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Die Krankheiten der Justiz

 Richter und Staatsanwälte drängen auf mehr Unabhängigkeit. Sie wollen künftig nur noch einem eigenen Generalstaatsanwalt, beziehungsweise einem eigenen „Rat der Gerichtsbarkeit“ unterstehen. Das klingt aufs erste vernünftig. Erst auf den zweiten Blick werden aber gewaltige Pferdefüße sichtbar.

Vieles spricht aber jedenfalls für ein verstärktes Nachdenken über die Unabhängigkeit und die Qualität der Justiz:

Seit in der Ära Broda nachweislich politische Interventionen jahrelang die Strafverfolgung eines Mörders behindert haben, ist das Thema in Diskussion. Seit eine verunglückte Strafprozessreform die Staatanwälte fast allmächtig gemacht und Kriminalpolizei und Untersuchungsrichter entmachtet hat, ist die Diskussion noch viel wichtiger.

Noch wichtiger wurde die Kontrolle der Staatsanwaltschaft, seit das problematische Institut der Diversion eingeführt worden ist, mit der Staatsanwälte richterähnliche Befugnisse übernehmen und auf diesem völlig unkontrollierbaren Weg die Mehrzahl der Strafverfahren abhandeln/abwürgen können.

Dieses Misstrauen gegenüber der Staatsanwaltschaft hat sich dramatisch gesteigert, seit die Strafverfolgung des Lebensgefährten der damals amtierenden Justizministerin Maria Berger unter fadenscheinigen Vorwänden – und unter merkwürdigem Desinteresse der Mehrheit der Medien – plötzlich gestoppt worden ist (obwohl eine Richterin eindeutig ein Delikt gesehen hatte).

Eine weitere Eskalation war der Fall Kampusch, als die Staatsanwaltschaft geradezu skandalöses Desinteresse an dem durch Dutzende Indizien bewiesenen Zweittäter wie auch an der Frage gezeigt hat, ob Wolfgang Priklopil ermordet worden ist. Kein Mensch, der die Zusammenhänge kennt, kann auch erklären, warum ausgerechnet der wichtigste Eigentümervertreter der Bawag, nämlich der damalige ÖGB-Präsident Verzetnitsch, nicht auf der Anklagebank gelandet ist, obwohl er offensichtlich von den wichtigsten Vorgängen gewusst haben muss.

Völlig unfassbar ist auch das Desinteresse der sogenannten Korruptionsstaatsanwaltschaft an den Hunderten Millionen Euro Steuergeld, die Bund, Länder und deren Betriebe – an der Spitze das Wiener Rathaus-Imperium – zur Beeinflussung von Zeitungen und parteipolitischer Werbung ausgeben, eigentlich eine klassische Untreue.

Und ihren jüngsten Gipfel hat die Erregung rund um die Strafverfolger in den letzten Wochen erreicht, als die Medien ein einziges Sommerthema hatten: die angebliche oder wirkliche Laxheit der Staatsanwälte bei Vorgängen vor allem im blau-orangen Milieu, wobei es freilich noch keinerlei Indiz für eine politische Intervention gibt, und wobei hier natürlich wieder die alte linke Jagdpartie mit im Spiel war, die – siehe etwa den „Falter“ – am liebsten gleich die ganze verhasste schwarz-blaue Regierung auf die Anklagebank setzen würde.

In die Justizdebatte gehört aber auch das populistische Verhalten mancher Richter, die sich offensichtlich von Zurufen der Medien in ihrem Verhalten beeinflussen lassen. Anders ist die überlange U-Haft für Helmut Elsner nicht erklärbar, auch nicht das scharfe Urteil gegen Polizisten bei den Schüssen nach dem Kremser Merkur-Überfall. Aber auch das skandalöse Verhalten einer Wiener Richterin wirft ein schiefes Licht auf die Justiz, die sich (in einem Prozess im Umfeld der Kampusch-Causa) nicht für befangen erklärt hat, obwohl ihr eigener Vater als Staatsanwalt in dieser Causa als verfolgungsunwilliger Verfolger indirekt eine wichtige Rolle gespielt habe.

Was kann man wirklich tun?

Das schreit nach Diskussion und nach Verbesserung. Wobei die in den letzten Tagen beschlossenen personellen Maßnahmen ja zweifellos nur ein Randproblem betroffen haben.

Freilich sollten wir uns klar sein, dass auch in der Justiz nur Menschen handeln, weshalb sich niemand eine ideale Justiz erwarten sollte. Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten, die einer intensiven Debatte wert wären:

-         Mehr Transparenz von Weisungen innerhalb der Staatsanwaltschaft;

-         Eine Wiederaufwertung von U-Richter und Polizei, sodass es einem Staatsanwalt nicht mehr möglich sein wird, quasi im Alleingang die Untersuchung eines Vorfalles einzustellen;

-         Eine verpflichtende Wiedereinführung von ökonomischen Lehrfächern ins Jusstudium, damit die Staatsanwälte und Richter diesbezüglich besser gerüstet sind.

Gehört dazu auch die Einführung eines  Generalstaatsanwalts samt Kappung des Weisungsrechts des Justizministeriums gegenüber den Staatsanwälten, damit die Staatsanwälte nicht mehr einem (Partei-)Politiker unterstehen? Viele, die das fordern, übersehen aber die entscheidende Frage: Und wer bestellt diesen obersten aller Staatsanwälte?

Die vorliegenden Vorschläge nennen das Parlament. Das ist aber nun gewiss kein unparteipolitisches Gremium. Im Gegenteil. Damit würde es entweder Wahlkapitulationen des zu bestellenden Generalstaatsanwalts gegenüber den Parteien geben, oder die Nominierung eines Generalstaatsanwalts würde im Koalitionspakt genauso im Proporz jeweils einer Koalitionspartei zugewiesen werden wie Minister- oder EU-Posten. Der Unterschied zur Gegenwart wäre also sehr gering.

Das amerikanische Modell einer Volkswahl von Strafverfolgern würde wiederum nach Sheriff-Art deren Populismus stark erhöhen.

Sollte es aber durch irgendeinen Zaubermechanismus gelingen, die Justiz wirklich aus jedem politischen Zusammenhang herauszulösen, dann droht eine ganz andere Gefahr: Es fiele die letzte Kontrolle für jene Richter weg, die ihre Leistung und ihr zeitliches Engagement schon jetzt auf ein Minimum heruntergeschraubt haben. Man schaue nur, wie viel Prozent der österreichischen Richter an Nachmittagen noch im Gericht anzufinden sind – und dabei haben sie alle im Gegensatz zu den ebenfalls in ähnlichem Verdacht stehenden Lehrern durchaus ordentliche Arbeitsplätze. Man schaue nur, wie milde oft Richter sind, wenn sie disziplinär über ihre eigenen Kollegen zu urteilen haben.

Gewiss: In diesem Themenkomplex Arbeitsdisziplin schaut es auch im Istzustand alles andere als zufriedenstellend aus. Wird die Justiz aber noch unabhängiger, dann wird das alles mit Sicherheit noch viel schlimmer. Obwohl immer mehr komplizierte Verfahren auf die Richter zukommen. Obwohl die Gesetzgebung immer neue Regeln erfindet, die zu judizieren sind.

Denn nur der Gesamtzusammenhang einer Regierung führt zum Zwang, sparsam zu sein. Gehört sich die Justiz jedoch selber, wird es wie bei den Landeslehrern: Der eine schafft an und der andere zahlt (und kann nicht einmal die Verwendung des Geldes prüfen).

 

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