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Parteien ohne Geschichte haben keine Zukunft

Jede Gemeinschaft braucht emotionale Wurzeln, braucht ein gemeinsames Verständnis ihrer Geschichte, braucht personalisierte Ikonen, will sie langfristig überleben. Eine Partei braucht das erst recht. Was die SPÖ weiß. Was die ÖVP nicht weiß.

Die vergangenen Tage haben das wieder in aller Deutlichkeit gezeigt. Hier eine Partei, die wie eine Religionsgemeinschaft ständig an ihren Heiligenbiographien bastelt - mit dem einzigen Zweck, selbst etwas von der scheinbaren Heiligkeit vergangener Tage abzubekommen. Sieht doch die rote Gegenwart eher schwarz aus. Dort eine Partei, die sich ihrer eigenen Geschichte entledigt. Obwohl auch bei dieser Partei die Gegenwart bestenfalls das Adjektiv "durchwachsen" verdient.

Der Dohnal-Jubel


Wie hat doch die SPÖ in den letzten Tagen Johanna Dohnal hochgejubelt. So als ob Frauen vor ihr in bitterster Unterdrückung und Sklaverei gelebt hätten, bis dann die heilige Johanna mit der Flagge des Feminismus eingeritten ist. Daher muss natürlich heute jeder junge Mensch glauben, dass es Dohnal beziehungsweise deren Partei war, die den Frauen den Weg in die wichtigsten Ämter gebahnt hat.

Nun: In Wahrheit ist die SPÖ immer zu spät gekommen. Ob es nun um die erste Frau als Minister, als Abgeordnete, als Landeshauptmann, als österreichischer EU-Kommissar oder als Präsidentschaftskandidat gegangen ist. Jedesmal waren die angeblich so konservativen bürgerlichen Parteien - meist die ÖVP - die First movers, nie die SPÖ.

Nur weiß man spätestens seit Rudolf Burger: In der Geschichte geht es nicht um absolute Fakten, um einen abstrakt-objektiven Wahrheitsbegriff, sondern immer nur darum, wer die Geschichtsschreibung betreibt und kontrolliert. Jeder politische Experte weiß das, nur die ÖVP weiß es nicht. Jedenfalls gibt es dort keinen Menschen mehr, der auch nur eine Ahnung von der Parteigeschichte hätte oder gar diese Fakten wieder in Erinnerung rufen würde.

Die SPÖ jedoch arbeitet beispielsweise in Wien seit Jahrzehnten daran, den Stadtregierungen der Zwischenkriegszeit eherne Denkmäler zu setzen - obwohl es damals Stadträte gab, die öffentlich verlangten, lebensunwertes Leben zu töten, obwohl diese Stadtregierung mit massiven Steuern Wirtschaft und Arbeitsplätze zerstörte.

Die Angst der ÖVP vor dem Vergleich


Die gegenwärtige ÖVP-Führung ist hingegen so neurotisch, dass sie die gesamte Vergangenheit und jede damit zusammenhängende Persönlichkeit verdrängt. Offenbar hat man Angst, vor diesem Hintergrund schlecht dazustehen.

Verdrängt wird etwa der Name Benita Ferrero-Waldner. Sie hat am Ende des Vorjahres ihre Tätigkeit als EU-Kommissar beendet (beenden müssen). Aber niemand soll glauben, dass jene Partei, die sie einst nach Brüssel entsendet hatte, nun zu Ehren Ferreros ein ordentliches Fest oder einen Empfang machen würde. Selbst wenn man sich für ihre Ablöse entschlossen hat - was in politischen Jobs immer möglich sein muss -, sollte eine solche Geste doch auch für Bauernbündler Teil der guten Manieren, Teil ordentlicher Umgangsformen sein.

Nix da, die Ex-Kommissarin, Ex-Heldin der Rückholung von gefolterten Geiseln aus Libyen, Ex-Ministerin, Ex-Heldin der Sanktionenmonate, Ex-Staatssekretärin wird totgeschwiegen. Davon, dass man eine honorige Verwendung für sie hätte, wollen wir ja gar nicht reden. Inzwischen wurde die Dame mit dem Kampflächeln von einem deutschen Konzern in den Aufsichtsrat geholt. Die können sehr wohl mit ihr etwas anfangen.

Hier Kreisky, da Schüssel


Noch ein Beweis katastrophaler schwarzer Geschichtslosigkeit gefällig? Dann könnte man vielleicht auf die jüngsten Jubiläen verweisen: Vor 40 Jahren kam Bruno Kreisky an die Macht, vor 10 Jahren Wolfgang Schüssel. Die Kreisky-Ära wurde von der SPÖ und all ihren Vorfeldmedien so heftig gefeiert, wie einst die ÖVP ihre Freiheits- und Staatsvertragskanzler Raab und Figl zelebriert hat. Dabei kam als scheinbar einzig bedenklicher Aspekt Kreiskys innige Liaison mit ehemaligen Nationalsozialisten zur Sprache; die katastrohale Wirtschafts- und Sozialpolitik mit dem Beginn der Schuldenpolitik und dem Desaster der Verstaatlichten wurden hingegen bei der Erstellung der Heiligenbildchen für Kreisky ignoriert.

Die ÖVP ignoriert hingegen die Geschichte und damit auch ihre Geschichte. Sie hat zum zehnjährigen Schüssel-Amtsantritt genauso wie zum vierzigjährigen Abtritt von Josef Klaus laut donnernd geschwiegen. Das Feld wurde auch zu diesen Jahrestagen zur Gänze SPÖ&Co überlassen, obwohl die beiden immerhin die letzten ÖVP-Bundeskanzler waren.

Niemand erinnerte daher der Tatsache, das es nach 2000 noch eine Regierung gegeben hat, die imstande war, Schulden abzubauen, die Universitäten in die Selbständigkeit zu transferieren, die verstaatliche Industrie zu sanieren und in eine gute private Zukunft zu entlassen, und die Wettbewerbsfähigkeit so zu verbessern, dass die Deutschen Schlange standen, um hier zu investieren. Oder zu arbeiten, wenn sie kein Geld hatten. Eine Pikanterie am Rande, dass auch Schüssel nun fast gleichzeitig mit Ferrero in einen wichtigen deutschen Aufsichtsrat berufen worden ist.

Und wer war Josef Klaus?


Auch die Ära Klaus wäre es übrigens wert gewesen, dem Dunkel der Geschichte entrissen zu werden. Die Entdeckung der Bedeutung von Wissenschaft und Osteuropa für Österreich sind sicher Verdienst jenes knorrigen Kanzlers gewesen.

Eine Partei, die ihre Geschichte entsorgt, verliert ihre Identität, kappt ihre Wurzeln und läuft Gefahr, auch selbst von ihren Wählern entsorgt zu werden.

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