragt, sind sie schon wieder weg. Die haben nämlich keine Haider-Konten gefunden. Dazwischen, danach und auch weiterhin wird gerätselt, gemutmaßt und gerüchtelt. Eines wurde in jedem Fall nicht gemacht – das, was ein sich und die Leser ernst nehmender Journalismus zu Anfang dieser Geschichten-Lawine hätte tun müssen: Nach dem Berufsprinzip „check and re-check“ wäre es notwendig gewesen, alles so lange zu prüfen, bis nicht mehr vor und nach jeder Zeile hätte stehen müssen: „Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung“. Bis nicht mehr bei jeder Nennung des skandalumwitterten Tagebuchs eines Walter Meischberger das Wörtchen „mutmaßlich“ eingefügt hätte werden müssen – wobei, möchte man den ORF fragen, was bitte ist eigentlich ein „mutmaßliches Tagebuch“, von dem die „Journalberichte“ erzählen? (Kostprobe: „Am Abend les ich dann meine Protokolle durch und geh bald schlafen“ Aber mittlerweile rät ja der Autor dieser tief schürfenden Prosa selbst den Journalisten, seine Aufzeichnungen nicht allzu ernst zu nehmen.) Und war uns dieser Herr Meischberger, der jetzt medial zum verlässlichsten aller Zeugen mutiert ist, nicht bis vor kurzem als suspekter Korruptionist bekannt?

 Das Prinzip „Irgendwas wird schon dran sein“ dominiert. Und auch wenn sich irgendwann Schwarzgeldmillionen bestätigen sollten: Die mediale Vorgangsweise dieser Tage ist selbst- und demokratieschädigend. Eine Branche dankt ab.

 Nur um es klar zu stellen: Jörg Haider war ein mehr als schillernder Politiker. Sein Umgang mit Diktatoren der arabischen Welt war – milde gesagt – in vieler Hinsicht unverständlich. Auch wenn damals, als Haider Saddam Hussein besucht hat, immer wieder hämisch gespöttelt wurde, mit welchem von Saddams zehn Doubles der Kärntner Provinzkaiser eigentlich gesprochen haben könnte. Politisch war Haider nur allzu oft kritisierenswert – auch wenn die Dämonisierung seiner Person, die nicht nur in Österreich, sondern sogar in den USA oder Australien betrieben wurde, übertrieben und kontraproduktiv war. Irgendwie hat es nichts mehr gegeben, was man ihm nicht zugetraut hätte. Und Haider hat da gerne mitgespielt. Einen Teil seines Erfolges verdankte er der wütenden Verbissenheit seiner Gegner.

 Kein Wunder, dass man ihm auch jetzt noch, knappe zwei Jahre nach seinem Tod, alles zutraut. Vor allem, wenn man endlich berichten kann, dass ein „Denkmal bröckelt“. Da heißt es dann „das muss ja nicht völlig aus der Luft gegriffen sein“ (ORF-Mittagsjournal vom 3. August). In der „Presse“ heißt es als Reaktion auf das Dementi der Liechtensteiner Staatsanwaltschaft: „ Allein die Tatsache, dass es für möglich gehalten werden kann, sagt alles.“

 Jeder ehemalige Haider-Intimus, der sagt, „Ich weiß von nichts“, ist den Medien einer, „der von nichts wissen will“. Und es werden neue „Zeugen“ gebracht, die natürlich aus „Furcht um die physische und berufliche Existenz“ anonym bleiben wollen, wenn sie in „Österreich“ ausführlich auspacken. Liechtenstein dementiert? Na, dann werden die Konten halt in der Schweiz liegen.

 Ja, die Existenz riesiger Schwarzgeldkonten im Umfeld Haiders ist möglich – der Korruptionssumpf um die Hypo Alpe Adria, die eigenartigen Kontakte zu Diktatoren und Potentaten, die blau-orangen BUWOG-Verstrickungen und vieles andere ist nicht geklärt. Und genau das ist der Knackpunkt: Noch gibt es keinerlei Beweise. Dass die Staatsanwaltschaft durch Aussagen, es gäbe „einen Zeugen“ und man habe jetzt das (mutmaßliche!) „Tagebuch“, bei diesem Spiel der Gerüchte mitmacht, ist unglaublich. Diese Behörde ist dazu da, aufzuklären, zu arbeiten und Licht in die dunkle Angelegenheit zu bringen. Das ist ihre Aufgabe – nicht das Nähren medialer Aufgeregtheit.

 Dass eine gesamte Medienszene sich an Spekulationen, Gerüchten und anonymen Zeugen abarbeitet, statt mit doppelter Sorgfalt zu recherchieren und zu verifizieren, bevor sie veröffentlicht, ist bestürzend. Es ist aber relativ ungefährlich: Ein Toter kann nicht klagen. Da bietet dann das folkloristisch-mythologische, das doppelte oder doppelbödige Leben des Jörg Haider viel Stoff, um die Geschichte „weiter zu drehen“. Und spätestens dann, wenn der letzte anonyme Zeuge ausgepresst ist, kann eine bunte Boulevardzeitung exklusiv berichten, dass Jörg Haider eigentlich hatte die Wahrheit über die Schwarzgeld-Millionen enthüllen wollen. Und dass ihn dunkle Mächte deshalb unter Alkohol und in ein manipuliertes Auto gesetzt hätten. Wir werden es noch lesen.

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