Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Hurra, das Rauschgift ist wieder da

Endlich hat die Großmutter nun auch ihr Häuschen verpfändet, war doch auch in der verstecktesten Keksdose kein Bargeld mehr zu finden. Der Jubel ist groß. Jetzt können die Enkel wieder unbesorgt Nachschub an Rauschgift besorgen. Und die unangenehmen Entziehungserscheinungen bleiben auf die nächsten zwei Jahre erspart.

Wer wird sich schon sorgen, was in zwei Jahren sein wird, wo die Großmutter nach der Versteigerung ihres Hauses wohnen wird? Hauptsache, wir haben jetzt wieder genug Bares, um neues Gift kaufen zu können.

Immer stärker kommen einem solche Vergleiche mit Rauschgiftsucht in den Sinn, wenn man die europäische Schuldenkrise zu begreifen versucht. Nur so kann man den Wahnsinn begreifen, der da in den letzten Tagen endgültig explodiert ist.

Die Europäer sind alle mehr oder weniger schuldensüchtig. Jene im Süden sind es am ärgsten. Was kulturell wohl auch mit den angenehmen Lebensbedingungen zu tun hat.  Im südlichen Klima musste man nie lange sparen, um den Winter zu überleben. Dieser  Zusammenhang erklärt am besten, warum es in Sachen Sparsamkeit ein so starkes Nord-Süd-Gefälle gibt.

Dazu kommt der absurde Umstand, dass jene südeuropäischen Länder, die nun am meisten Hilfe brauchen, genau jene sind, die schon in den letzten Jahren am meisten Geld aus den diversen EU-Solidaritätskassen bekommen haben. Alleine dieses Faktum hätte intelligenten Politikern und Notenbankern eine Lehre sein können, dass für verschwenderische Enkel, pardon: Staaten, jede finanzielle Hilfe fehl am Platz ist. Und sie immer mehr der notwendigen Sparsamkeit entfremdet.

Dennoch hätten die schwärzesten Phantasien nicht ausgereicht, sich das auszumalen, was da in den letzten Stunden wirklich passiert ist. Die Europäer haben, um die verschwenderischen Südländer weiter zu alimentieren, nun wirklich alles verpfändet, um Kredite in völlig astronomischen Höhen aufzunehmen: den gesamten Haushalt der EU – um dessen Ausgeglichenheit noch bis vor kurzem um Hundertstel Prozent gestritten worden ist! – und die Glaubwürdigkeit der Notenbank und des Euro. Nichts anderes bedeutet es ja, wenn die Europäische Zentralbank nun bereit ist, alle schwindligen Staatsanleihen zu kaufen. Da scheinen amerikanische Immobilienkredite noch eine geradezu vertrauenswürdige Methode der Geldanlage gewesen zu sein.

Gibt es noch sichere Länder? Nun, allzu zahlreich sind sie nicht. An der Spitze dieser Liste steht zweifellos die kleine Schweiz, dann folgen einige südostasiatische Staaten, wobei dort die rechtsstaatliche Qualität und die politische Stabilität schon große Fragezeichen hinter das Wort Zukunft setzen. Sehr fraglich ist geworden, ob Deutschland, Österreich und die Niederlande noch als stabile Länder zu werten sind, mehr etwa als die weitgehend außerhalb des Euro stehenden Osteuropäer, die ja eindrucksvolle niedrige Schuldenquoten haben und die daher die Krise am Ende gut überstehen werden? Seit Deutschland & Co nun praktisch solidarisch für Griechenland & Co haften, muss man ihre Stabilität noch mehr bezweifeln als schon bisher. Hat man zwischen Berlin und Wien doch schon vor diesem schwarzen Wochenende die Staatsschulden in absurde Höhen gejagt.

Europa glaubt, mit finanziellen Jonglierkünsten eine tiefgreifende Krise übertünchen zu können, die letztlich eine politische ist. Ein gewaltiger Irrtum. Denn die EU hat es nicht geschafft, ihre Freigiebigkeit mit einem Mechanismus zu verbinden, der die nationalen Regierungen in Athen, Madrid, Lissabon total entmachten würde. Was angesichts einer solchen Geldverschleuderung eigentlich absolut unabdingbar hätte sein müssen.

Die EU hat  keine starken Machtmittel in der Hand,  wenn die Schuldner-Länder die versprochenen Sparmaßnahmen dann halt doch nicht mit der notwendigen Konsequenz umsetzen. Weil halt leider, leider die Gewerkschaften dagegen sind (was sonst); weil halt leider, leider gerade wieder irgendwo Regionalwahlen sind (wie immer); weil halt leider, leider irgendwelche Berechnungen irgendwelcher Experten nicht gestimmt haben (wie häufig); weil halt leider, leider im Parlament keine Mehrheit für die notwendigen Beschlüsse zu finden war (was nach Abklingen des ersten Schocks sehr wahrscheinlich ist).

Das Ausbleiben wirklich radikaler Sparmaßnahmen wird Resteuropa endgültig genauso krank machen, wie es Griechen und Spanier schon sind. Dann wird es nur niemanden mehr geben, der den Kontinent „rettet“, wie es angeblich jetzt mit Griechenland geschieht.

Ich wünsche mir nichts mehr, als dass diese Prophezeiung nicht zutrifft. Solche Wünsche gehen aber nur selten in Erfüllung.

Sie gehen insbesondere dann nicht in Erfüllung, wenn man absolut Null Vertrauen in die Regierenden haben kann. Schon alleine die ständig wechselnden – dabei immer größer werdenden – Zahlen, die sie uns in den letzten Wochen über die Hilfssummen genannt haben, lassen keinerlei Vertrauen aufkommen.  Ebenso wenig vertrauenschaffend sind die läppischen Attacken der Regierungen auf ominöse Spekulanten und Geldverleiher, nur um von den eigenen Fehlern abzulenken: Diese sind nämlich an der Finanzkrise höchstens so viel schuld wie die Rauschgift produzierenden Bauern in Afghanistan oder Kolumbien an der Drogensucht westlicher Großstadtbewohner. Sie verdienen daran, sind aber nicht die Ursache des Problems.

Am allermeisten Misstrauen schaffen die handelnden Persönlichkeiten: Glaubt jemand ernsthaft, ein Europa ist handlungsfähig, in dem beispielsweise Österreich durch einen Werner Faymann, einen Ewald Nowotny und einen Josef Pröll in den entscheidenden Gremien vertreten ist? Also Politiker, die nur Geldausgeben und Schuldenmachen können, die keine Ahnung von Ordnungs- und Stabilitätspolitik haben. Dem einen fehlt die Intelligenz, der andere ist ein hartgekochter Schuldenideologe und der dritte hat im Bereich Landwirtschaft und Umwelt nur das Geldverschwenden gelernt.

Als ob es dessen noch bedurft hätte, sind nun auch Deutschland und Großbritannien der Unregierbarkeit einen großen Schritt näher gekommen. Nicht nur, weil man so wie in Österreich die einzigen Politiker mit ausreichendem Sachverstand machtpolitisch entsorgt hat (Blair, Clement, Merz, Schüssel, Riess-Passer, Grasser, Ruttensdorfer) oder weil diese gesundheitlich schwer angeschlagen sind (Schäuble). Sondern auch, weil die Wahlergebnisse der letzten Tage diese Unregierbarkeit noch vergrößert haben. In London muss man in der schwierigsten wirtschaftlichen Situation seit langem plötzlich die völlig unbekannte Situation bewältigen, dass trotz Mehrheitswahlrecht keine Partei eine ausreichende Mehrheit hat. In Deutschland ist die gerade erst angetretene Koalition durch die Niederlage im größten Bundesland schwer angeschlagen; sie dürfte damit auch die Mehrheit in der zweiten Kammer verlieren.

Und da, so schreibt mir eine Blog-Partnerin, soll ich doch öfter einen optimistischen Ton einlegen . . .

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung