Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.
Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:
"Übertreiben die Medien einseitig beim Thema Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche?“
In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.
Die Betroffenen haben das Wort
Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).
Nein – auf keinen Fall! Denn die Ausbeutung der Sexualität anderer durch Mitarbeiter der katholischen Kirche ist besonders widerwärtig. Was ins Mark trifft ist, dass diese Form des sexuellen Missbrauchs unter dem Deckmantel der Selbstlosigkeit von statten geht. Unabhängig davon, ob die Täter und Täterinnen selbst durch die innerkirchlichen Strukturen in ihrer persönlichen Entwicklung gestört wurde und so zum Missbrauch der eigenen Machtposition verleitet wurde. Bei sexueller Gewalt in der Familie ist naturgemäß auch eine Machtstruktur vorhanden, aber der Deckmantel der Selbstlosigkeit fällt weg.
Das ist besonders Widerwärtige, besonders Verletzende, besonders Verstörende, besonders Angst machende und Ankotzende an den Vorgängen in der katholischen Kirche.
Einen Misstand öffentlich zu machen und immer wieder anzuklagen ist eine der essentiellsten Aufgaben der Medien. Unabhängig davon, von welcher Autorität er ausgeübt wird. Unabhängig davon, in welcher Institution er geschieht. Unabhängig davon, wer die Missstände deckt und wer sie vertuschen will.
Gerade in einem Land wie Österreich, in dem die römisch-katholische Tradition über Jahrhunderte prägend war und noch ist, können die Medien nicht „überschießend“ berichten. Zumal die Argumentation, dass sexuelle Gewalt auch in anderen Bereichen statt findet, stark nach einer banalisierenden Aufrechungsstrategie riecht. Das ist ebenso abstoßend wie die Tatsache, das jener Mann, der an der Spitze der römisch-katholischen Kirche steht und einst als Chef der Glaubenskongreation von den Vorgängen wissen musst, nicht einmal beim höchsten Fest der Katholiken den Mumm aufbrachte, sich im Namen seiner Organisation bei den Opfern zu entschuldigen. Rom schweigt skandalös, daher haben die Betroffenen über die Medien das Wort.
Warum wird 80 Prozent der Wahrheit verschwiegen?
Andreas Unterberger
Sexuelle wie sadistische Handlungen an Kindern sind besonders widerlich, weil Kinder oft nicht begreifen, wie ihnen geschieht, weil ihr natürliches Vertrauen grob missbraucht wird. Wer in den letzten Monaten manche Zeitungen oder gar den ORF konsumiert hat, der hat heute den Eindruck, dass die Kirche das Zentrum solcher Verbrechen ist.
Es ist schon klar, dass ein Priester als Täter für Medien eine gschmackigere Geschichte ist als die weitaus größere Zahl von total religionsfernen Tätern. Dennoch hat die Berichterstattung in den meisten Medienkonsumenten ein völlig realitätswidriges Kirchenbild entstehen lassen. Hinter dieser Berichterstattung steht oft Absicht: Die letzte moralische Autorität in einer haltlos gewordenen Welt soll zerstört werden.
Unverdächtige Zeugin ist Alice Schwarzer, Mitteleuropas bekannteste Feministin: Missbrauch sei keine Erfindung katholischer Patres. „Und er hat auch nichts mit dem Zölibat zu tun“. Drei von vier Tätern kämen aus dem eigenen familiären Umkreis. Und die Täter in Internaten gebe es genauso in kirchlichen wie in nicht-kirchlichen Institutionen.
Auf der Linken verteidigten, beschönigten hingegen viele bis in die 90er Jahre den Kindesmissbrauch – ganz im Gegensatz zur Kirche. Der grüne Star Daniel Cohn-Bendit schrieb begeistert, wie sich Kinder an seinen Hosenlatz herangemacht haben. Die linke Zeitung taz meinte: „Pädophilie ist ein Verbrechen ohne Opfer“. Grüne, SPD, FDP diskutierten intensiv ein Ende der Bestrafung von Pädophilen. An der linken Odenwaldschule oder in den DDR-Kinderheimen haben sich quantitativ viel ärgere Dinge abgespielt, als bisher aus kirchlichen Einrichtungen bekannt ist.
Wer ist dort zurückgetreten oder versetzt worden? Wer hat dort öffentlich bereut? Warum findet sich davon fast nichts im ORF? Und wer kümmert sich endlich intensiver um die Opfer familiären Missbrauchs?
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