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Es droht der Pflegekollaps. Wundert Sie das nicht? Es ist doch kaum erst der vierte Sommer ins Land gezogen und die zweite neue Regierung im Amt, seit ein Wahlkampf die noch 2006 herrschende „soziale Kälte“ vertreiben wollte und das Ende der menschlichen Eiszeit am Thema Pflege festgemacht hat. Da sollte das Pflegeproblem doch längst im Griff sein.
Die Fakten sind schließlich seit Jahrzehnten bekannt. Zum Glück werden wir alle immer älter, wodurch aber auch die Zahl der Menschen, die Betreuung oder Pflege brauchen, stetig steigt. Wurde früher diese – physisch wie psychisch – meist aufreibende Arbeit unentgeltlich innerhalb der Familien geleistet, so braucht es heutzutage bei veränderter Gesellschaftsstruktur und allgemeiner Berufstätigkeit der Frauen bezahlte Hilfe von außen. Schließlich wünscht sich, wie man aus Umfragen, aber auch aus eigener Überlegung für sich selbst weiß, die Mehrzahl der Menschen, den Lebensabend in den vertrauten eigenen vier Wänden verbringen zu können – wenn möglich bis zum Tod.
Österreich hat Pflegegeldleistungen, die das erleichtern sollen – deren Inanspruchnahme steigt aber so rasant, dass die Unfinanzierbarkeit droht, sogar wenn wir ein saniertes Budget hätten. Es wäre hoch an der Zeit, vom regierungsüblichen Improvisieren und Verschieben zu einer ernsthaften Diskussion der Optionen zu kommen.
Neben dem Geld- beunruhigt aber auch der Pflegekräftemangel. Das Lamento, es sei trotz Krisenfestigkeit des Berufs kein Nachwuchs zu finden, weil die Altenpflege weder gut bezahlt noch prestigeträchtig sei, gehört zu den dümmsten Argumenten überhaupt: Kranke, oft geistig verfallende Greise zu pflegen – gut zu pflegen – und nie wirkliche Besserung, sondern unvermeidlich den Tod als Endpunkt aller Bemühungen vor sich zu sehen, das erfordert besondere Menschen. Das kann nicht jeder. Und besonders keiner, dem es in seinem Beruf in erster Linie um Prestige und hohen Verdienst geht.
Schon jetzt ist also unser System des Umgangs mit dem Alter am Ende – finanziell, personell und menschlich. Dabei erleben wir gerade erst den Anfang der grauen Gesellschaft. Die Lage wird von Jahr zu Jahr prekärer.
Eines Eindrucks kann man sich erwehren: In Österreich reicht die gestalterische Phantasie beim Umgang mit dem stetig wachsenden Bevölkerungsanteil alter Menschen gerade einmal dazu aus, die Alten zu verwalten. (Das einzige Resultat der „Vertreibung“ der sozialen Kälte war denn auch ein Behördenspießrutenlauf für diejenigen, die private Pflege für ihre Angehörigen organisieren wollen.)
Ein Blick nach Dänemark zeigt, dass es auch anders geht. Dort sind die alten Menschen Könige im Vergleich zu ihren Altersgenossen bei uns – kein Wunder, dass wissenschaftliche Studien zeigen, dass die dänischen Senioren die gesündesten sind und diejenigen, die sich am glücklichsten schätzen. Die Dänen haben schon 1998 einen politischen Paradigmenwechsel vollzogen, der zu diesen Resultaten führte: Sie haben sich entschlossen, (Steuer-)Geld nicht hauptsächlich in Pflege zu investieren, sondern verstärkt in alles, was dazu beiträgt, dass Pflege – wenn überhaupt – so spät wie möglich notwendig wird. Alles, was Geist und Körper fit hält, ist den älteren Menschen kostenlos zugänglich und wird von den Gemeinden angeboten. Sport für Senioren wird organisiert, Aktivitäten, die das Gedächtnis stärken, Planung und Umplanung von Verkehrsflächen und öffentlichem Verkehr sind an den Bedürfnissen der Alten ausgerichtet. Folgen von Unfällen im Haushalt werden in Einrichtungen in der Nachbarschaft rehabilitiert – um der Hospitalisierung und dem dadurch häufig eintretenden Verfall vorzubeugen. Alles wird unternommen, die alten Menschen so lange wie möglich autonom zu erhalten. Einkaufs- und Lieferdienst für Mahlzeiten sowie sämtliche anderen vorstellbaren Dienstleistungen sind bei der Gemeinde abrufbar, um eigenständiges Leben zu unterstützen.
Auch die Aufhebung des Pensionsalters und die berufliche Umorientierungsmöglichkeit noch für 60jährige sind in Diskussion, weil der Pensionseintritt für viele Menschen ein derartiger Einschnitt im Leben ist, dass sie sich fallen lassen – nicht jeder ist zum swingenden Frühpensionisten geboren.
Altersheime, die teuerste Art, wie eine Gesellschaft für ihre alten Menschen sorgt, sind in Dänemark der letzte Ausweg. Und auch sie sehen anders aus: Es sind kleine Wohngemeinschaften, nicht spitalsähnliche Fluchten. Denn warum sollte man seine hilflos gewordenen Anverwandten in einer Atmosphäre leben lassen, die man für sich selbst nie akzeptieren würde? Die Senioren – auch wenn sie ihre Defizite haben – sind bei allen Alltagsverrichtungen eingebunden, und der Alltag wird gemeinschaftlich so ausgerichtet, dass immer noch Freude möglich ist: beim gemeinsamen Essen, mit einem Glas Wein, einer Zigarre. Glück hat kein Alterslimit, sagen sich die Dänen.
Natürlich, das dänische Modell belastet das Budget auch stark. Eine alternde Gesellschaft ist teuer. Aber es ist ein großer Unterschied, ob mit dem Geld das Leben der Menschen organisiert wird oder das Sterben.