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Der Wiener Wahlkampf kommt in die schmutzigen Gänge. Die FPÖ wirft uns wieder ihre Reim-Knüppel vor die Füße. Blut und Boden in Operetten-Harmlosigkeit gepackt und ein HC Strache dazu blauäugig lächelnd. Der programmierte Aufschrei über die Nazi-Diktion ist erfolgt. Von nun an geht’s bergab. Kein Wunder: Die geballte Inkompetenz der versammelten Wiener Opposition reicht nicht, Michael Häupl die absolute Mehrheit streitig zu machen. Und das angekündigte „Bürgermeister-Duell“ Straches wird nicht statt finden, denn die FPÖ hat nicht einmal noch 20 Prozent der Wähler hinter sich scharen können – also her mit dem emotionellsten aller Themen, den Ausländern. Aus Schaden wird man dumm.
Nicht dass die Diskussion des Themas in Zwischenwahl-Zeiten intelligenter wäre.
Da werden Begriffe und Schicksale verwechselt. Der „Fall Arigona“ hat dem wichtigen Thema Asyl kaum mehr behebbaren Schaden zugefügt – zu lange wurde da mit über 100 Asylanträgen, Eingaben und Rekursen für Menschen gekämpft, die alles andere waren als Asylanten. Ärger konnte den wirklich Verfolgten, die bei uns Zuflucht suchen, nicht geschadet werden.
Da gaukelt man den Bürgern vor, dass nach jahrzehntelangem Laissez-faire in der Zuwanderungspolitik jetzt nur mehr die Hochgebildeten und Bestausgebildeten hereingeholt werden – als ob die in ein kleines Hochsteuerland drängten. Dass die Brainpower des Auslands nicht Schlange steht, um in die Mitte Europas einzuwandern, das haben die Deutschen schon unter Gerhard Schröder feststellen müssen.
Und da hat man über Jahre nur zwei Antworten auf die steigende Zahl von Migranten und das wachsende Unbehagen mit den Schattenseiten des Phänomens. Grünlinks setzt auf Multikulti-Gutmenschentum, das in Holland bereits gescheitert ist. Dort hat diese Geisteshaltung erst zu religiösem Extremismus, dann zu extremem politischen Abwehr-Nationalismus geführt und eine zerrissene Gesellschaft zurück gelassen.
Am anderen Ende des Spektrums sind Strache und seine Mannen, deren Horizont gerade einmal bis zu ihren eigenen Schlagworten reicht, die vorgaukeln, dass man die kriminellen Ausländer nur einsperren und abschieben müsse und dann wären ohnehin alle weg.
Dazwischen stehen die ÖVP und die SPÖ, die je nach Bedarf ein bisschen menscheln, dann wieder ein bisschen auf Law-and-Order setzen. In die Gemeindebauten schickt man Sheriffs, die den Clash der Kulturen (oder Un-Kulturen) niedrig halten sollen. Dann verständigt man sich mit Müh und Not auf die unterste Anforderung – nämlich Deutschkenntnisse - als Grundvoraussetzung für eine Integration. Brennende Probleme – wie die islamistischen Hassprediger in manchen Moscheen – übersieht man lieber.
Das alles schafft nur eines: ein großes Unbehagen, das sich oft pauschal gegen „die Ausländer“ richtet, statt gegen die Politiker, die einmal mehr nicht imstande sind, Probleme zu lösen.
Was bei uns fehlt, ist eine Stimme der realistischen Vernunft.
In Deutschland ist in diesem Sommer eine Stimme der Vernunft verstummt. Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist unter tragischen und immer noch rätselhaften Umständen aus dem Leben geschieden. Nun ist – quasi als „Vermächtnis“ - ihr nachgelassenes Buch über Jugendkriminalität („Das Ende der Geduld“) in die deutsche Sommerruhe geplatzt. Vieles von dem, was sie sagte, noch mehr von dem, was sie bewirkt hat, sollte auch uns beschäftigen.
Kirsten Heisig war 20 Jahre lang Jugendrichterin in Berlin-Neukölln – in einem Bezirk, in dem der Migrantenanteil 15 Prozent (drei Viertel Türken, ein Viertel staatenlose Palästinenser) ausmacht, wo es in den Hauptschulen fast 100 Prozent Migrantenkinder gibt, wo die Arbeitslosigkeit allgemein bei 23 Prozent, unter der migrantischen Bevölkerung aber bei 60 Prozent liegt. 214 der 550 Berliner Intensivtäter (das sind Personen, die innerhalb eines Jahres mindestens zehn erhebliche Delikte begangen haben) leben in Neukölln.
Das alles ist nicht von heute auf morgen passiert. Aber auch in Deutschland hat die Politik dieser Entwicklung so lange unbeteiligt zugeschaut, bis es zu spät war.
Kirsten Heisig hatte das Ergebnis täglich vor sich in ihrem Gerichtssaal. Und wollte etwas ändern. Schnell hatten die Medien deshalb auch einen Namen für sie: „Richterin Gnadenlos“. Denn das Erste, was sie durchsetzte (und was wegen großen Erfolges in ganz Berlin übernommen wurde), war die Ausschaltung bürokratischer Verzögerungen in der Gerichtsroutine: In Eigeninitiative koordinierte sie sich mit Polizei und Staatsanwaltschaft so, dass zwischen einer Straftat und dem Gerichtsverfahren nur mehr drei Wochen vergehen. Die Erinnerung an die Tat ist wichtig, das Gefühl, dass es einen Zusammenhang zwischen dem begangenen Unrecht und dem Urteil gibt, ist wesentlich.
Doch Frau Heisig ging viel weiter: In ihren Urteilen wies sie die jugendliche Klientel an, zur Schule zu gehen. Und sie kümmerte sich darum, dass ihrem Spruch Folge geleistet wurde. Sie arbeitete mit den Lehrern zusammen, verhängte Beugearreste bei Schulschwänzern und überrumpelte so viele Unwillige. Erstens hatten die von der Politik zur Hilflosigkeit verdammten Lehrer wieder irgendeine Möglichkeit sich durchzusetzen. Und zweitens wurden jugendliche Delinquenten nolens volens in der Schule gehalten, was vielfach auf den Weg zurück in die Gesellschaft half.
Kirsten Heisig wollte aber nicht warten, bis einer schon ein Urteil ausgefasst hatte. Sie entdeckte die gesetzliche Möglichkeit, den Schulbesuch mit bis zu 2500 € Geldbuße und bis zu sechs Wochen Erzwingungshaft für die Eltern durchzusetzen. Und sie tat es – gnadenlos. Aber mit einem Ziel. Sie ging auf die Eltern – in ihrer Freizeit! – in Migrantenvereinigungen, in Moscheen zu und erklärte sich: „Es geht um das Fortkommen ihrer Kinder, damit diese nächste Generation als Lehrer, Erzieher, Polizeibeamte etc. beschäftigt werden kann“. Es ging Heisig um die Zukunft ihrer Stadt – auch weil sie zwei Töchter hatte. So wie unsere Kinder und ihre Zukunft davon abhängen, dass wir heute dafür sorgen, dass auch die jungen Österreicher mit Migrationshintergrund es in dieser und für diese Gesellschaft zu etwas bringen.
Denn wenn wir realistisch sind, dann wissen wir: Diese Menschen bleiben hier. Und ob sie an der Zukunft dieser Stadt positiv mitwirken oder ihr zu einem Klotz am Bein werden, hängt auch davon ab, ob wir heute nicht nur Rechte garantieren, sondern auch Pflichten durchsetzen. Darüber müsste man reden, dafür müsste man handeln. Nicht idiotische Reime plakatieren und sich darüber alterieren.
Aber Wahlkampfzeiten sind schlechte Zeiten für den Gebrauch von Intelligenz. Und in manchen Fragen herrscht bei uns eben Dauerwahlkampf.