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Jedem Bürger seine Partei

Was ist eigentlich bürgerlich? Diese Frage war eine der schwersten Aufgaben, die mir je als Referatsthema gestellt worden ist. Heute hätte ich es leichter: Heute würde ich sagen: Bürgerlich heißt negativ formuliert "zerstrittenes Chaos", positiv formuliert: "unendliche Vielfalt". Es gibt praktisch keine Frage, zu der es unter allen Bürgerlichen Konsens gäbe; es ist nicht einmal klar, wer sich zu Recht und wer zu Unrecht "bürgerlich" nennt; und es kann keine bürgerliche Gruppierung so klein sein, dass bei ihr nicht eine neuerliche Kernspaltung möglich wäre. Wie sich dieser Tage wieder einmal zeigt.

Denn in den letzten Tagen hat es das BZÖ neuerlich zerlegt. Die Partei war ja einst selbst als Spaltprodukt entstanden: Als H.C.Strache den in Wien und Kärnten regierenden Freiheitlichen mit populistischen Positionen das Leben unerträglich machte, trennten sich alle Minister und Abgeordneten und alle Kärntner Machthaber von der FPÖ. Dann spaltete sich am Beginn dieses Jahres das Kärntner BZÖ: Die Mächtigen wechselten zur FPÖ - aber doch nicht ganz, sondern unter Gründung einer neuen eigenen Partei - die weniger Mächtigen blieben beim BZÖ.

Einige Wochen später hat sich nun - von der Öffentlichkeit unbemerkt - Ähnliches in Wien abgespielt: Da wurde über Nacht fast die gesamte Funktionärsmannschaft in Stadt und Bezirken hinausgeworfen. Ihr Hauptdelikt: Sie verlangten die Abhaltung des seit dem Vorjahr statutengemäß eigentlich fälligen Landesparteitages ("Konvent"). Ansonsten wurden in beide Richtungen die üblichen Beschimpfungen ausgetauscht. Hinter der Säuberung sollen die alten Wiener Parteigranden Scheibner und Westenthaler stecken, die sich vermutlich um ihre weitere politische Karriere Sorgen machen. Jetzt werden die hinausgeworfenen Funktionäre unter Führung des gefeuerten geschäftsführenden Parteiobmanns Helmut Stubner halt nun auch in Wien eine eigene Partei gründen.

Wer da noch nicht den Überblick verloren hat, möge das Chaos bei den anderen Parteien rechts der Mitte rund um die Bundespräsidentenwahl beobachten. Da tobt bei den Freiheitlichen eine erbitterte Schlacht Strache-Rosenkranz. Offenbar geht es dort jetzt schon um die Schuldzuschiebung für die drohende Niederlage. Wobei sich auch der Parteiobmann nicht ganz leicht tun wird, alles auf die wenig professionellen Auftritte der Kandidatin zu schieben, hat die FPÖ doch auch bei etlichen regionalen Urnengängen zuletzt eher mäßig abgeschnitten und ist weit weg von den alten Haider-Triumphen.

Und last not least die ÖVP: Da gibt es von der Parteispitze ein paar Andeutungen Richtung ungültig wählen. Da wollen sich ein paar Opportunisten als Schleppenträger Heinz Fischers politische Tauschgeschäfte einhandeln. Und da machen bei den kleinen Funktionären immer mehr Stimmung für den christlichen Kandidaten Rudolf Gehring. Ein ganz ähnliches Chaos bietet die Volkspartei gleichzeitig im Wettbewerb der Steuererhöhungspläne.

Rund herum um diesen bürgerlichen Fleckenteppich brodeln immer mehr Initiativen, Vereine, Gruppen, die teils für liberale, teils für religiöse, teils für islamkritische Ziele kämpfen. Um nur die wichtigsten Richtungen zu nennen. Und daneben ziehen sich viele irgendwie halt schon auch bürgerliche Menschen ganz in frustrierte Einzel-Isolation zurück, haben ganz mit dem politischen Leben gebrochen.

Längst weiß man aber auch bei den größeren bürgerlichen Gruppen nicht mehr, wer da noch miteinander redet und wer nicht. Seit der Schüssel-Wahl 2002 ist es nie mehr gelungen, diese ganze bürgerliche Breite mit einem gemeinsamen Ziel zu emotionalisieren und zu wenigstens ein paar gemeinsamen Schritten zu bewegen.

Und das alles zu einem Zeitpunkt, da die rot-grüne Linke bei allen Wahlen und Umfragen - trotz der massiven ORF-Hilfe und trotz der vielen bestochenen Printmedien - so schlecht dasteht wie noch nie in ihrer Geschichte. In Österreich und europaweit.

Warum fühle ich mich dennoch als Bürgerlicher? Weil ich in Wahrheit diese Vielfalt liebe und schätze. Weil ich einmal da und einmal dort Ähnlichkeiten im Denken finde - wenn man einmal vom Opportunismus großer Parteien absieht. Weil ich nie und nimmer bei einer straff auf die jeweilige Politik eines Führers oder einer streng durchdeklinierten Doktrin eingeschworenen Struktur dabei sein würde . . .

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